Die Universitäten in Großbritannien sind im direkten Wettbewerb hart gefordert. Als zahlende Kunden im Wissenschaftsbetrieb stellen Studenten immer höhere Ansprüche an die Qualität ihrer Ausbildung, an Lehrinhalte und -methoden wie auch an Serviceleistungen und räumliche Voraussetzungen. Welchen nicht zu unterschätzenden Beitrag die Architektur am Werben um den wissenschaftlichen Nachwuchs leisten kann, belegt der jüngste Fakultätsneubau der Coventry University. In Coventry wird vorwärts gedacht. Die alte Kathedrale, bekanntestes Monument für die Geschichte der im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe nahezu vollständig zerstörten Stadt, bezeugt diesen zukunftsorientierten Anspruch seit langem. Nicht etwa als anklagendes Mahnmal gegen die ehemaligen Kriegsfeinde blieb die Ruine direkt neben dem Neubau erhalten, sondern erklärtermaßen als Symbol der Aussöhnung und des gemeinsamen Neubeginns – Ideale, die in der Nachkriegszeit in den intensiven und honorierten Bemühungen der Stadtväter um Städtepartnerschaften und europäische Integration deutlich zum Ausdruck kamen. Wichtige Motoren für den Aufbruch und die Mitgestaltung der Zukunft waren auch immer die Hochschulen, die heute in zwei Universitäten konzentriert sind: die südwestlich außerhalb der Stadt gelegene University of Warwick sowie die Coventry University, deren Campus sich in östlicher Richtung an die Innenstadt anschließt. Vor allem seit dem Rückzug der ehemals für die Region so wichtigen Fahrzeug- und Motorenbauindustrie haben diese Institutionen noch zunehmend an Bedeutung gewonnen. Stand Coventry ehemals für eine hohe Konzentration an industrieller Fertigung für den Automobilsektor, so werden hier heute mit großem Erfolg die wissenschaftlichen Grundlagen für unterschiedlichste Industriesegmente geschaffen – nicht allein für die Branchen, die in jüngster Zeit hier wieder Fuß gefasst haben. Der stark praxisorientierte Lehr- und Forschungsansatz namentlich der Coventry University ist dabei ein wesentlicher Verstärker der intensiven Bindung zwischen Unternehmen und Hochschule. Die Win-Win-Situation liegt auf der Hand: Die Universität bietet begabten Studenten und Forschern interessante Projekte, die Industrie profitiert von wertvollen Ergebnissen und kann ihre wissenschaftlich geschulten Fachkräfte direkt aus dem praktisch orientierten Lehrbetrieb rekrutieren.
Ein in historischer wie auch in stadtplanerischer Hinsicht aufschlussreicher Blick fällt also durch das ehemalige Ostportal der alten Kathedrale über die Priory Street hinweg auf den Universitätscampus, vorbei am Allan Berry Building und weiteren Gebäudeensembles, die – oft von Hauptverkehrsachsen voneinander getrennt – die Geschichte einer noch jungen Universität sichtbar machen, die immer weiter aus der Innenstadt hinauswächst. Markante Landmarke am östlichen Rand ist die zur Jahrtausendwende von Short & Associates realisierte Frederick Lanchester Bibliothek, die mit ihren augenfälligen versetzten Türmchen bislang die Campusgrenze dominierte. Daneben, in direkter südlicher Nachbarschaft, hat allerdings jetzt die neueste zukunftsweisende Einrichtung der Universität ihren Betrieb aufgenommen.
