Die Erbauer des Doms von Siena bewiesen im 13. Jahrhundert Weitblick. Sie wählten ein großes Felsplateau als Fundament, das ein Höchstmaß an Stabilität und Sicherheit gewährleistete. So konnte der Dom auch in einer traditionell von Erdbeben bedrohten Region über Jahrhunderte hinweg seine volle Pracht entfalten.
Bauliche Meisterwerke erfordern grundsätzlich vorschauendes Planen und Handeln. Schließlich drohen nicht nur Extreme der Natur. Der Zahn der Zeit nagt unaufhörlich an der gesamten Gebäudesubstanz. Gerade filigrane Gebäude wie der Dom von Siena sind von allen Seiten anfällig gegen Umwelt- und Witterungseinflüsse jeglicher Art. Kulturell wertvolle Innenräume und Fassadendetails erfordern einen wirksamen Schutz gegen Witterungseinflüsse jeder Art. Daher ist die Ausführung von Bedachungen und Abdeckungen ebenso wichtig wie die des Fundamentes.
Zuverlässiger Schutz war beim Dom von Siena von Anfang an das oberste Gebot. Es galt, die zahlreichen Renaissance-Kunstschätze vor witterungsbedingten Schäden zu bewahren. Von unschätzbarem Wert sind beispielsweise die kunstvollen Büsten von zahlreichen Päpsten und Kaisern oder aber der Marmorfußboden mit aufwändigen Gravuren und Einlegearbeiten. Auch die Kirchenfassade ist ein seltenes Meisterwerk: Die dreiachsige Westfront in romanisch-gotischem Stil ist aufwändig mit Statuen, Säulen und eingelegtem Marmor dekoriert. Folgerichtig setzten die Bauherren der Kathedrale auf die modernsten und langlebigsten Lösungen. Eine zentrale Rolle spielte schon früh der Werkstoff Walzblei.
Entscheidung mit schweren Folgen
Über Jahrhunderte sorgte Walzblei für zuverlässigen Schutz an Bedachung und Fassade. Nach einem Dachbrand zum Ende des 19. Jahrhunderts musste die gesamte traditionelle Bleieindeckung erneuert werden. Hierbei setzten die Planer auf eine Deckungstechnik, die sich als wenig zweckmäßig erweisen sollte. Statt die Bleibleche im traditionellen Doppelfalzsystem zu verarbeiten, befestigte man sie anhand einer T-Eisenleiste auf dem Dach. Die Leiste wurde mit Blei seitlich aufgebogen und zusätzlich mit einer Blei-abdeckung in U-Form überstülpt. Seitlich an den T-Eisenleisten befestigte Kupferschrauben dienten der Befestigung der Bleche.
Die gewählte Lösung erwies sich als Fehlentscheidung mit schwerwiegenden Folgen. Besonders fatal: Die Konstruktion ließ dem Bleiblech keinen Raum zur Längenausdehnung bei Temperaturunterschieden. Die Schraubenlöcher wurden im ständigen Wechsel der Jahreszeiten immer größer und rissen häufig seitlich halbmondförmig aus. Ein weiterer Ausführungsfehler verschlimmerte die Situation noch. Die Querstöße der Schare wurden nur circa 100 mm einfach überdeckt. Dies hatte zur Folge, dass bei der geringen Dachneigung von 12 º die Kapillarität zweier aufeinander liegender Bleche zur Wirkung kam. Insgesamt traten fast auf der gesamten Fläche der an die Kuppel anschließenden Satteldächer Lecks auf, die erhebliche Folgeschäden nach sich zogen. „Die Bleideckung hat kaum mehr als 100 Jahre lang gehalten“, bemerkt Andreas Hausherr, bautechnischer Berater für Bleieindeckungen im Denkmalschutz. „Dies gilt quasi als ein Schadenfall“. Schließlich wurden Bleibleche von bis zu vier Millimetern Dicke eingesetzt, die mehrere Jahrhunderte lang überdauern können. Im Jahre 2007 war eine umfassende Sanierung unumgänglich.
