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Kunst entsteht in dem Augenblick, in dem sie gemacht wird

Vergesst als Erstes alles, was ihr bisher mit Blech gemacht habt!“, beginnt Manuela Geugelin ihren Teil der Veranstaltung. Zuvor hatten wir vom Aurubis-Vertreter Matthias Schoppe aktuelle Beispiele für den gelungenen Einsatz von Kupfer- und Messingblechen unterschiedlicher Beschichtung sowie Struktur gezeigt bekommen. Begonnen hatte alles mit einer Vorstellungsrunde, in der ich erfuhr, dass der Jüngste 17 Jahre alt ist und es mehrere Rentner unter den Teilnehmern gibt. Auch ein Zahntechniker ist dabei und solche, die sich als „Mehrfachtäter“ bezeichnen. „Aha“, denke ich mir. „Die haben wohl beim letzten Mal nicht richtig aufgepasst oder …“ Ich komme partout auf keine Alternative, denn grundsätzlich kann es ja nicht so schwer sein, Blech zu verbeulen. Wir sitzen entspannt im Kreis und lauschen der Vortragenden. Nichts hatte zuvor darauf hingedeutet, derart provoziert zu werden: Alles zu vergessen – das käme überhaupt nicht infrage. Manuela schaut verschmitzt in die Runde. Sie weiß um die Wirkung ihrer Worte. Ihre Augen strahlen eine Fröhlichkeit aus, die mitreißt, und mir ist instinktiv klar, dass da noch mehr kommen würde. Doch was?

Kursleiterin Manuela Geugelin informiert

Bild: BAUMETALL

Kursleiterin Manuela Geugelin informiert
Noch ist das patinierte Kupfer „nur“ zerkratzt …

Bild: Warzawa

Noch ist das patinierte Kupfer „nur“ zerkratzt …
… doch dabei ist es nicht geblieben

Bild: Warzawa

… doch dabei ist es nicht geblieben

Es ist Samstagvormittag. Ich bin in der Werkstatt des Europäischen Klempner- und Kupferschmiedemuseums und möchte lernen, aus einem platten Blech ein Kunstobjekt zu machen. Nicht mittels Abwicklung, wie es die Teilnehmer des vorangegangenen Kurses mit Jörg Hoyer und Gert Brenner beim Bau eines Tischbrunnens anwandten. Nein, Manuela Geugelin hat eine völlig andere Herangehensweise: „Kunst ist nicht reproduzierbar, solche Abwicklungen schon“, führt sie mit Verweis auf eine vom Vortag übrig gebliebene Abwicklung an. „Nicht reproduzierbar“ könne nicht stimmen, beginnt mein Kopf sofort einen Widerspruch zu formulieren, während ich an das Abfotografieren denke. Aber so, überlege ich, war die Aussage nicht gemeint und höre weiter zu. Man müsse diese Offenheit haben, sonst könne es nicht gelingen. Offenheit gegenüber Neuem, das Althergebrachte beiseiterücken. Trotzdem brauche man dazu Technik und es fiel der Spruch „immer locker aus dem Handgelenk“. Unter Männern folgt diesem zumeist ein trockenes Lachen. Bei ihr blieb es aus und sie verwies stattdessen auf die für den ein oder anderen ungewohnte Belastung des Handgelenks und fuhr dann fort: Kunst, wie sie sie mache, sei ein Prozess. Ich kann nicht ganz folgen, schließlich spricht man ja allgemein von „Handwerkskunst“, wenn handwerklich besonders kunstvolle Gegenstände gefertigt werden. Erst jüngst bei der Wahl zum Klempner-Meisterstück des Jahres konnte ich viele Beispiele sehen.

Steilvorlage

Manuela zeigt uns verschiedene Beispiele ihres variablen Schaffens, die an die Wand projiziert werden. Die lassen aufhorchen: Sie hat mehrere unterschiedliche Varianten sowie eine Technik entwickelt, mit der Einzelstücke verbunden und damit zu größeren Flächen kombiniert werden können. Das Besondere ist, dass die Oberflächen zwar zufällige Muster haben, aber in ihrer Charakteristik reproduzierbar sind. Manuela merkt, dass sie die Zuhörer erreicht hat, und weiß, dass sie heiß darauf sind, selbst Hand anzulegen. „Wir gehen jetzt auf eine Reise und wir reisen gemeinsam“, leitet sie zum praktischen Teil über. Anfangs dürfen wir aus vorbereiteten Kupferblechen, alle 0,7 oder 0,8 mm dick, auswählen. Die Bandbreite an verfügbaren Oberflächen entspricht dem Lieferspektrum von Aurubis, darunter selbstverständlich blank und vorbewittert. Ich entscheide mich für patiniert und ganz bewusst für ein Blech, dessen Patina leicht zerkratzt ist. Normalerweise ein Fall für die Schrottkiste, soll es hier Ausgangspunkt für Neues werden. Nicht dem Recycling-Gedanken folgend „Aus alt mach neu“, sondern: „Auf zu neuen Ufern.“

Vorsicht, heiß!

