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Klempner im Goldrausch

Irgendetwas ist anders, hier in Schwabach bei Nürnberg. Bei meinem Stadtrundgang entdecke ich wunderschöne Schilder und Beschriftungen an Geschäften, Gastronomiebetrieben, öffentlichen Einrichtungen oder Geldinstituten. Warum die Rabensteins, Schreyers oder Hüttlingers sowie die Schwabacher Buchhandlung, das Bürgerhaus oder die Raiffeisenbank vergoldete Schriftzüge an den Fassaden angebracht haben, erklärt mein Gastgeber Christian Scheuring so: „Seit über 500 Jahren wird in Schwabach Blattgold geschlagen. In unseren Glanzzeiten arbeiteten die Goldschläger in nahezu jedem Schwabacher Hinterhof. Heute gibt es nur noch eine einzige Goldschlägerei, die alle Arbeitsschritte der Blattgoldproduktion hier in Schwabach ausführt. Das eine oder andere blattvergoldete Ladenschild erinnert somit an eine stolze und glänzende Vergangenheit.“

Als Christian Scheuring das erzählt, stehen wir vor einem alten und verlassenen Gemäuer irgendwo im Labyrinth der Schwabacher Altstadtgassen. „Hier haben wir jahrzehntelang Blattgold hergestellt“, sagt Scheuring, dessen Blattgoldschlägerei Eytzinger vor rund 30 Jahren aus wirtschaftlichen und logistischen Gründen ins Industriegebiet umgezogen ist. Dass die Goldanlieferung sowie der Abtransport des Blattgoldes hier in der Altstadt per Lkw überaus schwierig sein können, leuchtet mir ein. Ob das wertvolle Edelmetall jedoch jemals in solchen Mengen verarbeitet wurde, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig einschätzen.

Faszination Blattgold

Wir gehen weiter und stoßen auf einen Cortenstahl-bekleideten Kubus, der im historischen Umfeld wie ein Fremdkörper auf mich wirkt. In seinem Innern sind merkwürdig angeordnete Apparate und Werkzeuge sowie scheinbar arbeitende Figuren zu sehen. Bei genauerer Betrachtung entdecke ich eine Vorrichtung, die mich an eine Spengler-Rundbiegemaschine erinnert, aus der gerade ein Messingblechstreifen herausläuft. „Das ist die Schwabacher Goldschläger-Schauwerkstatt“, kommentiert Scheuring. „Hier wird dargestellt, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 1200 Personen in 130 Betrieben Blattgold hergestellt haben. Die meisten Arbeitsabläufe sind bis heute nahezu identisch geblieben. Der Schwabacher Gastronom Rudi Nobis initiierte und finanzierte diese Einrichtung, damit die Nachwelt mehr über unsere glänzende Vergangenheit erfährt.“

Nachdem wir die scheinbar vom Himmel gefallene Eisenbox passiert haben, erkunden wir die Goldschlägerstube im Goldenen Stern. Der in das urige Umfeld eines fränkischen Gasthofes integrierte Gastraum beherbergt zahlreiche Goldschlägerutensilien: Perfekt dekorierte Arrangements veranschaulichen nicht nur, wie fertiges Blattgold aussieht, sondern auch mit welchen Werkzeugen verschiedenartige Produkte vergoldet werden. Ein besonders köstliches Beispiel präsentiert mein Gastgeber, als unser mit Blattgold garniertes Abendessen serviert wird. Ich bin fasziniert und freue mich auf den nächsten Tag, denn dann erfahre ich endlich, wie in der letzten Blattgoldschlägerei Deutschlands Blattgold hergestellt wird.

Goldrausch im Museum

Aufmerksamen BAUMETALL-Lesern ist Christian Scheuring als Leiter des BAUMETALL-Workshops „Faszination Blattgold“ bekannt. Bereits drei Mal verzauberte er die Teilnehmer mit seinem hauchdünnen Edelmetall. Brachte ihnen bei, wie die Haftemulsion verdünnt und aufgetragen wird. Gab Tipps zum fachgerechten Umgang mit Vergolderkissen , Vergoldermesser, Anschießer und Vergolderpinsel. Und immer dann, wenn das letzte Blatt aufgelegt und jede Kupferkugel rundherum vergoldet und poliert ist, glänzen nicht nur die Werkstücke der Teilnehmer, sondern auch deren Augen. „Christian Scheurings Workshop im Europäischen Klempner- und Kupferschmiedemuseum ist ein ganz besonderes Erlebnis“, versichert eine Teilnehmerin, und ein gestandener Klempnermeister ergänzt: „Ich hatte anfangs großen Respekt vor dem hauchdünnen Metall. Während des Workshops habe ich mir immer mehr zugetraut und es schließlich geschafft, meine erste Turmkugel zu vergolden. Ich bin begeistert!“

Besuch bei den letzten Blattgoldschlägern

Ich betrete das moderne Firmengebäude der Blattgoldschlägerei Eytzinger. Links der Empfang und die Büros, rechts das Besprechungszimmer. Christian Scheuring führt mich durch lange Gänge, vorbei an der Cafeteria und mitten ins Herz des Unternehmens. Ich erkenne einige Maschinen, die ich in ähnlicher Ausführung schon in der ein oder anderen Spenglerwerkstatt beziehungsweise gestern in der Goldschläger-Schauwerkstatt gesehen habe: ein Walzwerk, das an eine Rundbiegemaschine erinnert. Eine miniaturisierte Schlagschere. Eine stark verkleinerte Ab­coil­haspel. Eine noch kleinere Abcoilanlage. Dann wird es spannend – oder besser gesagt heiß: Am Schmelzofen steht Susi Wegler. Sie ist für die Herstellung der Goldbarren und somit für die ersten Arbeitsschritte der Blattgoldherstellung verantwortlich. Bei 1200 °C verflüssigt sie das 24-karätige Edelmetall, um es anschließend in eine Stahlform zu gießen. Nachdem der goldene Rohling erstarrt ist, öffnet Wegler die Gussform und schreckt den Barren im Wasserbad ab. Jetzt folgt das Walzen. Auch dieser Vorgang erinnert mich an Spenglertechnik – besser gesagt an das Walzen von Kupfer, Titanzink oder anderen Baumetallen. In mehreren Durchgängen wird der ca. 4 cm breite und etwa zollstocklange Goldbarren auf die für Spengler kaum vorstellbare Blechdicke von 0,015 mm gewalzt. Das goldene Band ist inzwischen gut 50 m lang und noch immer weit davon entfernt, Blattgold genannt zu werden. Nebenbei bemerkt: Der kleine Coil ist gute 20 000 Euro wert und Ausgangsmaterial für unzählige Blattgoldbriefe und andere Produkte – aber dazu später mehr …

Meisterliche Goldschläger

Werner Auer hat das Goldschlägerhandwerk noch von der Pike auf gelernt. Vor rund 30 Jahren begann er seine Ausbildung. „Früher gab es, wie für jeden anderen Handwerksberuf, Berufsschulunterricht, Prüfungen und Gesellenbriefe“, erinnert sich der Goldschläger-Meister. Das ist lange her. Heute findet die Aus- und Weiterbildung des Eytzinger-Teams direkt in der 50 Mitarbeiter starken Blattgoldschlägerei statt. Das Betriebsklima ist entsprechend gut – die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit lang. „Wir legen großen Wert auf angenehme und saubere Arbeitsbedingungen“, sagt Scheuring, der mich in einen schalldichten Schlagraum führt, in dem zwei gewaltige Goldschlägerhämmer sogenannte Schlagformen vollautomatisch bearbeiten. Eine Fördereinheit spuckt eine der Formen aus. Werner Auer öffnet diese routiniert, nimmt einzelne Blätter heraus, hält sie gegen das Licht, prüft ihre Beschaffenheit: „Nach dem Schlagvorgang ist das Blattgold nur noch 0,000125 mm dünn. In einer Form ­befinden sich über 1000 Blätter. Damit diese nach dem Schlagen leicht voneinander getrennt werden können, verwenden wir spezielle Kunststofffolien und eine Gipspulvermischung als Trennmittel. Würde man 8000 Goldblätter aufeinanderlegen, ergäbe die Gesamtdicke exakt 1 mm“, erklärt Auer. Dann verschließt er das geprüfte Paket, legt es auf einen massiven Steinblock und platziert mit seinem 4,6 kg schweren Goldschlägerhammer einige punktgenaue Schläge. Dabei dreht und wendet er die Form blitzschnell, ohne sich dabei auf die Finger zu schlagen. Sein hochkonzentrierter Gesichtsausdruck unterstreicht die Bedeutung dieses Arbeitsganges, der dem Eytzinger-Blattgold den letzten Schliff verleiht – oder besser gesagt: den letzten Schlag verpasst.

Vielseitig bei der Herstellung und in der Anwendung

Scheuring führt mich dem Arbeitsablauf folgend durch weitere Abteilungen des Unternehmens. So werden zum Beispiel bei den Goldbeschneiderinnen Büchlein aus Seidenpapier mit Blattgold befüllt. Dabei werden die vom Schlagvorgang ovalen bis runden Goldblätter in reiner Handarbeit auf das Format 80 x 80 mm zugeschnitten und einzeln zwischen Seidenpapier gelegt. Vom Blattgold befreite Schlagformen werden anschließend in der Bräunerei gereinigt, die Folien erneut mit Gipspulver bestäubt, mit dickem Lotgold befüllt und das Ganze dem Produktionskreislauf abermals zugeführt.