Über den Köpfen der Besucher
Das Sanierungsprojekt war gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Auf einer Gesamtfläche von etwa 1600 m2 musste die Bleieindeckung dreier Dächer komplett erneuert werden. „Es kam vor allem darauf an, rund 55 t Walzblei zur richtigen Zeit in der passenden Abmessung an den richtigen Ort zu bringen“, berichtet der bautechnische Berater Andreas Hausherr.
Schon bei der Planung mussten unterschiedlichste Aspekte beachtet werden, die weit über eine reine Dachsanierung hinausgingen. Von Anfang an war klar, dass sich eine effiziente Logistik nur durch einen leistungsfähigen Baukran möglich ist. So musste vor allem gewährleistet werden, dass die schweren Bleischare sicher ihren Platz in luftiger Höhe erreichen. Die engen Gassen rund um die Kathedrale bieten jedoch wenig Raum für eine stabile Krankonstruktion. Letztlich wurde der Kranfuß mittels zehn Meter langer Spezialschrauben im felsigen Untergrund befestigt.
Hinzu kam, dass die Sanierungsarbeiten quasi über den Köpfen der Dombesucher realisiert wurden. Immerhin strömen jedes Jahr über eine Million Menschen in die toskanische Sehenswürdigkeit. Auch während der Sanierungsarbeiten hielt der Besucherstrom nahezu unverändert an. Zahlreiche Vorkehrungen sorgten dafür, dass die Arbeiten für Besucher weitgehend unbemerkt und vor allem sicher vonstatten gingen. Baugerüst und Notdach wurden so konstruiert, dass sie höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Zusätzlich verhinderten massive Bretterverschläge und großflächige, reißfeste Netze ein Herunterfallen von Werkzeug und Baumaterialien.
Besonders wichtig war zudem ein zuverlässiger Witterungsschutz der gesamten Baustelle. Während der Demontage der alten Bleideckung sowie der anschließenden Sanierungsarbeiten mussten Gebäude, Handwerker und Gerät zuverlässig vor Niederschlag geschützt werden. Daher wurde aus Gerüstgestänge
INFO
Rundum meisterliche Handwerkskunst
Der Dom von Siena ist einer der schönsten und baugeschichtlich interessantesten Kirchenbauten Europas. Die Kathedrale wurde zwar bis heute nicht fertiggestellt, zeigt jedoch traditionelle Handwerkskunst in Vollendung.
1136 n. Chr.: Der Bürgerausschuss von Siena beschließt, einen Sakralbau am höchsten Punkt der Innenstadt zu erbauen.
1259-1264: Die sechseckige Kuppel wird errichtet. Sie sitzt auf einer so genannten Trommel, die aus einem doppelten Säulengang besteht.
1284: Giovanni Pisano wird mit der Errichtung der Domfassade aus weißem Marmor beauftragt.
1348: Die Bauarbeiten für den „Duomo Novo“ werden aufgrund einer Pestepidemie sowie der mangelnden Haltbarkeit des Gebäudes eingestellt.
1382: Die Apsis, das Mittelschiff sowie die Fassade des alten Doms werden fertiggestellt.
1400-1500: Künstler schaffen 172 Büsten von Päpsten sowie von 36 Kaisern, die im Inneren des Mittelschiffes aufgestellt werden.
1877: Augusto Castellani bereichert die drei Spitzen der Fassade mit aufwändigen Mosaiken.
1958: Enrico Manfrini erschafft ein Bronzeportal mit einer kunstvollen Darstellung der Jungfrau Maria, die durch Gott und die Menschen verherrlicht wird.
Bautafel
Projekt: Erneuerung der Dach-Unterkonstruktion und Walzblei-Eindeckung am Dom von Siena
Bauherr: OPA Opera del Duomo di Siena
Planungsleitung: Architekturbüro Roberto Fineschi, Siena
Bauleitung: Ingenieurbüro Claudio Pistolozzi, Siena
Verarbeiter: Gronda di Rossano Bartoli, Siena
Materialhersteller: Kontakt über Gütegemeinschaft Bleihalbzeug e.V., Krefeld
Autor
Andreas hausherr
ist technischer Berater von Umicore Italien