Das historische Rathaus ist neben dem Dom das älteste Gebäude Aachens und Zeuge der langen und bewegten Stadtgeschichte. In den vergangenen Jahren wurde es nach und nach restauriert. 2010 sollte auch der älteste Turm des Gebäudes, der sogenannte Granusturm, saniert werden. Rückblick: Um das Jahr 770 errichtet war der Granusturm zunächst Teil der Kaiserpfalz Karls des Großen und wurde als Wohnturm genutzt. Die Bewohner müssen bedeutende Persönlichkeiten gewesen sein, denn der Turm wurde, für die damalige Zeit äußerst komfortabel, mit einer Warmluftheizung und einer Toilettenanlage ausgestattet. Daher wird auch vermutet, dass Kaiser Karl den Turm zeitweise persönlich bewohnte.
Im 14. Jahrhundert errichtete die Stadt Aachen auf den Fundamenten des alten kaiserlichen Krönungssaals das gotische Rathaus und bezog den Turm in das neue Gebäude mit ein. Im 17. und 19. Jahrhundert (zuletzt 1945) brannte der hölzerne Dachaufbau mehrmals aus und wurde ebenso oft neu errichtet. Das heutige Erscheinungsbild entstand 1978 nach Entwürfen von Dombaumeister Leo Hugot auf Grundlage des spätmittelalterlichen Vorbilds von 1330.
Da die letzte Sanierung der Turmspitze erst 30 Jahre zurücklag, wurden keine größeren Schäden erwartet. Rainer Schüpphaus, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Dacharbeiten am Rathaus, ging daher zunächst von einem kleineren Witterungsschaden an der schrägen Schieferdachfläche aus, als er zu seiner Sichtung des Rathausturmes ansetzte.
Fehlerhafte Löttechnik
Vom Autokran aus bot sich ihm jedoch ein Schadensbild, das sehr viel massiver war als zunächst vermutet. Die Bleieindeckung war in der handwerklichen Umsetzung mangelhaft ausgeführt worden. „Von dem 1979 verwendeten Baumetall mit 2 mm Dicke waren partiell noch 0,65 mm Restdicke vorhanden.“ erklärt Schüpphaus das Problem. „In den Überdeckungen der senkrechten Laternensäulen zeigten sich, im Besonderen zu den windseparierten Seiten, deutliche Aufwölbungen infolge unzureichender Befestigungen. Das auslaufende Korrosionsgemisch hatte großflächige Farbveränderungen auf den Schieferflächen hinterlassen.“
Falsche Überdeckungs- und Löttechniken hatten im Verlauf der Jahrzehnte einen Feuchtigkeitseintritt auf der Rückseite begünstigt. Dadurch war es zu Korrosionsschäden gekommen, die auch die Holzunterkonstruktion in Mitleidenschaft gezogen hatten. Die gesamte Eindeckung der Turmhaube musste einer gründlichen Sanierung unterzogen werden. Dafür galt es 390 m2 Blei als senkrechte Flächen, an Ornamenten, Säulen, Zinnen und Gesimsen zu erneuern.
Beratung vom Fachmann
Bleiexperte und Anwendungstechniker Jürgen Seifert von der Firma Röhr + Stolberg wurde beratend hinzugezogen. Gemeinsam analysierte man die Verarbeitungsfehler der Vergangenheit und erarbeitete eine neue Verlegetechnik für die Sanierung. Für die Flächen wurde die Materialdicke von zuvor 2 mm auf 2,5 mm erhöht. Die Arbeit an den Ornamenten erfolgte mit Blechen in 3 mm Stärke. Um einen Feuchtigkeitseintritt von außen zu verhindern, wurden gleich mehrere Maßnahmen ergriffen. Zur Begünstigung der thermisch bedingten Ausdehnung des Bleis wurden Überlappungen und Falze breiter gehalten. Für die Verbindung von Einzelzuschnitten, die nicht aus einem Stück getrieben werden konnten, wurden anstelle von Lötnähten Schweißnähte eingesetzt. Sämtliche Befestigungen wurden rückseitig mit Kupferhaften und Nägeln ausgeführt und Mauerwerksfugen mit Bleiwolle verstemmt.
Mit Kirchenblei gegen Korrosion
Ein weiterer wichtiger Schritt zur langfristigen Sicherung des historisch wertvollen Gebäudes war die Entscheidung für eine Ausführung der Bleiarbeiten in Kirchenblei. „Um der in der Regel von hinten angreifenden Korrosion durch Nachtabstrahlungs- oder Kondensatfeuchte mit erhöhtem Widerstand zu begegnen sowie um dem Gegenstandswert des bedeutenden Gebäudes zu entsprechen, konnte auf Kirchenblei nicht verzichtet werden.“ erklärt Rainer Schüpphaus die Materialwahl. Kirchenblei von Röhr + Stolberg wurde speziell für den Einsatz an historischen Gebäuden mit Denkmalschutzauflagen entwickelt. Die Besonderheit besteht in der Kombination von zwei Oberflächen. Vorderseitig befindet sich die Saturnblei-Oberfläche – rückseitig eine verzinnte Schutzschicht. Kirchenblei entspricht damit den Ansprüchen des Denkmalschutzes, der bei solchen Objekten auf eine Ausführung mit einer bleitypischen Patina besteht. Die zinnbeschichtete Rückseite des Materials hält Feuchtigkeit problemlos stand, ohne dass es zu einem typischen Korrosionsschadensbild kommt.