Fakultät für Innovation
Der Neubau der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik verdeutlicht durch seine kompromisslose Gestaltung unmittelbar sowohl seine Bestimmung wie auch seine Bedeutung, gleichermaßen für die Universität wie für das Stadtbild. Ein perfekt quadratischer Grundriss wird von zwei L-förmigen Gebäuden umschlossen, die an der südöstlichen Ecke durch den Erschließungsbereich in Form eines gläsernen Atriums verbunden sind. Die trennende Lücke an der diagonal gegenüberliegenden Ecke öffnet den Innenhof in Richtung Campus und definiert zugleich die direkte Sichtachse zwischen dem Atrium und der Innenstadt. Das kleinere ein- bis vierstöckige Gebäude, wohl nicht zuletzt wegen seines begrünten Flachdachs als „Naturblock“ bezeichnet, lässt zwar dank baulicher Anbindung und Materialsprache keinen Zweifel an der untrennbaren Gesamtheit des Gebäudeensembles aufkommen; allerdings lässt eher sein vier- bis siebengeschossiger Nachbar von vornherein vermuten, welch hochgradig kreative Leistung hier erbracht wird. Wie die gesamte Gebäudehülle ist auch die komplette Fassadenfläche des „Wissenschaftsblocks“ in eloxiertem Aluminiumblech gestaltet, wobei die spezielle dreidimensionale Formensprache des Entwurfs ganz besondere Anforderungen an die technische Realisierung bereithielt und die Fassade erklärtermaßen zum weitaus anspruchsvollsten Element des gesamten Projektes machte.
Das Fassadendesign
Starke Lösungen im Detail: Schon allein die individuelle sägezahnähnliche Profilierung der Aluminiumpaneele stellte aufgrund der gewünschten besonders schlanken und tiefen Profilstruktur höchste Ansprüche an die industrielle Vorfertigung; im Zusammenhang mit der geplanten Fassadenstruktur aus ineinandergreifenden hexagonalen Waben und den wechselseitig geneigten Fassadenflächen ergab sich ein umso komplexeres Bild für die Vorplanung und -fertigung, mit einem entsprechend hohen Aufwand an Materialoptimierung, Rechenleistung und Verarbeitungstechnik. Nach Ermittlung der Flächen und der optimalen Strukturierung wurden die annähernd 3400 m2 Fassadenflächen in knapp 2400 Einzelbleche gegliedert. Insbesondere für die Planung der unterschiedlichen Diagonalschnitte der profilierten Paneele waren aufwendige EDV-Zeichnungen erforderlich, gestützt durch intensive Berechnungen, die vor allem den versatzlosen Durchlauf des die gesamte Gebäudehülle umfassenden Profils gewährleisten sollten. Die ohnehin komplizierten Fertigungsverfahren wurden durch die Entwicklung spezieller Vorrichtungen für die komplexen Diagonalschnitte optimiert, die jetzt alle erdenklichen Schnittrichtungen bzw. Fassadenneigungen berücksichtigen können. Zwecks konsequenter Qualitätssicherung wurden die zugeschnittenen und verbauungsfreundlich systematisierten Bauteile erst im letzten Schritt der Vorfertigung stückeloxiert.
Das Zusammenspiel von profilierter Aluminiumhaut, wabenförmiger Flächenstruktur, unregelmäßig angeordneten hexagonalen Verglasungen mit Verschattungselementen in Form von Aluminiumhauben und in Wechselfolge ein- und auswärts geneigten Flächen verleiht dem dreidimensionalen Fassadenaufbau eine technische Ästhetik, die unmittelbar an Computerplatinen (Stichwort „Rechnerarchitektur“) und damit an die hier stattfindenden rechnergestützten Aktivitäten erinnert. Zugleich wähnt sich der im Innenhof verweilende Besucher inmitten von Kulissen vielzitierter Science-Fiction-Filme, die oft technologische Entwicklungen vorwegnahmen, die heute hier angestrebt oder gar bereits realisiert werden. Das gesamte Gebäude steht für eine Architektur der Neugier, die sich ebenso in der abstrakten, verzerrten Formensprache ausdrückt wie in den teiloffenen Verglasungselementen, die gleichermaßen wissbegierige Ausblicke wie begrenzt informative Einsichten ermöglicht.
