Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Die beste Zeit des Lebens

Inzwischen ist Spenglermeister Peter Bruckmoser angekommen. Der erfahrene Handwerker und Geschäftsführer des Münchner Fachbetriebes Bruckmoser GmbH gilt bei Kunden und Architekten als zuverlässiger Partner – seine Kollegen schätzen ihn als Fachgruppenleiter der Münchner Spenglerinnung. Gegenüber BAUMETALL berichtet der ehemalige Wandergeselle von seinen Erfahrungen, die er als beste Zeit seines Lebens bezeichnet: „Der Weg durch Städte und Länder formt die Persönlichkeit“, sagt Peter Bruckmoser, der frei auf Wanderschaft ging, ohne einem sogenannten Schacht anzugehören. Zu Fuß unterwegs war der Spengler in ganz Europa, besuchte Hamburg, Genf, Paris und Wien. Zwischen 1985 und 1986 legte er weit über 5000 km zurück. „Mal schläft man unter der Brücke, mal beim Bürgermeister,“ skizziert Peter Bruckmoser gelassen die Bandbreite seiner Erlebnisse. Zu denen gehört, der Witterung standzuhalten, bei Hitze und Kälte weiterzugehen und zu arbeiten, sobald sich die Chance bietet. „Diese Möglichkeit bekommt man nie wieder. Man entwickelt nicht nur die Persönlichkeit, sondern auch die fachliche Kompetenz.“

Faszinierendes Abenteuer

Die Freiheit unterwegs übt vielleicht die größte Anziehungskraft aus, nach der bestandenen Gesellenprüfung loszuziehen. Die strengen Bedingungen für die Wanderschaft verdeutlichen am besten, wie zwei Jahre ungebundenes Leben aussehen: Um auf die Reise zu gehen, musste der Spenglergeselle ledig und jünger als 30 Jahre sein. Eine eigene Wohnung, Kinder und Schulden waren tabu. Ein vorzeitiger Abbruch auch, wie für alle Wandergesellen. Von anderen Bequemlichkeiten, z. B. einem eigenen Auto, ganz zu schweigen. Hinzu kam die Befreiung (oder Zurückstellung) von der Wehrpflicht. Im Gepäck befand sich einzig die nötigste Wechselwäsche, gerollt in ein Tuch von 80 x 80 cm Größe. „Die Wanderschaft ist eher locker,“ bringt Peter Bruckmoser dieses Lebensgefühl auf den Punkt. Ein Lebensgefühl, das es in sich hat.

Menschenkenntnis und Lebenskunst

Unterwegs lernte der Spengler und übrigens auch Sanitärinstallateur, die wirklich essenziellen Angelegenheiten im Leben zu regeln: Wie gelangte er an Arbeit? Wo konnte er schlafen und seine Wäsche waschen? „Mit der Zeit wurde ich sehr versiert darin, wie ich auf Leute zugehe und sie anspreche“, beschreibt der Spenglermeister die wiederkehrende Suche nach einer Unterkunft. Auf der Wanderschaft bekam Peter Bruckmoser ein sehr gutes Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen, z. B. wie die eigene Persönlichkeit auf Menschen in einer unbekannten Region wirkt. Der Spengler lernte in der Fremde am besten, seine handwerklichen Fähigkeiten präzise einzuschätzen und ständig zu erweitern – eine wesentliche Voraussetzung beim Vorsprechen in einer wechselnden Umgebung.

Handwerkliches Geschick bei der Arbeitssuche

„Arbeit findet man in der einen Stadt gut, in einer anderen Gegend eher schlecht“, erinnert sich Peter Bruckmoser rückblickend. Verzweiflung, wenn es anders als erhofft läuft, war nicht angebracht. Als wertvolle Erfahrung kristallisierte sich heraus, neue Strategien zu probieren: „Zuerst versuchte ich, auf Firmen zuzugehen und um Arbeit vorzusprechen. Das war weniger erfolgreich.“ Eine zweite Variante verlief wesentlich besser. Nach Ankunft in einer neuen Stadt begab sich Peter Bruckmoser auf den Weg durch die Straßen und hielt Ausschau nach Baustellen, auf denen Spengler arbeiteten. „Dann bin ich aufs Dach rauf und sprach vor. Das hatte den Vorteil, dass ich sofort sehen konnte, wie gut der Betrieb arbeiten konnte und ob es sich für mich lohnen würde, eine Zeit lang mitzuarbeiten“, erklärt der Spenglermeister eine Strategie, die hervorragend in Wien funktionierte. In den prominentesten Gassen der Innenstadt arbeitete er mit an der Gestaltung der Sehenswürdigkeiten. Nach erledigter Arbeit weiterempfohlen zu werden stellte die Qualifikationen des Handwerkers besonders eindrucksvoll unter Beweis. Denn die nächste Baustelle bestimmte auch das nächste Reiseziel.

