Zu Recht sind die insgesamt 455 km2 großen Landflächen der Seychellen wegen des ganzjährig tropischen Klimas, ihrer abwechslungsreichen Topographie und vielfältigen Flora und Fauna ein Traumziel für Urlaubsreisende. Die Seychellen sind der am besten entwickelte Staat Afrikas, dessen Bewohner zu 30 % vom mitunter luxuriösen Tourismus leben, der 70 % des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Ein kleines Tropenparadies, in dem der Umweltschutz größte Aufmerksamkeit genießt. Mit 230 km2 geschützter Wasser- und 210k m2 Landfläche besitzt die Inselgruppe das anteilig zur Staatsfläche größte Naturschutzgebiet der Welt. Zwei Orte genießen den Status des UNESCO-Weltnaturerbes. Auf den Inseln leben neben der größten Kolonie von Riesenlandschildkröten eine Reihe gefährdeter Tier- und Pflanzenarten, die es nur auf den Seychellen gibt. Die endemische Vogelwelt gehört zur artenreichsten im Indischen Ozean.
Klima und Windlasten
Die Inseln liegen im tropisch warmen Monsungebiet mit Temperaturen zwischen 24 und 30 °C bei einer relativen Luftfeuchte (RLF) von 79 bis 82 % . Die Tagestemperaturen schwanken ganzjährig um ca. 6 K. Von Dezember bis März herrscht Nordwest-Monsun vor, der seine Regenfracht meist abends und nachts in zum Teil sehr heftigen Niederschlägen ablädt. Von Mai bis September bläst der Wind zum Teil stürmisch, aber relativ trocken aus Südost. Schwere Stürme und tropische Wirbelstürme sind jedoch selten, obwohl die Wassertemperatur zumeist über 26°C liegt. Dennoch muss wie auf allen Inseln immer mit relativ hohen Windlasten gerechnet werden. Das betrifft auch Metalldacheindeckungen.
Bungalows mit Doppelstehfalzdeckung
In einem neu errichteten Luxus-Ferienresort auf den Seychellen wurden zwischen 2006 und 2009 ca. 300 Bungalows im landesüblichen Stil errichtet. Aufgrund ihrer Ausstattung sowie der bevorzugten Lage waren sie extrem teuer. Zur Käuferschicht gehörten vorwiegend Millionäre, aber teilweise auch private Investoren.
Die Arbeiten an den Luxushäusern sowie an deren Dachkonstruktionen standen unter der Regie eines englischen Unternehmens. Die unterschiedlich geneigten Walmdächer der Bungalows wurden mit Holzwerkstoffen errichtet – die Tragschale besteht aus Sperrholzplatten. Als wasserführende Schicht wurde farbbeschichtetes Aluminium verwendet und in Doppelstehfalztechnik montiert. Die Scharenbreite beträgt 530mm. Eigentlich war das eine nicht allzu schwierige Arbeit für Fachleute, die ihr Material und die dazu gehörigen Befestigungs- und Verbindungstechniken sicher beherrschen. Das farbbeschichtete Aluminium wurde aus Deutschland an eine Firma in Singapur geliefert. Dieses Unternehmen war auch für die Ausführung der Klempnerarbeiten verantwortlich. Die Montagearbeiten wurden jedoch hauptsächlich von unerfahrenen Monteuren und Hilfsarbeitern aus verschiedenen asiatischen Ländern ausgeführt. Ebenfalls zu betrachten ist die damals gewählte Dachkonstruktion der Bungalows. Sie wurde von außen nach innen wie folgt geplant:
- Farbaluminium
- Trennlage
- Sperrholz
- Glaswolle
- Aluminiumfolie
- Sperrholz
- Sparren
Windschaden
Kurz nach Inbetriebnahme des Hotelkomplexes kam es während eines für die Seychellen nicht unüblichen Sturms zum Desaster. Es wurden insgesamt zehn Dächer weggeweht. Die umherfliegenden Dächer bzw.Teile der Dächer verursachten einige Schäden an den umliegenden Gebäuden. Nach diesem Drama hatte man keinerlei Vertrauen mehr in die Bauleitung und erst recht nicht in die ausführende Firma für die Dachdeckungsarbeiten. Daher nahm man mit einem ansässigen Klempnermeister aus Deutschland Kontakt auf und bat die Herstellerfirma des Farbaluminiums um Unterstützung.
