Lange wurde die aufwändige Sanierung einer im 18. Jahrhundert in der Stuttgarter Weststadt errichteten Jugendstilvilla aufgeschoben. Neben dem Dach musste auch die komplette, mit vielen Verzierungen versehene Sandsteinfassade aufwändig restauriert werden. Bei der Sanierung sollte die Wärmedämmung des Dachaufbaus an die heutigen Ansprüche angepasst und gleichzeitig der Denkmalschutz beachtet werden. Außerdem verursachte auf der Dachdeckung stehendes Wasser größere Probleme. Die im Laufe der Zeit ausgeführten Erweiterungen und Umbauten wurden oft nur provisorisch eingedichtet. Besonders im Bereich der Kehlen drang immer wieder Feuchtigkeit ins Gebäudeinnere ein. Ursprünglich sollten sämtliche Klempnerarbeiten in Titanzink ausgeführt werden. Auf ausdrücklichen Wunsch des Denkmalamtes wurden die Dachgauben jedoch mit walzblankem Kupfer bekleidet. Folglich musste auch die speziell angefertigte Sima-Rinne aus Kupfer hergestellt werden.
Die ursprüngliche Ausführung des Traufdetails bestand aus einer Gesimsabdeckung und einer vorgehängten, halbrunden Rinne. Der neue Dachaufbau wurde durch eine Aufsparrendämmung und eine Konterlattung entsprechend erhöht. Außerdem wurden in enger Absprache mit dem Beauftragten des Denkmalamtes verschiedene Details entwickelt. Beispielsweise erhielt die neue Sima-Rinne eine halbrunde Verblendung, wodurch die konstruktiv bedingte Erhöhung des Dachaufbaus effektiv kaschiert wurde. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung war die unauffällige Positionierung der Zuluftöffnung zur Dachflächenhinterlüftung mittels einer gelochten Ziegelauflageleiste.
Der immer wieder problematische Dachbereich am Ziergiebel und am Schornstein musste vom Zimmermann komplett überarbeitet und das Gefälle so geändert werden, dass in flach geneigten Zonen keine Querfälze benötigt wurden. Ein weiterer Vorteil: Durch den höheren Dachaufbau konnte auch eine sichere und vertiefte Kehlausbildung realisiert werden.
Turmsanierung mit Highlight
Seit jeher bietet der Turm der Villa seinen Besitzern einen herrlichen Ausblick über die Dächer von Stuttgart. Um diese zu genießen führt der Weg auf den Turm über eine kleine Wendeltreppe, welche durch einen raffinierten Drehmechanismus sogar geschlossen werden kann. Aus Klempnersicht stand jedoch nicht die grandiose Aussicht, sondern vielmehr die spannende Sanierungsaufgabe an der Turmbedachung im Vordergrund.
Wie bereits befürchtet, war durch die undichte Dachdeckung Wasser eingedrungen. Die acht Tragpfosten, welche über 4,00 m in das Gebäudeinnere ragten, waren bereits derart zerstört, dass ein Austausch unumgänglich war.
Die diversen Verzierungen und Rundprofile des Turmes fertigten wir nach alter Vorgabe auf unserer Schechtl MAX-CNC Abkantmaschine. Dabei konnten wir sämtlichen Rundungen per Kanttechnik herstellen. Die ursprüngliche Deckenbekleidung bestand aus verzinktem Stahlblech. Im Randbereich war ein Kupferstreifen als Übergang zur Titanzinkverkleidung montiert. Durch Tauwasserbildung und Luftfeuchtigkeit war die Deckenbekleidung stark verrostet. Erstaunlich: Im Bereich des durch den Kupferstreifen getrennten Überganges waren trotz des direkten Kontaktes zwischen Kupfer und Titanzink nur normale alterungsbedingte Zerstörungsspuren zu sehen (Bild Nr. 5), was überaus erstaunlich war. Bei der Sanierung der Deckenbekleidung entschieden wir uns dennoch zur Verbesserung der Konstruktion, das Turmdach über einen 4,00 cm breiten Lüftungsspalt zu belüften.
Das Highlight der Turmsanierung war die Restauration eines Zinkornamentes in Form einer stilisierten Sonne mit geschwungenen Strahlen. Die neu angefertigten Sonnenstrahlen wurden mit einem 8,00 mm hohen Bord sowie einer mittig platzierten Sicke versehen und auf die Deckenverkleidung aufgelötet. Leider wurde die neue Sonne auf Wunsch des Bauherren nicht mehr dem Original entsprechend blattvergoldet, sondern lediglich vom Maler mit goldener Farbe angestrichen.
Motivierender Auftrag
Der besondere Auftrag motivierte auch unseren Seniorchef Rolf Sieber. Kurzerhand entschied er sich, seinen Ruhestand vorübergehend auszusetzen und für einen gewissen Zeitraum wieder ins Arbeitsleben einzutauchen. Dank seiner Erfahrung sowie die durch ihn erfolgte, liebevolle Nachbildung diverser Ornamente und Bauteile, war es uns möglich, dem Gebäude zu seinem ehemaligen Glanz zu verhelfen. Das Ergebnis ist ein architektonisches Glanzlicht, dass auch auf unserer Referenzliste einen besonderen Platz erhalten wird.
Stichwort Sima Rinne
Der Begriff Sima bezeichnet geschwungene Dachränder, wie sie bereits in der antiken Architektur angewandt wurden. Oft bestanden die traufseitig angebrachten Rinnen sowie die am Giebel angebrachten Dachrandprofile aus gebranntem Ton oder Marmor. Kunstvolle Dekors, Bemalungen oder Reliefs zierten die Bauteile – das anfallende Regenwasser wurde in einer Rinne gefasst und gleichmäßig verteilt über Wasserspeier abgeführt.
BAUTAFEL
Zur Geschichte des Turms
Die 1899 von Architekt Karl Hengerer erbaute Jugendstilvilla wurde als zweistöckiger Wohnbau konzipiert. Wie auf alten Zeichnungen zu sehen ist, stand auf dem Turmdach ursprünglich eine etwa 4,00 m hohe Spitze. Diese wurde im ersten Weltkrieg beschädigt und durch eine kleinere ersetzt. Während das Nachbarhaus im zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, überstand dieses Gebäude den Krieg fast unbeschädigt. Bei einem der letzten Luftangriffe wurde nach Aussage der Mutter des Eigentümers durch eine Druckwelle die Kugel an der Turmspitze eingedrückt.
Architektur: Freier Architekt BDA, Werner Krehl, Aichwald
Fachbetrieb: Flaschnerei Stefan Sieber, Stuttgart
Material: Walzblankes Kupfer und Titanzink, 0,7 und 0,8 mm
Autor
Stefan Sieber
ist Klempnermeister und Inhaber des gleichnamigen Klempnerfachbetriebes in Stuttgart.