Bild: Warzawa

Vorsicht, heiß!
Den Brandschaden …

Bild: Warzawa

Den Brandschaden …
… hat Marc Warzawa mit Limo gelöscht

Bild: BAUMETALL

… hat Marc Warzawa mit Limo gelöscht
Unerwartetes Lob für Stefan Künstle

Bild: Warzawa

Unerwartetes Lob für Stefan Künstle
iib-Präsident Mirko Siegler in Aktion

Bild: BAUMETALL

iib-Präsident Mirko Siegler in Aktion

Motto-Notiz als Anleitung

Jeder von uns hatte zuvor einen Zettel gezogen, auf dem ein Begriff stand. Diesen sollte jeder umsetzen, so wie es ihm gerade in den Sinn kam, lautete die Aufgabe. Völlig frei, ohne jegliches Anzeichnen. Manuelas „Es gibt kein Richtig oder Falsch“ noch im Ohr, lege ich los, beginne in der Blechmitte. Ich hämmere mit gezielten, dicht nebeneinander gesetzten Schlägen, einer imaginären Wellenlinie folgend, langsam fortschreitend über das Blech. Dann wende ich das Blech und ziehe zwei weitere Linien in doppelt fingerbreitem Abstand ober- sowie unterhalb der ersten, ohne die Fläche einzuteilen. Ich habe ja schließlich das ganze Blech zur Verfügung. In meinem bisherigen Leben wäre ich weder gestalterisch noch handwerklich so vorgegangen. Denn, ganz auf Sparsamkeit getrimmt, hätte ich keinen Quadratzentimeter verschenken wollen. Ferner ist mir bewusst, dass ich durch das Hämmern das Material strecke und dieses, aufgrund von Platzmangel in der Fläche, in die dritte Dimension ausweicht: Es wirft sich. So auch hier. „Was für ein kranker Scheiß“, denke ich und aufgrund der gleichmäßigen manuellen Tätigkeit beginnen meine Gedanken, sich zu verselbstständigen. Ich erinnere mich. Das Hämmern folgt dem, was ich zu Anfang des ersten Lehrjahres über ­längere Zeit so machte. „Schweifübung“ nannte sich das, bei der 2 cm breite Streifen aus Schwarzblech in die Kreisform getrieben wurden oder zu einem S oder einer Acht. Das waren aber Schwarzblechstreifen und nicht edles Kupferblech, dazu noch patiniert. Hätte ich das zu Lehrzeiten selbst mit einem Stück Abfallblech gemacht, hätte mich mein Lehrmeister Fritz Gerstenbrand ebenso misshandelt wie ich gerade mein Stück Blech. Und anschließend geteert und gefedert. Und danach an der höchsten Stelle des Werkstattgebäudes aufgehängt, der Verwitterung preisgegeben. Allen Nachfolgenden zur steten und ewigen Mahnung. „Zwischendurch ausglühen nicht vergessen! Ich empfehle immer, frühzeitig damit anzufangen“, dringt Manuelas melodische Stimme gut gelaunt durch alle Schichten sedimentierter Erinnerungen. Ich schnappe mein traktiertes Blech, gehe zum Abzug, zünde die Flamme des Propanbrenners an. Ich beobachte, wie sich das Blech, der Flamme folgend, färbt. Ausglühen. Abkühlen lassen. Weiterhämmern.

Was ist schon normal?

