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Harte Tatsachen vom anderen Ende der Welt

Fast alle Klempner hier im Bundesstaat Victoria sind „Union- Mitglieder“. Die Union ist eine Art Gewerkschaft, die sehr gut auf uns Klempner „aufpasst“. Wir bezahlen alle sechs Monate unseren Beitrag, bekommen dafür ein neues Kärtchen zugeschickt und genießen dann alle Vorteile der Mitgliedschaft. Wir dürfen dann zum Beispiel nach Hause gehen, wenn es von morgens bis 11 Uhr durchgeregnet hat oder wenn das Thermometer mehr als 35°C anzeigt – alles bei voller Lohnfortzahlung versteht sich. Das ist für uns nicht schlecht, freut den Chef allerdings nicht so sehr…

Kommerzielle und private Bauvorhaben

Wir unterscheiden im wesentlichen zwischen zwei Arbeitsbereichen. Einerseits sind das die „Commercial-Jobs“, gigantische Aufträge auf riesigen Baustellen und meistens mitten in der City. Andererseits beschäftigen wir uns auch mit „Domestic-Jobs“. Dabei handelt es sich vorwiegend um Arbeiten für Privatkunden. Wenn man auf einer „Commercial-Baustelle“ arbeitet, benötigt man eine „Induction“. Das ist eine Unterweisung, die alle Handwerker bekommen, wenn sie zum ersten Mal auf der entsprechenden Baustelle eingesetzt werden. Man nimmt um sieben Uhr in der provisorischen Kantine Platz und wird von dem „Supervisor“ auf Gefahren und Regeln hingewiesen. Außerdem erfährt man wo die Toiletten sind, aber auch, wo sich das nächstbeste Café befindet. Anschließend wird allerhand Papierkram ausgefüllt und alle müssen ihr Union-Kärtchen vorzeigen. Das ist natürlich am Wichtigsten! Da diese Großbaustellen meistens von der Union unterstützt werden, darf dort niemand ohne aktuelles Kärtchen arbeiten. Es gibt aber auch noch die sogenannte „Redcard“. Die erhält man nach einem absolvierten Tageskurs über Gefahren auf der Baustelle, vorausgesetzt, der abschließende Test wurde bestanden.

Baustellenleben

Das beste an den Commercial-Jobs ist: es gibt Frauentoiletten! Das Schlimmste dagegen ist das strickte Einhalten der Union-Regeln. Man darf beispielsweise nicht mit elektrischen Maschinen auf dem Gerüst arbeiten wenn es ein wenig geregnet hat. Auch ist das Anstellen einer Leiter auf nassem Boden verboten. Gerüstdielen- oder Stangen dürfen nicht einmal kurzzeitig entfernt und wieder montiert werden. Immer wieder müssen wir auf den herbeigerufenen Gerüstbauer warten, was schonmal dauern kann...

Insgesamt fällt mir auf, dass auf Großbaustellen das Arbeitstempo erheblich unter den vielen Genehmigungen und Bestimmungen leidet. So werden aus acht potenziell produktiven Stunden eben nur vier oder fünf. Das wiederum gefällt vielen Australiern sehr. Als Europäer gewöhne ich mich jedoch nur sehr schwer an diese „Umstände“. Das ist auch der Hauptgrund, warum wir (mein Boss stammt aus Südafrika) fast ausschließlich mit „Domestic-Jobs“ beschäftigt sind. Übrigens: Auf den Privatbaustellen muss man nicht einmal sein Kärtchen zeigen…

Australische Edelklempner

Zu 95% sieht das Dach eines australischen Einfamilienhauses folgendermaßen aus: Walmdach mit sehr sehr geringer Neigung. Der australische Klempner (Roofplumber) kommt und deckt dieses Dach mit Stahl-Wellprofilen oder mit Stahl-Klickfalz-Profilen ein. Da es so gut wie nie vorgehängte Dachrinnen gibt, entstehen Lagerrinnen in teilweise unfassbar riesigen Zuschnitten. Diese bestehen, wie die Dacheindeckung, ebenfalls aus Stahl. Der Roofplumber (umgangssprachlich auch „ozzy-roofer“) geht bei den Nähten dieser „Badewannen“ meist weder sorgfältig noch besonders ordentlich vor. Im Gegenteil: Allzu gerne ordnet er die Nähte der Rinnen sogar gegen die Wasserlaufrichtung an und das funktioniert so: Man nehme massenhaft Silikon, spritze es zwischen beide Profile und auf die Nieten obendrauf, verschmiere das Ganze gewissenhaft mit einem Spachtel oder alten Löffel und versichere dem erstaunten Klempner aus Deutschland anschließend, dass die Rinne ein Leben lang halten wird…

Die Montage von Abdeckungen wird leider ähnlich gehandhabt. Wiederkehr? Abstand zur Mauer? Wieso? Je enger desto windsicherer, oder? Befestigt werden die Abdeckungen meist in „sicheren“ Abständen von 1,50 m unter Verwendung von Nägeln oder Schrauben samt Gummidichtung. Am Ende wird ein kleiner oder größerer Klecks Silikon aufgespachtelt – sicher ist eben sicher. Richtig was zu sehen gibt es übrigens an Dachdurchbrüchen, Schornsteinen, Rohrdurchführungen und Schlauchanschlüssen für Klimaanlagen. Es versteht sich von selbst, dass anspruchsvoll genietete Anschlüsse tipptop mit Silikon eingeschmiert werden.

German-Klempner machen’s schön!

