Seit sieben Jahren schreibe ich in meiner Funktion als BAUMETALL-Chefredakteur Beiträge über Klempnertechnik und solche zur aktuellen Branchenentwicklung. Im vergangenen Jahr verfasste ich einige Artikel über zeitgemäße Ausbildung und lernte dabei zahlreiche Nachwuchsklempner kennen. Ich erzählte ihnen von meinem ersten Arbeitseinsatz auf einem Stehfalzdach und davon, dass ich „gehörigen Schiss“ auf dem wackeligen Gerüst hatte. Damals war ich gerade zwölf Jahre alt geworden. Ich ahnte nicht, wie rasch sich aus anfänglichem Unbehagen eine bis heute andauernde Faszination für den Klempnerberuf entwickeln würde. Fast 38 Jahre sind seither vergangen – mehr als zwei Jahrzehnte davon verbrachte ich mit der Blechschere in der Hand auf Stehfalzdächern im Großraum Stuttgart.
Meine Schilderungen weckten das Interesse der jungen Kollegen und sie baten mich darum, meine persönliche Klempnergeschichte in der BAUMETALL zu veröffentlichen. Und so sitze ich heute am Redaktionsschreibtisch und frage mich, über welche Episode meines beruflichen Werdegangs ich berichten könnte. Um mich inspirieren zu lassen, krame ich im Archiv einige Fotos meiner letzten Baustelle hervor. Die Aufnahmen des aluminiumbedachten Schwarzwaldhauses bringen mich schließlich auf die Idee, einen Beitrag über meinen Wechsel vom Dach in die Redaktion zu schreiben. Und obwohl die Ausführung der Klempnerarbeiten bereits sieben Jahre zurückliegt, könnte sich die folgende Begebenheit auch gestern ereignet haben.
Zurück in die Zukunft
Seit jeher gehört das Stehfalzdach zu den hochpreisigen Produkten. Und ebenso wenig wie Äpfel mit Birnen verglichen werden können, sollten Metallbedachungen mit günstigeren Dachziegeln oder Betondachsteinen konkurrieren. Klempner wissen das, doch Bauherren nicht immer. Der Auftraggeber des hier vorgestellten Stehfalzdaches schien eine Ausnahme zu sein – ein Mann, der wusste, was er will! Mit der Bitte, ein Angebot für ein braunes Stehfalzdach aus Aluminium zu erstellen, stand er eines Tages in der Werkstatt unseres Familienbetriebes. Mit keiner Silbe musste er von den Vorteilen einer Stehfalzeindeckung überzeugt werden, im Gegenteil: Er nannte Argumente wie Langlebigkeit, Sturmsicherheit oder geringes Eigengewicht und bekundete seine Bereitschaft, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen.
Es folgten zahlreiche Beratungsgespräche und Baustellentermine, denn die Details des schmucken Daches hatten es in sich. Im Zuge einer umfangreichen Dachsanierung wurden neue Schleppgauben gebaut und über bereits bestehenden Gauben platziert. Die Dimensionierung ineinander greifender Kehlprofile war daher ebenso aufwendig wie die Ermittlung der Schareinteilung. Das Falzraster sollte in Abhängigkeit der Schornsteine symmetrisch angeordnet werden und schnell war klar: Standard-Deckbreiten sind an diesem Dach die Ausnahme und die Anfertigung von Passscharen die Regel. Doch damit nicht genug: Die Wunschliste des Auftraggebers beinhaltete außerdem Wetterfahnen, Dachspitzen, geschwungene Schornsteinhauben und eine ebenfalls aus farbbeschichtetem Aluminium bestehende Dachentwässerungsanlage.
45° steil und 15°C unter Null
Nach Vorlage diverser Referenzfotos und Materialmuster sowie der Abgabe eines detaillierten Einheitspreis-Angebotes ging es los. Da sich der Starttermin inzwischen verzögert hatte, klopfte der sich ankündigende Winter bereits an die Tür. Nachdem der Zimmerer die Dachflächen von zuvor vorhandenen Bitumenschindeln befreit und mit einer neuen und belüfteten Holzschalung versehen hatte, folgte die Montage der Dachrinnen bei herrlichem Herbstwetter. Zur Eindeckung der Stehfalzscharen auf dem teilweise über 45° geneigten Dach meinte es Petrus nicht mehr so gut mit uns. Immer häufiger bestiegen wir das Dach mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube und rückten dem sich nachts gebildeten Frost mit dem Gasbrenner zu Leibe. Die größten Herausforderungen brachten jedoch die komplexe Geometrie der steilen Dachlandschaft sowie die damit verbundenen Wegstrecken mit sich. Beim Besteigen des Daches mussten wir nicht selten über mehrere, sich wie Treppenstufen auftürmende Dachgauben steigen, um an den Arbeitsplatz zu gelangen. Die Wege waren dabei so lang, dass die in großer Zahl vorhandenen Dachdeckerleitern an manchen Tagen knapp wurden. Einziger Trost: Beim Klettern wurde uns warm, und wenn sich die Sonne zwischendurch zeigte, machte der winterliche Arbeitseinsatz sogar richtig Spaß.
Coole Leistung
Alte (Dach-)Hasen erinnern sich: Farbbeschichtetes Aluminium der Marke Falzonal wurde früher von Alcan und dann von Novelis vertrieben. Falzonal in Falzqualität ist ein Aluminium-Halbzeug in Bandform. Seine Eigenschaften sind speziell auf die Anwendung in der Klempnertechnik abgestimmt und es lässt sich selbst bei eisigen Temperaturen noch gut verarbeiten. Die Sichtseite von Falzonal ist mit einer rutschhemmenden Anti-Slip-Schutzfolie versehen. Diese Folie ist UV-beständig und kann nach Fertigstellung der Falzarbeiten bis zu sechs Monate auf den Scharen verbleiben. Offensichtlich blieb die Antirutsch-Eigenschaft der Schutzfolie aufgrund der Dachschräge nahezu wirkungslos und die Arbeitssituation auf dem Dach entsprechend gefährlich. Besonders dort, wo diffizile Falzarbeiten erforderlich waren, erinnerte der Arbeitseinsatz an eine akrobatische Zirkusnummer. Vor allem in den Morgenstunden war das wichtigste Werkzeug der Heißluftföhn. Jedoch nicht um das Aluminium, sondern die eiskalten Finger auf Falztemperatur zu bringen. Im wahrsten Sinne des Wortes gehörte diese Bauaufgabe zu den coolsten meiner aktiven Klempnerzeit. Aber irgendwie schafften wir es, dem Termindruck zu trotzen und das Projekt trotz ungünstiger Witterung in der geplanten Zeit fertigzustellen. Dass der Auftraggeber mit zum Teil sehr fantasievollen Maßnahmen den Druck auf den Preis erhöhte, ist eine andere Geschichte.
Vom Dach an den Schreibtisch
Gehörig ins Schwitzen kam ich unmittelbar nach der Bauabnahme. Nur drei Tage nachdem ich die Werkzeugkiste in der Werkstatt abgestellt hatte, saß ich in einem Schulungsraum des Deutschen Journalisten-Verbandes. Eine speziell auf die Bedürfnisse von Quereinsteigern abgestimmte Schulung vermittelte fast alles, was für Redakteure von Bedeutung ist. Wie ich es parallel dazu schaffte, meine erste BAUMETALL-Ausgabe zu veröffentlichen, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Ich behaupte aber, dass auf dem Dach sowie am Schreibtisch die Leistungsfähigkeit unter hohem Druck besonders steigt. Und ich bin sicher, dass diese Nebenwirkung immer dann auftritt, wenn man seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt!