Alles, was ich weiß, ist, dass ich ohne dich nur noch die Hälfte wert bin. Ich brauche dich so“, lautet eine übersetzte Textzeile des 1985 veröffentlichten Hits „Broken Wings“ der US-amerikanischen Pop-rock-Band Mr. Mister. Ob die Bandmitglieder um Studiomusiker und Komponist Richard Page damals schon wussten, dass ihre Hilferufe eines Tages erhört würden? Vielleicht. Und womöglich nannten sie ihr Erfolgsalbum aus genau diesem Grund auch „Welcome to the Real World“. Sicher: Richard Page und Caroline Sporer sind sich im echten Leben noch nie begegnet. Dass ausgerechnet der in zwei Hälften zerbrochene Engel auf dem Turm der Pfarr- und Klosterkirche St. Gabriel in München-Haidhausen knapp 35 Jahre später die Rolle des Vermittlers übernehmen würde, hätten beide niemals erwartet. Klingt seltsam – könnte dennoch so geschehen sein …
Stürmische Nacht
Die Windfahne auf dem 45 m hohen Glockenturm des 1925 bis 1926 erbauten Gotteshauses wurde durch einen Sturmschaden beschädigt. Die in Form eines musizierenden Engels gestaltete Windfahne drohte, jeden Augenblick in die Tiefe zu stürzen. Eilig zur Hilfe gerufene Höhenretter sicherten den himmlischen Rockstar, indem sie ihn an der Bruchstelle auseinandertrennten und den oberen Teil der Figur auf den Boden der Tatsachen verfrachteten. Der von der Engelsbrust abwärts auf dem Turm verbleibende Windfahnenrest war somit tatsächlich nur noch die Hälfte wert – vielleicht sogar noch weniger als das. Und fast so als sei der himmlische Hilferuf erhört worden, beauftragte die Kirchengemeinde den Fachbetrieb Lorenz Sporer mit dem Abbau der unteren Engelhälfte und der fachgerechten Restauration des Wetterengels.
Zu Besuch im Spenglerhimmel
„Als der unsachgemäß zerlegte St. Gabriel vor uns stand, breitete sich eine seltsame Stimmung in unserer Werkstatt aus“, erinnert sich Caroline Sporer. „Traurig sah er aus – der einst so stolze Engel mit seiner Flügelbreite von fast 3 m.“ Wieder zusammengesetzt sollte er zu seiner ursprünglichen Größe von knapp 3 m Höhe zurückfinden. Doch bis es so weit war, lag noch jede Menge Arbeit vor den Ornamentenspenglern. Und wie immer musste sich das Sporer-Team auf zahlreiche Überraschungen und Anforderungen einstellen, die erst mit Beginn der Arbeit zutage traten. Passend dazu heißt es an einer weiteren Textstelle des eingangs erwähnten Popsongs: „Ich denke, heute Nacht können wir über all das reden, was falsch gelaufen ist, und versuchen, die Sache wieder geradezubiegen.“ Ob Werkstattleiter Detlef Rheinwein und sein Kollege Daniel Bausch ihren Patienten singen hörten und ihm daraufhin tief in die Augen geschaut haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Die sich anschließende erfolgreiche Operation ließe allerdings den entsprechenden Rückschluss zu.
Zunächst wurde in enger Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt erörtert, welche Restaurationsmaßnahmen den denkmalpflegerischen Anforderungen gerecht würden. Um die Figur stabil und fachgerecht wieder zusammenzusetzen, wurde die Innenkonstruktion komplett erneuert. Dazu kam neben zahlreichen stabilen Querverbindern auch 45-mm-Vollmaterial aus Stahl der Güte S355 zum Einsatz. Den entsprechenden Segen zum Einbau der Hilfs- und Stabilisierungsmaßnahmen erteilte ein zu Hilfe gerufener Statiker. Weitere Restaurationsmaßnahmen waren zum Beispiel die Wiederherstellung des Kugellagers sowie das Verschließen des zuvor geöffneten Körpers. Dazu wurde sowohl Schweiß- als auch Löttechnik eingesetzt. Aber auch die Vorbereitung zur Vergoldung und das Auflegen der Blattvergoldung durch den Fachbetrieb Müllner wurden fachgerecht erledigt.
Singende Rückkehr
Die Montage des restaurierten St. Gabriel erfolgte bei herrlichem Spenglerwetter. Auf seinem Weg zurück an seinen Ursprungsplatz wurde der himmlische Popstar von den Teams der Fachbetriebe Alex Stanger und Lorenz Sporer begleitet. Und wer weiß? Vielleicht hatte der eine oder andere Spengler folgende Textzeile des Popsongs von Mr. Mister im Ohr: „Nimm diese gebrochenen Flügel und lerne wieder zu fliegen …“. Sicher ist: Wer jetzt in genau diesem Augenblick die Stimmen von Mr. Mister singen hört, hat zumindest für den Rest des Tages einen wunderbaren Ohrwurm im Kopf. Ein Radiohit, der ab sofort mit einem wunderbaren Spenglerbild verknüpft werden kann. Himmlisch!