Exkurs Klempner-Fachregeln
Im Rahmen der Neufassung der DIN 1055-4 (2005) unternahm auch der ZVSHK in Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie umfangreiche Windlastversuche im Windkanal der RWTH Aachen. Diese Untersuchungen ergaben zum Teil erstaunliche Ergebnisse bezüglich der Befestigung von Metalldächern. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung flossen in das Fachregelwerk „Richtlinien für die Ausführung von Klempnerarbeiten an Dach und Fassade“ ein (Lit.1). Sie sind als anerkannte Regeln der Technik bindend für die Ausführung von Dachdeckungen aus Metallblechen in Deutschland. Hält der ausführende Handwerker die Fachregeln ein, genießt er ein hohes Maß an System- und Rechtssicherheit. Da eine wissenschaftliche Untersuchung die Grundlage ist, sind sie automatisch auch „Stand der wissenschaftlichen Kenntnis“, die weltweit gültig ist. Die Analyse des geschilderten Windschadens und der Vergleich mit den Bestimmungen dieser Regeln verdeutlicht, wie wichtig deren Einhaltung ist. Auf den Seychellen wäre es dann höchstwahrscheinlich nicht zu den beschriebenen Schäden gekommen.
Windlastzonen
Ein Blick auf die Windzonenkarte in Deutschland zeigt, dass Dächer auf den Seychellen mindestens in einem Standard ausgeführt werden müssen, der an der deutschen Küste gilt: Windlastzone 4 mit einer Windgeschwindigkeit von 108 km/h und einem Bemessungsstaudruck von 560 N/m2. Das ist pro Quadratmeter Dachfläche mehr Kraft, als man zum Hochheben eines Zementsacks aufwenden muss.
Dachbereiche
Bei Walmdachkonstruktionen gliedern sich diese Lastzonen laut Klempnerfachregeln in den Eck- (F) und Randbereichen (G). Hier fallen wegen Verwirbelungserscheinungen höhere Lasten an als auf den Flächen (H), über die der Wind wesentlich gleichmäßiger streicht und weniger Last ausübt.
Windlasten
Metalldächer, die nahezu fugenfrei verlegt werden, sind gegenüber Winddrucklasten weniger empfindlich. Die Windsoglasten sind maßgeblich! Dächer fliegen hauptsächlich auf der Leeseite infolge Unterdrucks über der Dachfläche weg. Es beginnt meist im Eck- und Randbereich. Ist auch nur ein kleiner Bereich einmal losgerüttelt, nimmt das Drama seinen Lauf. Der Wind greift von beiden Seiten an und schält die Metalldeckung regelrecht von der Unterkonstruktion ab. Punkt 6.4/Tabelle 32 der Fachregeln beschreibt nur Lasten für die Windlastzonen 1 bis 3. Der höchste Wert weist pro Quadratmeter Dachfläche eine Kraft aus, mit der man ein Gewicht von über 750 kg hochheben kann!
Für die Windlastzone 4 in Küstengebieten und exponierten Lagen im Gebirge werden bewusst keine Lastwerte genannt. Hier ist immer eine Einzelfallbetrachtung mit statischem Nachweis der Konstruktion und der Befestigungsmittel erforderlich. Das gilt auch für besondere Gebäudegeometrien, z.B. Kirchtürme und Hochhäuser oder für Stellen, an denen Wind zwischen großen Gebäuden mit zum Teil enormen Geschwindigkeiten hindurchströmt.
Anzahl und Qualität der Befestiger
Die Bemessungswindsoglast legt fest, wie viele Hafte pro Quadratmeter Dachfläche benötigt werden. Dabei werden die erforderlichen Haftabstände von der Scharenbreite (Fachregeln, Lit.1, Tab. 34) bestimmt. Die Abstände dafür sind nach Windlastzonen getrennt den Tabellen 35–37 der Fachregeln zu entnehmen. Aussagen über geeignete Hafte für die jeweiligen Deckmaterialien und geeignete Befestigungsmittel sind der Tabelle 38 zu entnehmen. Jeder Haft muss mindestens mit 400 N belastbar sein. Das ist etwa die Kraft, mit der man 40 kg hochheben kann. Bei der höchsten Windsoglast der Tabelle 32 sind pro Quadratmeter 19 Hafte anzubringen!
Unterkonstruktion
Was helfen die richtige Auswahl, Dicke und Scharbreite der Deckmaterialien, Haften und Befestigungsmittel, wenn der Untergrund nicht geeignet ist? Jeder Klempner muss vor Aufnahme seiner Arbeit auch den Untergrund auf Eignung prüfen. Auch dabei hilft ihm die Fachregel. Im Kapitel 5.5.1 „Holzschalungen“ (Lit.1, S. 83) werden eindeutige Aussagen gemacht. Zur Eignung von Unterkonstruktionen aus Holzwerkstoffen (z.B. Sperrholz, OSB-Platten) heißt es in der Fachregel:
„Schalungen aus Holzwerkstoffplatten als Befestigungsebene für den Dachaufbau müssen mindestens der Nutzungsklasse NKL 2 nach DIN 1052 oder der Holzwerkstoffklasse HWK 100 nach DIN 68800-2 entsprechen. Die Mindestdicke d ≥ 22 mm und die Maximallänge l ≤ 2,5 m ist einzuhalten. Holzwerkstoffplatten dürfen nur mit vollständiger PMDI-Verklebung verwendet werden. Auf Dachschalungen aus oben genannten Holzwerkstoffplatten muss eine strukturierte Trennlage verwendet werden.“
Fehleranalyse
Bei der Besichtigung der beschädigten Dächer wurde eine Reihe grober ausführungstechnischer Fehler offenbar:
- Die Befragung der zuständigen Montagefirma ergab, dass weder für die Dachkonstruktion noch für die Befestigungselemente eine Statik vorlag. Normen und Regelwerke waren völlig unbekannt oder wurden nicht berücksichtigt.