Um die hohe Qualität der Eytzinger-Blattgoldprodukte zu gewährleisten, werden ausnahmslos alle Arbeitsschritte vor Ort durchgeführt. Außerdem stellt Eytzinger auch die zum Verkauf erforderlichen Verpackungen und Blattgoldhefte her. Nebenbei bemerkt: Die Blattgoldschlägerei Eytzinger trägt eines der ältesten eingetragenen Markenzeichen Deutschlands. Das 1867 gegründete Unternehmen ist seit 1890 am Eytzinger-Krokodil zu erkennen, aber zurück zu den Produkten aus Blattgold: „Die klassische Anwendung der Blattvergoldung im Bauwesen – etwa durch Kirchenmaler, Spengler oder Restauratoren – ist immer noch ein wichtiger Absatzmarkt“, so Scheuring: „Seit einigen Jahren geht die Nachfrage jedoch drastisch zurück. Selbst repräsentative Großprojekte wie die Restaurierung der über 275 Jahre alten Berliner Staatsoper Unter den Linden brechen mit der Tradition. Stattdessen favorisiert das dort zuständige Denkmalamt Produkte der sogenannten künstlerischen Moderne.“ Konkret heißt das: Anstatt bei der Restaurierung den Originalzustand des ehrwürdigen Gebäudes wiederherzustellen, wurde im Innenraum auf echte Blattvergoldungen verzichtet. Ersatzweise entschieden sich die Verantwortlichen für die Erneuerung des in den 1950er-Jahren erstmals aufgebrachten Schlagmetalls, ein unedles und unbeständiges Imitationsgold aus Kupfer und Zink. Das ist schade, denn Entscheidungen wie diese tragen maßgeblich zum Niedergang des Blattgoldschläger- und Vergolderhandwerks bei. „Setzt man den Materialpreis des benötigten Blattgoldes in Relation zu den reinen Renovierungskosten der Staatsoper, ist diese aus Spargründen getroffene Entscheidung erst recht nicht mehr nachvollziehbar“, ärgert sich Scheuring und verweist auf wirklich teure Planungskatastrophen wie den Berliner Flughafen und andere Groß­projekte.

Zurück im Besprechungsraum präsentiert Scheuring eine unglaublich große Farbpalette unterschiedlicher Goldtöne. Ob klassisch, rötlich warm oder gräulich kalt – Eytzinger kreiert durch das Zulegieren von Platin und anderen Edelmetallen eine unglaubliche Produktvielfalt. In einer Vitrine entdecke ich einige Verpackungen und Produkte, die das Markenkrokodil mit Kochmütze zeigen. „Das ist unser Gourmet-Gold“, erklärt Scheuring stolz. Eytzinger war die erste Blattgoldschlägerei in Europa, die offiziell als Lebensmittelhersteller für essbares Gold und Silber angemeldet wurde. Die Produktlinie Gourmet-Blattgold ist jedoch keineswegs „nur“ ein Accessoire für Sterneköche. Essbares Gold wird seit über

800 Jahren als Medizin und zunehmend auch in der Kosmetikindustrie angewandt. Das Label Goldgourmet ist folglich international bekannt. Ein weiteres Eytzinger-Standbein sind Blattgoldprodukte für die Kosmetikbranche, die das Schwabacher Unternehmen mit großem Erfolg weltweit vertreibt.

Comeback eines traditionsreichen Handwerks

„Unser Überleben verdanken wir unserem Umzug an den neuen Standort, der kontinuierlichen Produkt-Weiterentwicklung sowie der Erschließung neuer Marktbereiche“, sagt Scheuring. Dennoch konnte die enorme Innovationskraft des Eytzinger-Teams den Niedergang einer gesamten Branche nicht verhindern. Dass einige wenige Unternehmen nach wie vor Blattgoldprodukte in Schwabach vertreiben, macht die ­Situation auch nicht besser – im Gegenteil: Die Verlagerung des Blattgoldschlagens ins Ausland hat letztendlich dazu geführt, dass die ­kammerorientierte Ausbildung aufgegeben wurde, was dem traditionsreichen Beruf den Todesstoß versetzte. Als ich Scheuring nach der Qualität entsprechender Auslandsprodukte frage, runzelt er die Stirn. „Unabhängig vom Qualitätsanspruch ist der Versuch, Absatzmärkte über den Preis zurückzuerobern, der falsche Weg“, lautet seine Antwort.„Ziel muss es sein, das Goldschlägerhandwerk mit modernen Mitteln für den Nachwuchs wieder interessant zu machen. Dazu benötigt es aber auch moderne Produkte wie unsere kosmetischen Erzeugnisse. Wenn es uns gelingt, die Faszination Blattgold an die junge Generation weiterzugeben, dann sehe ich eine gute Chance für ein Comeback unserer Branche.“

