Monatelang mussten sich Bonner Studenten an Gerüsten vorbeizwängen, um in die Hörsäle zu gelangen. Fast ein Jahr lang war der Westturm der Bonner Universität komplett eingerüstet. Während unter den Dächern der Studienbetrieb weiterging, wurde über den Dächern gehämmert, genagelt und gebohrt. Als Hauptgebäude der Universität Bonn dient das einstige Residenzschloss der Kurfürsten mit vier vorspringenden turmähnlichen Eckbauten. Die Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute barocke Schlossanlage zählt zu den prachtvollsten Bauwerken Bonns und ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die in Ockergelb und Grau getauchte Anlage wurde im Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen zerstört und bis 1951 wieder aufgebaut. Seither wird das Hauptgebäude von verschiedenen Einrichtungen der Universität genutzt. In den letzten Jahren zeigten sich verstärkt Schäden an den vier Ecktürmen. Auf den Turmflächen und Anschlüssen bildeten sich Löcher und undichte Stellen. Dadurch konnte nicht nur Regen in die Dachkonstruktion eindringen, sondern auch Taubenkolonien, die mit ihrem Kot die Dachkonstruktion massiv beschädigten.
Im Frühjahr 2011 kamen die Verantwortlichen nach wiederholten Bauwerksprüfungen zu dem Schluss, dass eine umfassende Sanierung unumgänglich ist. Sie entschieden sich als erstes den Westturm zu sanieren, da hier das Schadensbild besonders ausgeprägt war. Aus Gründen der Denkmalpflege, aber auch aus funktional-ästhetischen Gesichtspunkten war Walzblei einer der vorherrschenden Werkstoffe bei der Sanierung. Neben Turmhaube, Sockeldecke und Plattform der Laterne wurden zahlreiche Gesimse mit Walzblei eingedeckt. Nachdem die Arbeiten am Turmdach nun beendet sind, soll nach dem gleichen Prinzip 2013 der Südturm saniert werden.
Schnellkurs zum Walzblei-Profi
Großflächige Walzblei-Anwendungen zählen nicht zum Standardrepertoire aller Architekten und Ingenieure. Auch für das beauftragte Ingenieurbüro Koopmann in Köln stellte die Turmsanierung eine neue Dimension in der Anwendung von Walzblei dar. Insgesamt war eine Fläche von rund 150 m2 mit zahlreichen ganz unterschiedlichen Anschlüssen einzukleiden. „Ich habe mein Wissen über den Werkstoff Walzblei gezielt ergänzt und vertieft“, berichtet Thomas Weiler vom Ingenieurbüro Koopmann. Gemeinsam mit dem Bauherrn, dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, war das Ingenieurbüro für die Planung und örtliche Bauleitung verantwortlich. „Besonders hilfreich war für mich das technische Handbuch über Walzblei, das klare Verarbeitungsregeln festlegt.“ Das vierteilige Handbuch wurde von der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V. in Abstimmung mit dem ZVSHK und dem Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) entwickelt. Es beschreibt alle Ausführungen mit Walzblei mit anschaulichen Grafiken, Texten und Tabellen. Als während der Planungs- und Ausschreibungsphase noch Fragen auftauchten, suchte Ingenieur Weiler telefonisch Rat bei der Gütegemeinschaft Saturnblei. Zudem traf er sich zweimal mit einem materialtechnischen Berater der Gütegemeinschaft vor Ort, um spezielle Verarbeitungstechniken durchzusprechen. Vor Baubeginn stimmte das Ingenieurbüro Koopmann alle Detailpläne nochmal mit dem ausführenden Betrieb Prange Dächer aus Brilon ab.
Während der rund einjährigen Bauzeit fuhr Weiler fast täglich auf die Baustelle, um den Baufortschritt zu verfolgen. Wichtige Abschnitte aus dem „Handbuch für die Verarbeitung von Saturnblei“ hatte er als Kopie immer griffbereit. Vor Ort prüfte er, ob das Material fachgerecht eingebaut und alle Anschlüsse sauber ausgeführt wurden. Waren Abweichungen von der Planung erforderlich, besprach er mit dem zuständigen Vorarbeiter von Prange Dächer, Udo Schmidt, mögliche Lösungen. Alle verwendeten Baustoffe und Ausführungsdetails wurden mit der unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Bonn abgestimmt.