Detailtreue
Im Frühjahr 2011 begann der Fachbetrieb Vogel mit der Abtragung der alten Eindeckung. An Wandflächen, Säulen, Zinnen, Gesimsen und Ornamenten sollten insgesamt 12 t Blei verarbeitet werden. Zuvor mussten jedoch die Holzunterkonstruktionen aus Eichen- und Lärchenholz an vielen Stellen ausgebessert oder erneuert werden. Sie waren durch die eingedrungene Feuchtigkeit marode geworden und von Pilz befallen. Aufgrund der räumlichen Enge auf der Baustelle wurden viele der notwendigen Bleiarbeiten wie das Schneiden, Kanten und Patinieren der Bleche in der nahen Werkstatt in der Aachener Innenstadt erledigt, ebenso die Neuerstellung sämtlicher 30 Lilienornamente. Diese wurden in vielen Einzelteilen aufwendig aus den Bleiblechen in 2,5 und 3 mm Stärke getrieben. Die Verwendung von zu dünnen oder großen Blechen hätte beim Treiben womöglich zu einer starken Abtragung des Materials geführt.
Mittels Bleischweißnähten (siehe nachfolgende Seite) wurden zahlreiche Einzelteile zusammengesetzt. Die vier historischen Adlerwappen aus massivem Bleiguss waren gut erhalten. Sie wurden lediglich restauriert und mit einer neuen Unterkonstruktion versehen. Alle fertigen Ornamente wurden schließlich in passgenauen Transportverschlägen zum Turm gebracht und dort ausschließlich rückseitig befestigt. Somit konnte auf Befestigungselemente im Bewitterungsbereich verzichtet werden. Zur Sanierung des Laternenbodens wurden radial Walzbleizuschnitte mit dazwischenliegenden Schwellen verlegt. Die leichte Neigung leitet Feuchtigkeit von der Mitte zu den seitlichen Bogenöffnungen optimal ab. Eine jeweils maßgeschneiderte Bleiabdeckung erhielten die Einstiegsluke und der Sekurant.
Geschichte bewahren
Binnen eines Jahres waren sämtliche Arbeiten am Turm inklusive Gerüstauf- und -abbau erledigt, sodass der berühmte Aachener Weihnachtsmarkt 2011 bereits wieder ungestört stattfinden konnte. Der Granusturm ist durch eine durchdachte handwerkliche Ausführung und die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien nun wieder für Jahrhunderte gegen Wind und Wetter gewappnet. All das sowie der Einsatz moderner Schweißtechnik hätte Kaiser Karl bestimmt gefallen.
BAUTAFEL
Objekt: Dachsanierung des Granusturms am historischen Rathaus, Aachen
Bauherr: Stadt Aachen, Gebäudemanagement
Material: Kirchenblei der Röhr + Stolberg GmbH, Krefeld
Bauleitung: Rainer Schüpphaus, Wermelskirchen
Fachbetrieb: Vogel Bedachung KG, Aachen
Technik-Special
Bleischweißen
Eine besondere Herausforderung der Arbeiten am Granusturm war die Fertigung der 30 Lilien in der Fassadenverzierung. Diese wurden aus Einzelteilen getrieben und dann mittels Schweißtechnik verbunden.
Das Schweißen von Blei ist eine bewährte Verbindungstechnik im Denkmalschutz. Anders als beim Löten wird beim Schweißen eine homogene Verbindung geschaffen, da Schweißdraht und Blech die gleiche Legierung haben. Die so geschaffene Verbindung ist haltbarer und ergibt ein harmonischeres Farbbild. Die geschweißte Naht bildet dieselbe Patina wie die geschweißten Flächen, während eine gelötete Naht stets heller als das Blei bleibt. Die geschweißte Verbindung hat die gleiche Längendehnung wie das Blech selbst und auch die gleiche Festigkeit.
Bei fachgerechter Ausführung sind mit dem Bleischweißen keine gesundheitlichen Gefahren verbunden. Aufgrund des niedrigen Schmelzpunktes bei 327 Grad Celsius erfolgt das Schweißen mit kleiner Flamme. Obendrein kommen im Handwerk nur sehr dünne Lote zum Einsatz. Die entstehenden Dämpfe sind minimal und verflüchtigen sich schnell. Das Tragen einer Maske oder Schutzbrille ist nicht erforderlich. Lediglich das Tragen von Handschuhen wird empfohlen. Beim großflächigen Einsatz in der Industrie sollte sicherheitshalber eine Frischluftmaske getragen werden.
Informationen und Schulungen zur Verarbeitung von Blei erhalten Sie bei der Röhr + Stolberg GmbH.
Autorin
INGA Richrath leitet die Marketingabteilung der Röhr + Stolberg GmbH in Krefeld.