Die Ankunft in Bern ist für mich ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Regelmäßig staune ich über die Spenglerarbeiten auf den Dächern Berns und spätestens beim Blick unter die weit auskragenden Dachvorsprünge wird klar: Ich befinde mich in der Hauptstadt der Schweizer Bögen. Für gewöhnlich führt mich mein Weg zu Fuß vom Hauptbahnhof zum Kursaal und dem dort verorteten Kongresszentrum. Dieses Mal fahre ich mit der Tram an der Heimstätte des Schweizer Spenglertages vorbei – weiter Richtung Bern-Expo. Es ist Ende September 2022 und parallel zum erstmals auf dem Messegelände stattfindenden Spenglertag lockt die Fachmesse Ble.CH mit einem neuartigen Messekonzept. Ziel ist es, die Ble.CH auch für Spengler interessant zu machen. Zahlreiche Blechbearbeitungsmaschinenhersteller und Händler haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um ihre vorführbereiten Produkte in überraschend großer Anzahl auszustellen. Neben Langabkantmaschinen, Längs- und Querteilanlagen, Schwenkbiegemaschinen oder Tafelscheren entdecke ich eine ganze Armada kunstvoll gefertigter Fluggeräte. Ein Doppeldecker aus Titanzink, ein Düsenjäger aus Kupfer oder ein Modell des weltbekannten Raumschiffs Enterprise sind darunter. Kein Zweifel: Das müssen die Arbeiten des Kreativwettbewerbs der Schweizer Nachwuchsspengler sein. Und wo diese Arbeiten zu sehen sind, da muss sich auch der Suissetec-Veranstaltungsbereich des Schweizer Spenglertages befinden. Ich bin also am Ziel.
Blackbox
Typisch Suissetec vermittelt der komplett in schwarz gehüllte und vom übrigen Messegeschehen abgetrennte Vortragsbereich Professionalität. Auf der Rückwand der ebenfalls in Schwarz gehaltenen Bühne befinden sich – und auch das kennen viele Besucher zurückliegender Spenglertage – drei Präsentationsflächen zur Darstellung der Vorträge in italienischer, deutscher und französischer Sprache. Neu ist die Veranstaltungsdauer. Sie wurde von einer Tagesveranstaltung in ein zweitägiges Informationsangebot umgewandelt. Dabei sind die Vortragszeiten so geplant, dass die Teilnehmer genügend Zeit zur Nutzung des Messeangebot finden können.
Startschuss um 9.25 Uhr
Der Eröffnung durch Moderatorin Annina Campell folgen die Grußbotschaften und Begrüßungen von Bernexpo-CEO Tom Winter von Remo Wyss, dem neuen Suisstec-Präsidenten des Fachbereichs Spengler | Gebäudehülle, und von Suissetec-Zentralpräsident Daniel Huser. Das straffe Vormittagsprogramm beinhaltet Vorträge zur neuen Fassung der Schweizer Norm SIA 271 rund um die Abdichtungen von Hochbauten. Das Mitglied der Arbeitsgruppe „Wegleitung zur Norm SIA 271“, Joe Knüsel, stellt das Regelwerk zur Projektierung und Ausführung von abzudichtenden Bauteilen und Hochbauten detailliert vor. Es befasst sich u. a. mit Konstruktionen von Fenstertüren auf Balkonen und Terrassen, die durch nicht drückendes Wasser beansprucht werden.
Über den Ble.chigen Prozessfluss referieren Rinaldo Betschart (Fachbereichsvorstand Spengler | Gebäudehülle) und Marco Cappello (Cidan/Thalmann Maschinenbau AG). Sie informieren die Teilnehmer über entsprechende Prozessketten und verweisen auf die Möglichkeit, in den Veranstaltungspausen an sogenannten Breakouts auf der Messefläche teilzunehmen. Einige Aussteller haben dazu Maschinenvorführungen so vorbereitet, dass einzelne Arbeitsschritte vom Erfassen über das Zuschneiden bis zum Biegen diverser Spenglerprofile veranschaulicht werden können. Weitere Höhepunkte des ersten Veranstaltungstages sind der Vortrag „Die Lieferkette als zusätzliche Herausforderung“ und die Siegerehrung im Rahmen des Suissetec-Kreativwettbewerbs.