- Bei Inaugenscheinnahme der Dacheindeckung zeigte sich, dass die Haftabstände unterschiedlich waren und auch kein regelmäßiges Muster aufwiesen. Einige Hafte hatten einen Abstand von 80 cm, andere lagen bis zu 1,40 m auseinander. Einige 4,50 m lange Scharen wurden nur mit drei Haften befestigt.
- Bei der Scharenbreite von 530mm bedeutet das bei regelgerechter Befestigung, dass jeder Quadratmeter 943N Windsoglast widerstehen kann. Das ist weniger als die geringste Windsoglast der Tab. 32 der Fachregeln mit 0,97 kN/m<sup>2</sup>.
- Die benutzten Festhafte aus 0,4-mm-Edelstahl waren überwiegend nur mit einem einzigen Nagel und nicht wie üblich mit drei Nägeln befestigt. Auch die Befestigung der Schiebehafte war unzulänglich. Sie wurden nur mit zwei Schrauben befestigt. Insgesamt war die Mixtur aus Nägeln und Schrauben auffällig, die zum Teil nicht vollständig in die Unterkonstruktion eingebracht wurden.
- Die Dicke der Unterkonstruktion aus Sperrholz betrug nur 18mm. Das ist zwar nach den Fachregeln zu dünn, doch Auszugsversuche zeigten, dass Schrauben und gerillte Nägel (z.B. Haubold) die geforderten Auszugswerte übertreffen.
Insgesamt widerstehen die Dächer nur ca. 475 N/m2 Windsog. Das entspricht der Kraft, die nötig ist, um einen Zementsack hochzuheben.
Fazit
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass diese Dächer nicht in der Lage sind, die Flächenlast H der Windlastzone 1 aufzunehmen (970 N/m2). Man muss also befürchten, dass beim nächsten Sturm möglicherweise weitere Dächer wegfliegen. Sind alle Dächer in der gleichen Qualität wie die abgängigen gebaut, ist es eine Frage der Zeit, bis sich auch die Befestigungen der verbleibenden Dächer sukzessive lösen. Jeder etwas stürmische Wind wird zur Schwächung der mangelhaften Konstruktionen führen. Im zweiten Teil dieses Beitrages werden die bauphysikalischen Bedingungen in den Tropen betrachtet. Lerneffekte sind dabei garantiert.
INFO
Allgemeine Anforderungen an Bauwerke
Im „Anhang I der CPR, Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates“ ist zu lesen: „Bauwerke müssen als Ganzes und in ihren Teilen für deren Verwendungszweck tauglich sein, wobei insbesondere der Gesundheit und der Sicherheit der während des gesamten Lebenszyklus der Bauwerke involvierten Personen Rechnung zu tragen ist. Bauwerke müssen diese Grundanforderungen an Bauwerke bei normaler Instandhaltung über einen wirtschaftlich angemessenen Zeitraum erfüllen.
Mechanische Festigkeit und Standsicherheit
- Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die während der Errichtung und Nutzung möglichen Einwirkungen keines der nachstehenden Ereignisse zur Folge haben:
- Einsturz des gesamten Bauwerks oder eines Teils,
- größere Verformungen in unzulässigem Umfang,
- Beschädigungen anderer Teile des Bauwerks oder Einrichtungen und Ausstattungen infolge zu großer Verformungen der tragenden Baukonstruktion,
- Beschädigungen durch ein Ereignis in einem zur ursprünglichen Ursache unverhältnismäßig großen Ausmaß.“
Diese grundlegenden Anforderungen sind nicht nur in Europa bindend oder bei Bauwerken, die in Europa geplant wurden. Sie gelten weltweit!
Autor
Markus Patschke
ist Klempnermeister, Energieberater, Fachwirt für Gebäudemanagement und gelisteter Effizienzhausexperte.
Dieser Beitrag entstand auf Grundlage eines Fachvortrages von Andreas Schmelzer, Novelis, Deutschland GmbH, Göttingen.