Mich hat Christian Scheuring mit seinem Optimismus und seinen Produkten längst überzeugt. Ich bin sicher, dass es dem überaus einfallsreichen Unternehmer gelingen kann, die Blattgoldschlägerei Eytzinger weiter umzustrukturieren. Und ich wünsche dem innovativen Eytzinger-Team, dass es zukünftig weder Personal- noch Absatzsorgen haben mag. Was mich zuversichtlich macht? Einerseits jüngste Erfolge im Architekturbereich, etwa die Blattgoldlieferung zur Vergoldung der riesigen Uhr von Mekka. Andererseits die Präsenz des Unternehmens im Health- und Lifestyle-Bereich, wo Blattgoldprodukte für Kosmetikanwendungen oder in Gourmetküchen eingesetzt werden. Mit dem Ziel, neue Märkte zu entdecken, entwickelt Eytzinger aktuell eine weitere Produktlinie. Es bleibt also spannend in Schwabach – nicht nur dann, wenn die Zurichterinnen hauchdünne Goldblättchen vom Schlagpaket ins Blattgoldheft bugsieren, sondern auch, wenn Christian Scheuring wieder einmal eine neue Idee verfolgt …

Bild: BAUMETALL
Bild: BAUMETALL
Bild: BAUMETALL
Ein Blattgoldschläger in Aktion
Bild: BAUMETALL
Ein Blattgoldschläger in Aktion
Bild: BAUMETALL
1 Schwabacher Goldschläger-Schauwerkstatt
2 Blattgoldexperte Christian Scheuring
3 Blick in die Schauwerkstatt
4 Blattvergoldete Metallbuchstaben
5 BAUMETALL-Vergolderworkshop6 Christian Scheuring 7Margot Blamberger trägt Sturmgold auf8Die Teilnehmer üben zunächst das Blattgold-Zuschneiden 
Bild: BAUMETALL
5 BAUMETALL-Vergolderworkshop
6 Christian Scheuring
7Margot Blamberger trägt Sturmgold auf
8Die Teilnehmer üben zunächst das Blattgold-Zuschneiden 
1 Am Schmelzofen entnimmt Susi Wegler … 2 … flüssiges Gold, um es einen Augenblick später …3 … in eine Stahlform zu gießen4 Der noch heiße Goldbarren wird im Wasserbad abgeschreckt …
Bild: BAUMETALL
1 Am Schmelzofen entnimmt Susi Wegler …
2 … flüssiges Gold, um es einen Augenblick später …
3 … in eine Stahlform zu gießen
4 Der noch heiße Goldbarren wird im Wasserbad abgeschreckt …
5 … und dann im Walzwerk bearbeitet6 Ein rund 50 m langer Blechstreifen aus purem Gold … 7 … wird mehrmals umgecoilt und durch weiteres Walzen immer dünner 8 Goldschlägermeister Werner Auer bei der Blattgoldprüfung
Bild: BAUMETALL
5 … und dann im Walzwerk bearbeitet
6 Ein rund 50 m langer Blechstreifen aus purem Gold …
7 … wird mehrmals umgecoilt und durch weiteres Walzen immer dünner
8 Goldschlägermeister Werner Auer bei der Blattgoldprüfung
1 Über 1000 Goldblätter befinden sich in einer Schlagform2 Mit dem Hammer korrigiert Werner Auer letzte Nuancen 3Zurichterinnen heben hauchdünne Goldblättchen aus dem Schlagpaket, schneiden sie zu … 4 … und bugsieren die Blätter dann geschickt in ein Blattgoldheft 5 Eytzinger produziert Blattgold in zahlreichen Farbnuancen
Bild: BAUMETALL
1 Über 1000 Goldblätter befinden sich in einer Schlagform
2 Mit dem Hammer korrigiert Werner Auer letzte Nuancen
3Zurichterinnen heben hauchdünne Goldblättchen aus dem Schlagpaket, schneiden sie zu …
4 … und bugsieren die Blätter dann geschickt in ein Blattgoldheft
5 Eytzinger produziert Blattgold in zahlreichen Farbnuancen
Essbares Blattgold
Bild: BAUMETALL
Essbares Blattgold

Vergolder-Workshop

Am 14. Februar 2020 in Karlstadt bei Würzburg

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