Herausforderungen von Beginn an
Die beengten Platzverhältnisse in der Bonner Innenstadt und die Sanierung bei laufendem Uni-Betrieb stellten eine große logistische Herausforderung dar. Der Westturm grenzt unmittelbar an den Bonner City-Ring. Deshalb herrschen extrem beengte Platzverhältnisse für das Bauvorhaben. Zwischen Turm und Fahrbahn sind lediglich 50 cm Abstand. Zudem ist der Westturm nur von der Straßenseite zugänglich; die übrigen Seiten des Turms sind durch weitere Gebäudeflügel mit geringeren Firsthöhen in den Gebäudetrakt integriert. In einem angrenzenden Innenhof konnten die Gerüstbauer einen Treppenturm und einen Bauaufzug platzieren. Sie wurden mit frei spannenden Verbindungsstegen an das Baugerüst angeschlossen. Somit war die Hofzufahrt frei und der Rettungsweg für Hörsäle und Büros gewährleistet. Aufgrund der beschränkten Zuwege war sicherzustellen, dass alle Arbeitsgeräte und Materialien rechtzeitig an den Einbaustellen bereitstanden.
Aus statischen Gründen durften auf den Dachflächen der angrenzenden Gebäude keine Lasten abgesetzt werden. Deshalb musste das Gerüst freitragend sein und durfte nur am Turmgebäude befestigt werden. Die Gerüststatik machte zusätzliche lastverteilende Konstruktionen und Verankerungen an der Stahlbetonplattform der Turmlaterne erforderlich. Dadurch musste der Bauablauf zwischen den einzelnen Gewerken jeweils neu abgestimmt und optimiert werden. Die Arbeiten an der Turmlaterne und dem eigentlichen Turmdach mussten in zwei Etappen erfolgen. Nach den Gerüstbauarbeiten wurde eine Winterbaustelle eingerichtet. So konnten die Bauarbeiten auch über die Wintermonate mit nur kurzer Unterbrechung fortgeführt werden. Zunächst erfolgten umfangreiche Abbrucharbeiten: An Turmdach und -laterne wurden die alten Schiefer- und Bleieindeckungen samt Schalung abgebrochen. Zudem wurden Teile des Dachstuhls, die gefaulte Sichtschalung und die Holzgesimse der Turmlaterne entfernt. Geländer und Bekrönung der Turmlaterne wurden ebenfalls demontiert und in der Werkstatt saniert. Nach der Demontage der beschädigten Bauteile sanierten die Handwerker zunächst das Stahlbeton-Raumtragwerk des Turmdachs mit Spritzbeton. Der Korrosionsschutz der Stahlunterkonstruktion und der Spindeltreppe im Dachraum wurden erneuert. Die Arbeiten wurden von der Firma Xervon ausgeführt. Anschließend sanierten die Zimmerer von Prange Dächer die Holzunterkonstruktion der Laterne. Sie tauschten gefaulte Hölzer aus und befestigten intakte Hölzer neu.
Bleiarbeiten in luftiger Höhe
Die eigentlichen Walzbleiarbeiten erfolgten in mehreren Etappen. Die Klempner kleideten zunächst die Turmhaube ein. Die Haube hat einen achteckigen Grundriss und ihre Dachfläche ist dreidimensional gekrümmt. Entsprechend anspruchsvoll war die handwerkliche Ausführung. Die in der Werkstatt vorgekanteten Bleischare mussten zunächst an den Schalungsrücken angepasst werden, bevor sie mit Kupferhaften befestigt werden konnten. Die Verbindungen der Schare wurden wie in der ursprünglichen Eindeckung als Hohlwulste ausgeführt. Die Materialstärken richteten sich exakt nach den geltenden Verarbeitungsregeln: Aufgrund der hohen Windsoglasten in rund 50 m Höhe wurde an den Randbereichen der Turmhaube 3 bis 3,5 mm starkes Blei eingesetzt. In der Flächenmitte kam wie an allen anderen Flächen des Turms 2,5-mm-Blei zum Einsatz. Die Ausführung der Grate mit 3 mm starkem Blei war für die Handwerker besonders herausfordernd: „Wir mussten mehr Kraft als sonst aufbringen, um das dickere Material zu bearbeiten“, berichtet Klempner Udo Schmidt. Mit der richtigen Schlag- und Falztechnik gelang es den Klempnern aber, die bis zu drei ineinanderlaufenden Hohlwulste formschön zu verfalzen. Bauleiter Weiler ist vom Ergebnis begeistert: „Die Falze laufen wie gleichmäßige Bänder mit dem typischen handwerklichen Schlag an der Turmlaterne herunter.“ Am Traufabschluss wurden die Bleischare in ein gekantetes verzinntes Edelstahlprofil mit Tropfkante eingehängt.