Am zweiten Veranstaltungstag referiert Luigi Greco (Geschäftsführer Gesacon) über digitale Ausbildungsinhalte und Stephan Muntwyler (Fachbereichsvorstand Spengler | Gebäudehülle) informiert mit seinem Vortrag „Dicht oder nicht 2.0“ über innovative Systeme zur Flachdachüberwachung.
Suissetec-Ausstellung und Messebesuch der Ble.CH
Zahlreiche Lieferanten und Hersteller stellen ihre Produkte im Rahmen des Spenglertages an Informationstresen aus. Direkt daneben beginnt die Messefläche der Ble.CH, wo ein überraschend umfangreiches Ausstellungsangebot zu finden ist. Neben zahlreichen Maschinen und Softwaresystemen der Hersteller Cidan, Forstner, Thalmann und Nuit sind dort Langabkantmaschinen von Variobend und Schwenkbiegemaschinen von Schröder zu sehen. Ein weiteres Highlight ist eine vorführbereite, elektrisch betriebene Evobend-Doppelbiegemaschine.
Großes Interesse weckt die Sonderschau des Zentrums für digitale Blechbearbeitung (ZDB). Aussteller wie Bendex, Gesacon oder Sema stellen dort innovative Softwareprodukte und Systeme vor. Um die Leistungsfähigkeit moderner Steuerungs- und Softwareprodukte möglichst effektiv zu präsentieren, ist auf dem ZDB-Messestand eine ganze Armada unterschiedlicher und vorführbereiter Blechbearbeitungsmaschinen erlebbar. Die ausgestellten Maschinen zum Abcoilen, Schneiden, Stanzen oder Biegen stammen von unterschiedlichen Herstellern. Präsentiert werden beispielsweise Maschinen von Jorns, Krasser, Schechtl oder RAS. Unter den vorgestellten Anlagen befinden sich aber auch eine CNC-Stanzmaschine von Euromac sowie ein kompaktes Laserschneidsystem des Maschinenbauers Sei.
Durchgängigkeit ist das A und O
Ziel der ZDB-Sonderschau ist, zu zeigen, dass moderne Softwaresysteme in der Lage sind, verschiedene Maschinentypen unterschiedlicher Hersteller fehlerfrei und durchgängig anzusteuern bzw. effektiv und funktionstüchtig miteinander zu vernetzen.
Nachgefragt
Im Gespräch mit zahlreichen Messebesuchern erfahre ich, dass die vom ZDB präsentierten Neuheiten und damit verbundene technische Möglichkeiten den Höhepunkt der Veranstaltung bilden. Fragen rund um die Vernetzung unterschiedlicher Spenglermaschinen werden vom kompetenten Team der Spiegel AG vor Ort beantwortet. Die Maschinenprofis um Firmeninhaber Daniel Spiegel beraten am ZDB-Messestand Spengler ebenso wie Dachdecker, Fassaden- oder Lüftungsbauer und Interessenten aus der blechverarbeitenden Industrie. Die 1884 gegründete und inzwischen in Tägerwilen am Bodensee ansässige Spiegel AG hat sich auf den Handel, Vertrieb und Service rund um Produkte wie beispielsweise Tafelscheren, Abkantmaschinen, Abkantpressen und dazugehörige Dienstleistungen für eine profitable Blechbearbeitung spezialisiert.
Zeitsprung: Es ist Nachmittag am zweiten Veranstaltungstag. Vor der Spenglertag-Bühne bauen die Aussteller ihre Infostände ab. „Es war ein Experiment“, sagt einer von ihnen und ein anderer: „Vielleicht lag es am neuen Veranstaltungstermin im September.“ Einer der wenigen noch nach Neuheiten Ausschau haltenden Besucher ist ebenfalls irritiert: „Warum der Spenglertag rund 50 % weniger Besucher als sonst angelockt hat, obwohl das Informationsangebot überwältigend ist, kann ich mir nicht erklären“, sagt er. Vielleicht ist es ja so wie bei der Weiterentwicklung des Rezepts einer überregional bekannten Wurstdelikatesse? Es dauert einfach einen Moment, bis sich herumspricht, was man hier verpasst hat.
Auf jeden Fall haben sich die Initiatoren des Schweizer Spenglertages einiges einfallen lassen – haben versucht, mit einem neuen Veranstaltungskonzept den Geschmack der Besucher zu treffen. Ich persönlich habe großen Respekt vor dem enormen Aufwand und der damit verbundenen Leistung, die alle Beteiligten aufseiten der Organisatoren sowie der Aussteller abgeliefert haben.