Das Gebäude als Lernobjekt
Im Inneren bestätigt sich die gestalterisch bereits deutlich vermittelte Aufforderung, das Gebäude selbst als Musterbeispiel und Anschauungsobjekt für die hier zu erwerbenden und weiterentwickelten technologischen Fähigkeiten zu sehen. Der reduzierte Einsatz von Material und Verkleidungselementen optimiert die Lesbarkeit der offenen Struktur: Alle Stahlsäulen und -streben des Tragwerks sind in großen farbenfrohen Lettern mit ihren Tragfähigkeitswerten gestempelt; offen liegende Versorgungsleitungen gewährleisten die Transparenz der Gebäudetechnik; roh behauene Betonwände machen Werkstoffbeschaffenheiten und Materialalterung für die Studenten direkt erfahrbar. Das speziell entwickelte Gebäude-Managementsystem ermöglicht die ständige Anzeige wichtiger Daten wie Energieverbrauch und lokale Temperaturen auf einem Display im Eingangsbereich, und dank des freien Zugangs zu den technischen Versorgungseinrichtungen können die Studenten die Effizienz der Solarthermieanlagen auf dem Dach ebenso gut nachvollziehen wie die Funktionen der Biomasse- und Gasheizkessel im Untergeschoss.
Konzept für eine praxisnahe Wissenschaft
Arup Associates haben das gesamte Gebäude in gemeinsamen Workshops mit der Universität in Hinblick auf moderne interaktive Lernprozesse am und im Gebäude konzipiert, selbstverständlich unter Berücksichtigung hochmoderner Kommunikationstechnik. Die offene Struktur der drei zentralen Stockwerke, visuell verstärkt durch versetzte Bodendurchbrüche, bietet ideale Voraussetzungen für das interdisziplinäre Arbeiten zwischen den Fachbereichen innerhalb der frei gestaltbaren Arbeitsflächen. Intimere Lernbereiche, Hörsäle und Räume für wissenschaftliche Fachkräfte und Verwaltungsmitarbeiter sind den oberen beiden Etagen und den äußeren Randbereichen vorbehalten. Die Werkstattebenen in den beiden Untergeschossen bieten eine Ausstattung, die nicht nur Technikbegeisterte überzeugt: Flugsimulatoren, eine komplette Flugüberwachungsstation, ein Harrier-Senkrechtstarterjet, eine Hi-Tech-Klimakammer, einer der größten in Europa verfügbaren Kryomagneten. Vor allem die Fahrzeugmotoren und -chassis, Fahrwerksimulatoren und Triebwerkprüfstände, Prototypen für Rennfahrzeuge und die von einem bekannten Rennstall gesponserte State-of-the-Art-Windkanaltestanlage belegen die konsequent gepflegte Verbindung zur Automobilindustrie, die neben vielen weiteren Industriesegmenten von den hervorragenden Voraussetzungen für Forschung und Lehre im neuen Fakultätsgebäude profitieren soll.
Im angemessenen zeitlichen Abstand vor den Immatrikulationsterminen wird der Stellenwert der britischen Universitäten schwarz auf weiß dokumentiert, wenn die seriöse Presse wieder die Hitliste der nach unterschiedlichsten Kriterien bewerteten Bildungseinrichtungen veröffentlicht. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Coventry University mit ihrer Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik dank der hervorragenden Möglichkeiten im neuen Gebäude demnächst einige Punkte wettmachen wird.
BAUTAFEL
Coventry University, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik
Bauherr: Coventry University
Architektur, Planung: Arup Associates, London
Generalunternehmer: Vinci S.A., Rueil-Malmaison (F)
Planung und Vorfertigung der Gebäudehaut: MN Metallverarbeitung, Neustadt GmbH
Konstruktion: Skelettbau
Material: Stahl/Aluminium
Fassade: Welltec System-Aluminiumpaneele, Profil SP3G-50/60 R-115
Unterkonstruktion: Holz/Metall
Nutzfläche: 15000 m2
Baukosten: 55 Mio. £ (ca. 66 Mio. €)
Fertigstellung: Dezember 2012
Eröffnung: März 2013
Fotografien: Klaus Sikora/MN Metallverarbeitung Neustadt
Zeichnungen: © Arup Associates