Verständigung im Ausland

Durch Frankreich zu wandern war weniger leicht. „Ohne sehr gute Sprachkenntnisse geht nichts. Französisch im Alltag zu verstehen und zu sprechen muss man lernen, leben und erfahren“, sagt Peter Bruckmoser, dem die Sprache zuvor aus der Schule vertraut war. Aber um sich in Paris auf einer Baustelle zu verständigen, dazu gehört mehr. Orientiert hat sich Peter Bruckmoser an Einwanderern, die in der Fremde dasselbe Problem zu meistern hatten wie er. „In der Deutsch-Schweiz lief es besonders gut, denn dort ist die Mentalität der Menschen ähnlich der unseren“, unterstreicht der Spenglermeister. Deshalb ist die Eidgenossenschaft unter allen besuchten Regionen sein Favorit. „Arbeit fand ich relativ leicht, sogar im Dezember, und die Kontakte, die ich dort geknüpft habe, bestehen bis heute.“

Empfehlung: Organisiert wandern

Peter Bruckmoser empfiehlt allen Handwerksgesellen loszuziehen. Davon abraten würde er keinem. „Jeder soll gehen. Man reift in diesen zwei Jahren wie andere in sechs bis acht Jahren. Der eigene Weitblick wird riesig.“ Einfacher als der Weg, den der Spenglermeister wählte, ist es, in einer Gesellschaft organisiert zu gehen. „Ich bin frei gereist, weil es zu der Zeit keinen Schacht für Spengler gab. Die Gesellschaft Axt und Kelle, die vielen Gewerken offen steht, lernte ich erst später kennen.“ Erfahrene Begleiter bereiten die Gesellen besser vor auf die wichtigsten Regeln, die zu beachten sind. Im europäischen Dachverband C.C.E.G. sind die größten wandernden Zünfte aus Frankreich und dem deutschsprachigen Raum organisiert. Auf seinem Internetportal präsentiert der Dachverband Links zu den bekannten Gesellschaften, unter ihnen das 1891 gegründete Rolandsbruderwerk als Zunft reisender Bauhandwerker und die „Freien Vogtländer Deutschlands“ (1910). Außerhalb der C.C.E.G können sich sowohl Männer als auch Frauen dem „freien Begegnungsschacht“ (1986) und der Vereinigung „Axt und Kelle“ (1979) anschließen.

Unterstützung für Interessenten

Bis heute ist Peter Bruckmoser nicht der einzige Spengler geblieben, der auf Wanderschaft ging. Mehrere Gesellen bereitete er selbst auf ihre Reise vor. Während der langen Abwesenheit entwickelte der Spengler viele praktische Lösungen, die er heute als Tipps mit auf den Weg gibt. Dass ein Wandergeselle die eigenen Angehörigen die gesamte Zeit überhaupt nicht zu Gesicht bekommt, ist ein Mythos: „Der Kontakt nach Hause ist nie abgerissen in den zwei Jahren. Wir trafen uns in einer anderen Stadt.“

In der Spenglerei Bruckmoser schauten auch einige Handwerker auf ihrer Wanderschaft vorbei. Einen von ihnen verschlug es bis in die Karibik. Ein anderer wurde nach seiner Rückkehr nach Hamburg wieder sesshaft und führt dort einen Betrieb für Sanitärtechnik. Wer bundesweit Kontakt zu Wandergesellen sucht, findet ihn nicht nur über den Münchner Spenglermeister, sondern auch über die Innungen. Die Hamburger Innung für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik liefert beispielsweise aus erster Hand Informationen zur Wanderschaft im Klempner- und Dachdeckerhandwerk, das in der Hansestadt historisch gewachsen miteinander kooperiert – bundesweit einzigartig. Ausbildungsmeister Günther Prehn stellt den Kontakt her zu ehemaligen Wandergesellen, die jetzt in Sanitär-, Klempner- und Dachdeckerbetrieben der Elb-Metropole arbeiten. Persönliche Erfahrungen zu hören, wie sie auch Peter Bruckmoser gesammelt hat, vermittelt Interessierten am ehesten einen Eindruck, was sie auf der Wanderschaft erwartet.

Henry Rasch

ist Inhaber des Verlags Illustrierte Welten & Informationen in Berlin.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ BM E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Themenhefte
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen