Sie ist fließend, die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Fiktion und Klempnertechnik, zwischen Kunst und gut gemeint. Während sich der avantgardistische Lyriker Gottfried Benn mit philosophischen Gegenteilen beschäftigte, erkannte Hermann Hesse, dass eingeengter Weltgeist oder lähmende Gewöhnung jedem Aufbruch zu neuen Entwicklungsstufen entgegenstehe.
Ähnlich tiefgründig sind Mike Fleischers Gedanken über Baumetalle, Fassaden und über Klempnertechnik: „Die Idee für etwas Neues, für etwas Besonderes. Sie eint alle, entwickelt Kräfte, treibt an, will Gestalt annehmen und sichtbar werden. Diese Idee braucht Menschen, Menschen wie uns. Die bereit sind, ihr zu folgen, sich für sie einzusetzen, für sie zu kämpfen. Und am Ende werden es die Hände sein, die aus der Idee Wirklichkeit werden lassen. Unsere Hände.“
Fata Morgana³
Die Metallfassade des Blockheizkraftwerks Möckern (Leipzig) ist ein echter Hingucker. Sie besticht durch matt spiegelnde Schindeln aus eloxiertem Aluminium, die den Baukörper wellenförmig umkleiden. Scheinbar, denn erst bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Anordnung der indirekt befestigten, dreieckigen Metallelemente folgt einem ganz bestimmten geometrischen Muster.
Um die raffinierte Anordnung der Dreiecksschindeln besser zu verstehen, ist eine Exkursion in die Grundlagen der Geometrie durchaus angebracht. Wir erinnern uns: Ein herkömmliches Geodreieck ist ein Lineal in Form eines rechtwinkligen, gleichschenkligen Dreiecks. Per Definition sind bei einem gleichschenkligen Dreieck mindestens zwei Seiten gleich lang. Diese beiden Seiten bzw. Schenkel bilden zusammen mit der Basis die Dreiecks-Grundform. Der Punkt, an dem beide Schenkel zusammentreffen, ist die Dreiecksspitze und der entsprechende Winkel ist der Winkel an der Spitze. Gegenüberliegend befindet sich die Grundlinie des Dreiecks. Und der Abstand vom Winkel an der Spitze bis zur Grundlinie ist die sogenannte Dreieckshöhe. So weit, so verstanden.
Zurück zur Fassade und ihrer speziellen Schindelanordnung, wo der suchende Blick des Betrachters unvermeidlich auf die Dreiecksschindeln mit der größten Deckbreite gelenkt wird. Ausgehend von den geradlinig übereinander angeordneten, gleichseitigen Dreiecken verjüngt sich die Deckbreite der links und rechts angrenzenden Schindeln von Deckreihe zu Deckreihe. Oder anders formuliert: Die entsprechenden Dreiecksschindeln werden bei gleichbleibender Dreiecks-Grundlinie immer stumpfwinkliger und ihre Dreieckshöhe immer kürzer, doch damit nicht genug: Durch diesen Trick entsteht in Verbindung mit der matt spiegelnden Schindeloberfläche ein beeindruckender optischer Effekt.
Beachtlich dabei ist, dass an der Fassade weniger als ein Dutzend unterschiedliche Dreiecksschindeln mit jeweils verschiedenen Dreiecksseiten montiert wurden. Durch die exakte Anordnung der Schindeln entsteht entlang ihrer Seiten eine prägnante und harmonisch verlaufende Wellenlinie. Sie täuscht nicht nur die Sinne des Betrachters, sondern scheint die Geradlinigkeit des Baukörpers geradezu aufzulösen. Nebenbei bemerkt handelt es sich bei diesem Effekt keinesfalls um eine Fata Morgana. Zwar leiten entsprechende Luftspiegelungen den Betrachter ebenfalls in die Irre. Die optische Wahrnehmungstäuschung einer Fata Morgana entsteht jedoch durch die Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten und ist folglich ein auf dem fermatschen Prinzip basierender optischer Effekt.
Energiewirbel und diffuser Spiegel
Mike Fleischer entwickelte den Fassadenentwurf gemeinsam mit Architektin Susann Stiehl und den Planern von Thoma Architekten. Dabei machte sich der innovative Metallexperte vom ersten Augenblick Gedanken über ein optimal zum Bauvorhaben passendes Fassadendesign: „Mir war klar, dass eine herkömmliche Schindelfassade zwar möglich, aber nicht gerade einfallsreich sein würde“, erinnert sich der Experte. Stattdessen überlegte Mike Fleischer, ob es eine Möglichkeit gäbe, einen Halbkreis optisch auf einer ebenen Fläche darzustellen beziehungsweise die Ansicht eines Zylinders auf eine ebene Fläche zu übertragen. Natürlich geht das – man muss es nur wollen und das Blockheizkraftwerk Möckern ist wahrgewordener Beweis: „Das entsprechende Schindelraster erzeugt einen regelrechten Wirbel auf der Fassade“, schwärmt Mike Fleischer und fügt hinzu: „In Kombination mit der matt glänzenden Schindeloberfläche entsteht ein riesiger diffuser Spiegel, der die Umgebung auf die Fassade überträgt und das Gebäude in jeder Lichtsituation anders aussehen lässt. Ein vorbeifahrendes gelbes Postauto lässt die Fassade für einen kurzen Augenblick gelb aufleuchten und die untergehende Abendsonne zaubert ein länger anhaltendes purpurfarbenes Lichtspektrum auf unsere Schindeln.“
Tatsächlich passen solche Farbspektren perfekt zur Nutzung des Bauwerks. Mehr noch: In Verbindung mit dem wellenförmigen Falzraster entstehen regelrechte Energiewirbel auf der Gebäudehülle des Blockheizkraftwerks. Im übertragenen Sinn scheint die Aluminiumfassade die energiegeladenen Vorgänge im Inneren der Anlage auf die Fassadenoberfläche zu projizieren.
Konstruktion und Details
Auf den bis zu 12 m hohen, betonierten Außenwänden des Blockheizkraftwerks befestigte das Montageteam von Fleischer Metallfaszinationen zunächst zahlreiche Fassadenkonsolen, die mineralische Wärmedämmung und eine aus Aluminiumprofilen bestehende, senkrecht angeordnete Montageebene. Anschließend erfolgte die Installation der waagrecht verlaufenden Trapezprofiltafeln als Befestigungsebene für die Aluminiumschindeln. Die Montage der Unterkonstruktion sowie der mit entsprechenden Positionsnummern gravierten Schindeln wurde vom Rollgerüst bzw. dem Scherenlift aus erledigt. Zur indirekten Befestigung der Aluminium-Dreiecke kamen klassische Liegehafte und Nieten zum Einsatz.
Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung war die Ausbildung der Schindel-Kreuzpunkte. Bedingt durch die dreieckige Grundform der Fassadenelemente wurden entsprechende Ausklinkungen so ausgebildet, dass bis zu sechs Schindeln ohne nennenswerte Materialaufdopplung zusammentreffen konnten. Ein weiteres Merkmal der faszinierenden Fassade ist die unterbrechungsfreie Schindelanordnung an den Gebäude-Außen- und -Innenecken. Anstatt unschöne Eck- oder Überschubleisten zu verwenden, wurde jede einzelne Schindel passgenau um die entsprechende Ecke geführt.
Ausgezeichnetes Ergebnis
Eine vorgehängte und hinterlüftete Fassade dieses Kalibers ist etwas Besonderes – übrigens nicht nur in der Klempnerbranche. Es wundert folglich nicht, dass die Aluminiumfassade des Blockheizkraftwerks Möckern zusammen mit vier weiteren Fassadenschönheiten beim Deutschen Fassadenpreis 2022 des Fachverbands Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e. V. (FVHF) nominiert und schließlich mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Der Verband FVHF lobte den Architekturpreis im Jahr 2022 bereits zum 14. Mal aus. In der Pressemitteilung des FVHF heißt es: „Das Büro Thoma Architekten (Berlin/Leipzig) ergriff die Gelegenheit für einen ganz besonderen Fassadenentwurf. Ihnen gelang mit dem Neubau des Blockheizkraftwerks eine elegante, ästhetische Integration in den städtebaulichen Kontext.“ Und die Wettbewerbsjury bringt es mit der Aussage: „Ein atmosphärischer Gewinn für Stadt und Gesellschaft“ auf den Punkt. Dem schließt sich das BAUMETALL-Team vorbehaltlos an und beglückwünscht die Teams von Fleischer Metallfaszinationen sowie Thoma Architekten zu dieser zauberhaften Arbeit!
Bautafel
Objekt: Neubau, Blockheizkraftwerk Möckern (Leipzig)
Architektur: Thoma Architekten (Berlin/Leipzig)
Fachbetrieb: Fleischer Metallfaszinationen, Neuhaus am Rennweg
Fassade: Vorgehängte hinterlüftete Aluminium-Schindelfassade
Material: Eloxiertes, mattpoliertes Aluminium