Falzarbeiten an der Turmhaube
Besonders sorgfältig mussten die Handwerker bei der Einfassung und Abdichtung von vier runden Holzfenstern vorgehen. Da das Gerüst nach Abschluss der Arbeiten an Turmhaube und Sockeldecke zurückgebaut werden sollte, können die Fenster anschließend nicht mehr von außen überprüft und gewartet werden. Die Fenster zählen zu den wenigen Stellen an der Turmhaube, an denen das Blei gelötet wurde. Es erforderte viel Fingerspitzengefühl, die Schare in die runden Falze einzupassen. Zunächst frästen die Handwerker in den Fensterrahmen eine Nut ein. Dann trieben sie das Blei gerade in die Rundung, sodass es ca. 1 cm über die Nut hinausstand. Anschließend trieben die Klempner das Blei mit einem Holzkeil in die Nut. Zum Abschluss wurde das Blei mit einem 1K-Polyurethan-Dichtstoff verfugt. Parallel zur Bleieindeckung der Turmhaube sanierten die Handwerker die mehrteiligen, rundgebogenen Gesimse unterhalb der Haube. Um die Gesimse künftig besser vor Verwitterung zu schützen, wurden sie in Abstimmung mit der Denkmalbehörde ebenfalls mit Walzblei abgedeckt.
Keine Chance für Feuchtigkeit
In einer weiteren Etappe deckten die Handwerker die Decke des Sockels mit Walzblei ein. Die zeltdachförmige Sockeldecke war zuvor mit Schweißbahnen abgedichtet. Mit der Bleieindeckung sollte die Konstruktion künftig besser vor Feuchtigkeit geschützt sein. Mit 7% unterschreitet die Neigung der Flächen die Regeldachneigung für Metalleindeckungen. Deshalb brachten die Handwerker unter der Bleideckung ein wasserdichtes Unterdach als zweite Entwässerungsebene an. Die einzelnen Schare wurden ebenfalls mit Hohlwulsten verbunden. In die Bleidecke wurde eine Luke integriert, durch die der Zugang zum Turm zu Wartungszwecken möglich ist. Aus Gewichtsgründen wurde die Luke nicht mit Blei, sondern mit verzinntem Edelstahl eingedeckt. Im Anschluss wurde das Gerüst um die Turmlaterne abgebaut.
Lötarbeiten an Geländerstützen
In einem letzten Schritt versahen die Handwerker die Plattform der Turmlaterne mit einer Walzblei-Eindeckung. Auch hier waren zuvor Schweißbahnen eingesetzt worden. Wie bei der Sockeldecke wurde aufgrund der geringen Neigung zunächst eine zusätzliche Entwässerungsebene angebracht. Anschließend wurden die Flächen mit Hohlwulsten ausgeführt. Besonders aufwendig war die Ummantelung der insgesamt 36 filigranen Geländerstützen. Die Klempner schnitten die Verkleidungsbleche rundherum ca. 1,5 cm größer aus, damit sich das Blei der Länge und der Breite nach ausdehnen kann. Mit einem ca. 10 cm hohen und 8 cm breiten Flansch wurden die Bleche dann auf die Deckfläche aufgelötet. Parallel zu den Arbeiten deckten die Schieferdecker das Turmdach mit Moselschiefer in altdeutscher Deckung ein. Holz- und Steingesimse wurden ebenfalls oberseitig mit Blei abgedeckt. An den Übergängen zwischen Schieferdach und Gesimsen kamen Walzbleistreifen zum Einsatz. Alle Bleiflächen wurden nach der Eindeckung mit Patinieröl behandelt. So kann sich eine gleichmäßige Patina ausbilden und Ablaufspuren werden vermieden. Insgesamt setzten die Klempner am Westturm rund 10 t Walzblei ein. Den Abschluss bildet die Restaurierung der Fassade am Westturm. Im Zuge dessen werden auch die Anschlüsse der Gesimse mit Bleiwolle abgedichtet. „Die Sanierung des Westturms dient als Muster für die anderen drei Ecktürme“, sagt Bauleiter Weiler. Als nächste Etappe steht 2013 die Sanierung des Südturms an. Studenten der Bonner Uni müssen noch längere Zeit mit Gerüsten leben. Aber auf Dauer studiert es sich unter einem intakten Dach deutlich besser.
BAUTAFEL
Projekt: Sanierung des Westturms der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Bauherr: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, Niederlassung Köln
Bauleitung: Ingenieurbüro Dipl.-Ing. H. Koopmann, Köln
Material: RAL-geschütztes Saturnblei in 2,5, 3 und 3,5 mm Stärke, Patinieröl
Fachbetrieb: Prange Dächer, Brilon
Hersteller: Gütegemeinschaft Saturnblei e.V., Krefeld
Bildquelle: Saturnblei (Hauptgebäude, Lötarbeiten, Weiler), Prange Dächer (Sockeldecke vorher/nachher) Ingenieurbüro Koopmann (Turmhaube)
Autor
Thomas Koch
ist Fachautor der Agentur conovo media in Köln, zuständig für die Themen Immobilien, Bauen, Wohnen.