Während ich das Blech hämmere, fällt mir die Äußerung von Matthias Schoppe ein, dass sich Kupfer unendlich oft einschmelzen lasse, ohne eine Qualitätseinbuße zu erleiden. Okay. Wenn das hier nichts wird, übergebe ich das Blech dezent an Matthias, damit er es der Wiederverwertung zuführen kann. Noch ist es nicht so weit. Matthias muss noch warten. Ich klopfe weiter darauf herum. Das Blech wölbt sich unter den Schlägen, bekommt Knicke. Normalerweise wäre dies das Ende der Bearbeitung oder der Start umfangreicher Richtarbeiten. Normalerweise. Doch was ist schon normal? Alles andere, anderswo. Hier und heute gelten andere Gesetze: die von Manuela. Und die begründen eine eigene Dimension im Handwerk: „Macht, was ihr wollt – alles ist zulässig. Alles, bis auf den Einsatz von Blechscheren oder wie diese Dinger heißen. Die sind tabu!“ Was im normalen Leben anspornt, verbotene Früchte zu begehren, spornt hier ebenfalls an, kreativ zu werden und auf die Hilfsmittel zu verzichten. Aber was heißt hier Handwerk? „Leute, DAS ist Kunst! Das ist NICHT planbar. Kunst entsteht in dem Augenblick, in dem sie gemacht wird!“ Und so hämmern wir weiter. Immer wieder läuft Manuela herum, begutachtet, beantwortet Fragen, gibt Tipps, bearbeitet selbst ein Stück Blech. Nach etwa anderthalb Stunden unterbricht sie, ein entscheidender Hinweis folgt: „Wer jetzt meint, er sei fertig, der muss wissen, dass es jetzt erst richtig losgeht!“ Ich beginne zu ahnen, dass ich mich „mal wieder“ auf etwas mit ungewissem Ausgang eingelassen habe. Mir wird warm und ich kremple die Ärmel hoch. „Na, dann wollen wir mal“, denke ich und schwinge den Hammer. Mit kräftigen, gezielten Schlägen, leicht versetzt. Erinnerungen an längst hinter mich gebrachte Übungen werden freigespült. Eher freigeklopft. Schlag für Schlag: Tack-tack-tack-tack … „Satte Schläge“, wie mein Altgeselle Erich Wirth zu sagen pflegte. Wenn dazwischen ein hohles „Tock“ erklingt, liegt das Blech nicht auf, der Schlag ist wirkungslos, verbeult das Blech, statt es zu strecken. Erich hätte mir früher jeden einzelnen der hohlen Schläge vorgezählt. „Kein Wunder“, hatte ich mir damals gedacht, „kein Wunder, dass keines seiner Kinder in die Fußstapfen des Vaters getreten ist.“ Doch hier und heute gehen sämtliche hohlen Schläge in der allgemeinen Geräuschkulisse unter. Auch wenn das Blech zu sehr verdichtet wurde und reißt, ist das nicht schlimm. „Risse machen nichts – die sind toll!“, tönt Manuela. Ich nehme wahr, wie sich andernorts gerade Erich im Grabe umdreht und der Meister aus dem Lehnstuhl fällt.

Ebenso Baumetaller Marc Warzawa

Bild: BAUMETALL

Ebenso Baumetaller Marc Warzawa

Es ist der Wahnsinn, was ich hier mache

Manuela und ihre Unverfrorenheit gegenüber den Werkstoffen und der Lieferform Blech, das bei Aurubis mit einer Dickengenauigkeit von plus/minus 0,02 mm produziert wurde, sind der Wahnsinn. Aber das Ergebnis ist einfach nur geil. Punkt. Nein, Ausrufezeichen! Geil, geil, geil! Danke, Manuela, danke, BAUMETALL, für diese unglaubliche, nein, obergeile Erfahrung!

Manuela eilt gut gelaunt von einem zum anderen, schaut sich den Werdegang der Werke an, ist gespannt wie ein Kind vor der Weihnachtsbescherung, was der Mensch vor ihr aus dem Blech wohl machen, nein, in was er es wohl verwandeln wird. Zwischendurch traktiert sie weiter selbst ihr Blech, was sich bei ihr „Handcrafted Art Design“ nennt. Ganz Künstlerin halt. Ich verbeule ein Blech, aber sie macht Kunst. Direkt vor unser aller Augen. „Jetzt habe ich euch was verraten, was ich zuvor noch nie gezeigt habe, nämlich wie ich die Falten ins Blech bekomme“, lässt sie uns wissen und ist dabei über sich selbst ein wenig verwundert, aber auch etwas vergrämt. Aber nur ein klein wenig. Denn die Stimmung unter den Teilnehmern ist großartig. Zwei Stunden vor Schluss haben manche ein zweites Blech begonnen, während ich noch immer auf mein Erstlingswerk eindresche. Meister Gerstenbrand ist mittlerweile verstummt, ich beginne, mich mit meinem Werk zu identifizieren, entdecke Besonderheiten, arbeite diese weiter aus, würde es um kein Geld der Welt in die Schrottkiste geben.

So geht es Manuela auch: „Wie hast du denn DIESE Färbung hinbekommen?“, ruft sie so laut, dass es gegen die Geräuschkulisse ankommt. Das Gehämmer wird weniger, verstummt fast. „So was habe ich ja noch NIE gesehen!“, fährt sie begeistert, ja fast verzückt fort. Ich schmunzle und genieße den Augenblick. Dann war nach stundenlangem Hämmern doch noch was anderes rausgekommen als verbeultes und stellenweise butterbrotpapierdickes Blech. Ich lasse sie noch eine Weile mit der Antwort in der Luft hängen, dann verrate ich es ihr. Unter waschechten Künstlern gibt es schließlich keine Geheimnisse.

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