Wie erwähnt weisen die Walmdächer eine sehr geringe Neigung auf. Das hat vor allem den Vorteil, dass man die Dachflächen von unten nicht sehen kann. Und was man nicht sehen kann, darf auch nicht viel kosten. Warum also teuren Zink oder sogar Kupfer auf das Dach legen? Nachbarn und Freunde können das Dach von unten sowieso nicht sehen. Das macht doch keinen Sinn, stimmt´s? Jedoch ist die Fassade bereits von weitem sichtbar und genau hier kommt der „German-Klempner“ ins Spiel. Wir sind für das Visuelle verantwortlich. Beinahe ausnahmslos stellen wir daher hübsche Fassaden her – bekleiden Wände sowohl im Gebäudeinneren als auch Außen. Diese müssen natürlich unbedingt von unten und überall zu sehen sein. Und was Sonderstatus besitzt, kostet eben eine richtige Stange Geld. Die Umsetzung funktioniert folgendermaßen:

Zunächst treffen wir uns mit dem Bauleiter und unserem Vorarbeiter auf der Baustelle, um alle Details zu besprechen. Diese müssen vom Architekten schriftlich genehmigt werden. Danach messen wir die Baustelle aus. Zuhause geben wir die „Blech-Bestellung“ auf, was bedeutet, dass wir dreidimensionale Zeichnungen anfertigen. Diese faxen wir anschließend in die Werkstatt, wo die entsprechenden Profile gekantet werden. Meisten werden die Profile bereits nach drei Tagen per LKW angeliefert.

Beliebte Klempnerdetails

Bei australischen Architekten stehen Bekleidungen wie Interlocking, Flatlock und natürlich Standing Seam (Winkelstehfalz) hoch im Kurs. Walzblankes Titanzink habe ich hier so oft gesehen wie hinterlüftete Konstruktionen – noch nie. In Australien verarbeitetes Titanzink besitzt entweder eine blaugraue oder eine anthrazitfarbene Oberfläche und stammt aus Deutschland oder Frankreich. Unterkonstruktionen sind eher selten, dafür werden Fassadenelemente oft direkt an die Wand gedübelt. Interessanterweise werden meine Fragen nach der Hinterlüftung ab und zu mit „Dazu gibt es doch Klimaanlagen!“ beantwortet. Doch glücklicherweise verarbeiten wir Titanzink, das mit einer Beschichtung gegen Rückseitenkorrosion ausgestattet ist. So verrottet, wenn überhaupt vorhanden, nur die unter dem Metall angebrachte Holzplatte…

Man mag kaum glauben was bei der Bauabnahme passiert, wenn nicht einmal über den kleinsten Makel hinweggesehen wird: Ein Fingerabdruck auf dem „Blech“! Was? Das muss sofort ausgetauscht werden! Die Schattenfuge ist links 2 mm größer als rechts! Was? Sofort ändern!

Beim dunklen Zink ist das Material an den Kantungen aber leicht heller. Was? Kann das nicht retuschiert werden? Die Lötnaht ist so silberfarben! Was?…

Richtig lustig wird es, wenn man Architekten oder Bauherren eine Winkelfalzschar mit rückseitiger schneeweißer Schutzbeschichtung zur Bemusterung mitbringt und dann gefragt wird: „Wo ist den die Vorder- und wo die Rückseite?“ oder „In welche Richtung zeigen die Falze an der fertigen Wand?“ Kann man sich das vorstellen?

Es ist kaum zu fassen, doch jede Woche lernt man mindestens einen Menschen auf der Baustelle kennen, der fragt: „So what is that stuff“ Er berührt dann die Zinkprofile und fragt, wo es so was gibt und fügt an, dass er so etwas noch nie gesehen habe. Anschließend wundert sich der Fachmann, dass der „stuff“ so weich ist und staunt zudem über all die Werkzeuge in unserem Koffer. Die hat er ebenfalls noch nie gesehen. Einmal fragte mich jemand, wofür die vielen verschiedenen Werkzeuge seien, er würde sein Stahlblech schließlich auch nur mit Grippzange (als Falzzange) und einer Schere bearbeiten. Wieder ein Anderer meinte, man könne den „stuff“ doch mit dem Teppichmesser schneiden. Ein Weiterer hatte mir einst versichert, man könne Zink unmöglich löten, warum ich das nicht wisse. Und verglichen mit den „Blechdacharbeiten“ seinerseits (wie oben erwähnt) würden wir ja genau denselben Job machen.

Altmodischer Fremder

Wenn man uns auf der Baustelle löten sieht, bekommt man oft ein belächeltes „ah – you still do it old-school, hey?“ zu Ohren. Wie ich sagte, Australien ist anders...

Liebe Kollegen ich sage euch, es ist nicht immer einfach mitanzusehen, was den Dächern, beziehungsweise den Profilen, hier „angetan“ wird. Doch entschädigt wird man durch die glücklichen Gesichter der Bauherren bei der Bauabnahme. Auch wenn unsere Arbeit zuweilen ganz schön hart ist, die Mischung aus außergewöhnlichen Jobs und dem oft als Bonus mitgelieferten Blick vom Dach auf den Ozean sind für mich das Schönste. In diesem Sinne...

Ihre Anke Brinkmann

AUTORin: Anke Brinkmann

AUTORIN

Anke Brinkmann ist Klempnermeisterin und arbeitet seit 2008 bei der Firma Architectural Cladding Australia Pty Ltd im australischen Melbourne.

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