Schweizer Gebäudetechniker sind Vorreiter! Zahlreiche Delegierte von Suissetec* gaben an der diesjährigen Frühjahrs-Delegiertenversammlung im Juni 2023 grünes Licht zur flächendeckenden Einführung von Bildungscoachs in der Schweiz und Liechtenstein. Sie bekräftigen damit ihren Einsatz für eine bessere Ausbildungskultur in der Branche. In der boomenden Gebäudetechnikbranche herrscht ein immenser Fachkräftebedarf. Dies ist einerseits auf die riesige Nachfrage, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien, zurückzuführen und sehr erfreulich. Andererseits verliert die Branche Jahr für Jahr viele Auszubildende und so einen Teil ihres Fundaments der Zukunft.
Jugendliche Berufsschicksale und Verluste in Millionenhöhe
Mehr als ein Viertel aller Lehrverträge werden während der Berufslehre in der Schweiz aufgelöst (28 %), und rund jede fünfte Person besteht die Lehrabschlussprüfung nicht (21 %). Das hat gravierende Folgen: Nur 57 von 100 Azubis in der Schweizer Gebäudetechnik schließen die Berufslehre erfolgreich ab. Wenn der Berufseinstieg nicht wie gewünscht gelingt, verbergen sich hinter den nackten Zahlen vor allem jugendliche Berufsschicksale. Die unbefriedigende Situation gibt aber auch insgesamt zu denken, verliert die Branche doch viele der dringend benötigten Fachkräfte bereits während der Lehre. Und die hohen Abbruch- und Durchfallquoten gehen mit über zehn Millionen Franken „Schaden“ pro Jahr ganz ordentlich ins Geld.
Bildungsoffensive mit zahlreichen Aktivitäten und Maßnahmen
Die Herausforderungen betreffen zwar auch andere Branchen, sind aber im Bausektor offenkundig. Um die energie- und klimapolitischen Ziele des Bundes zu erreichen, hat Energie-Schweiz Anfang 2022 zusammen mit zahlreichen Akteuren und Verbänden – darunter auch Suissetec – die Bildungsoffensive Gebäude lanciert. Diese umfasst zahlreiche Maßnahmen in vier Handlungsfeldern (Ausbildung, Weiterbildung, Branchenimage, Netzwerk) und soll unter anderem ermuntern, sich aktiv für mehr Fachkräfte im Gebäudebereich einzusetzen.
Viele der umfangreichen Aktivitäten der Schweizer Berufsorganisation Suissetec, wie zum Beispiel Nachwuchs- und Imagekampagnen, Lehrmeistertage, Qualitätssicherungsmaßnahmen oder das Bereitstellen hochwertiger Bildungsmedien, wurden schon vor langer Zeit initiiert. Sie tragen zwar erste Früchte, reichen aber noch nicht aus. Im Alltag sind speziell die Unternehmen gefordert, für ihre Mitarbeitenden ein motivierendes Lern- und Arbeitsumfeld zu schaffen. Sie sind hauptverantwortlich dafür, dass junge Menschen wie gestandene Profis attraktive Rahmenbedingungen vorfinden, um dauerhaft Qualitätsarbeit zu erbringen. Nur so bleiben sie den Planungs- bzw. Installationsbetrieben langfristig erhalten.
Ausbildungskultur ist in den Betrieben zentral
Die Gebäudetechniker/-innen der Schweiz gehen nun voran. Selbstkritisch haben sie sich eingestanden, dass es so nicht weitergehen kann und sie aktiv etwas Grundlegendes verändern wollen: Die sehr positive Erfahrung mit Bildungscoachs in einer Suissetec-Sektion mündete nach umfangreicher Abklärungs- und Vorbereitungszeit im Antrag, dem Bildungscoach national zum Durchbruch zu verhelfen und ihn flächendeckend einzuführen (inkl. Liechtenstein). Die Suissetec-Delegierten haben nun anlässlich der Frühjahrs-Delegiertenversammlung vom Juni 2023 grünes Licht gegeben. „Ein Meilenstein mit Signalwirkung, hoffentlich mit Vorbildcharakter weit über unsere Branche hinaus“, so der Suissetec-Bildungsverantwortliche Alois Gartmann.
Mit der schweizweiten Einführung von Bildungscoachs soll dauerhaft eine gute Ausbildungskultur etabliert werden. Das ambitionierte Ziel lautet, die Abbruch- und Durchfallquoten auf unter 10 % zu senken. Damit würden die genannten, wiederkehrenden Investitionen von rund 1.15 Millionen Franken sowie der einmalige Initialaufwand von 150 000 Franken mehr als wettgemacht.
Noch bedeutender, aber kaum bezifferbar, ist der nicht-monetäre Nutzen für Lernende, Betriebe sowie die Gebäudetechnikbranche insgesamt. Und im Endeffekt für die gesamte Gesellschaft, wenn genügend qualifizierte Fachpersonen für frische Luft, sauberes Trinkwasser sowie Sicherheit, Komfort und Behaglichkeit sorgen.
Bildungscoach unterstützt Ausbildendeund Lehrbetriebe
Was einzelne Betriebe kaum, wird nun vom Zentralverband und den Sektionen mit dem Projekt Bildungscoach gemeinsam angepackt: Eine Veränderung der Ausbildungskultur auf freiwilliger Basis, aber konzertiert und auf die jeweilige Situation des Lehrbetriebs abgestimmt.
Den Sektionen obliegt die Einstellung von insgesamt rund einem Dutzend regionaler Bildungscoachs, welche die mehr als 2000 Suissetec-Ausbildungsbetriebe mindestens einmal jährlich besuchen und auditieren. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass die Bildungscoachs explizit für die Unterstützung der Betriebe und ihrer Ausbildungsverantwortlichen zuständig sind – und nicht für die Lernenden. Suissetec als Zentralverband koordiniert den Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung der Bildungscoachs und nimmt die Qualitätssicherung wahr. Die Umsetzung wird umgehend in Angriff genommen. (Anmerk. d. Red.: Die Initiative hat Vorbildcharakter und ist somit auch in anderen Branchen und Ländern entsprechend nachahmenswert.) 
www. suissetec.ch
Info
Einführung von Bildungscoachs
Ein Kurzinterview mit Suissetec-Bildungsleiter Alois Gartmann**
Alois Gartmann, überrascht Sie dieses klare Abstimmungsresultat?
Alois Gartmann: Überhaupt nicht – aber es freut mich riesig! Wir können bereits jetzt schon erkennen, dass das Projekt in den Pilot-Regionen Früchte trägt. So hat sich die Lehrvertragsauflösungsquote in der Sektion suissetec Aargau zum Beispiel nahezu halbiert. Auch bei den Durchfallquoten ist eine leicht positive Veränderung messbar. Ein Bildungscoach ist das Beste, was den Betrieben passieren kann! Der Coach ist kein Besserwisser, sondern vielmehr in Analogie zu einem Trainer aus dem Spitzensport zu sehen: Die Ausbildner/-innen, resp. die Betriebe erhalten eine individuelle Beratung zur Seite gestellt. Es geht ums «Feintuning»: Aus einer guten Ausbildungskultur wird die bestmögliche Ausbildungskultur rausgekitzelt. Es freut mich ausserordentlich, dass die suissetec Delegierten die Wichtigkeit und das Potenzial dieses Projekts erkannt haben und sich für das Projekt ausgesprochen haben.
Von 100 Jugendlichen aus der Gebäudetechnikbranche beenden nur gerade 57 ihre Berufslehre erfolgreich. Inwiefern löst der Bildungscoach nun dieses Problem?
Unser ambitioniertes Ziel lautet, die Abbruch- und Durchfallquoten auf unter 10 Prozent zu senken. Dazu werden rund ein Dutzend regionaler Bildungscoachs eingesetzt, welche die mehr als 2000 suissetec Ausbildungsbetriebe mindestens einmal jährlich besuchen und auditieren. Wichtig ist mir zu betonen, dass die Bildungscoachs explizit für die Unterstützung der Betriebe und ihrer Ausbildungsverantwortlichen zuständig sind – und nicht für die Lernenden. suissetec als Zentralverband koordiniert den Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung der Bildungscoachs und nimmt die Qualitätssicherung wahr.
Kümmert sich der Bildungscoach um sämtliche Branchen/Berufe oder geht es nur um die Installateure?
Der Bildungscoach ist für alle Berufe und alle Branchen da, ob in der Gebäudetechnikplanung oder Ausführung. Jeder Ausbildungsbetrieb hat das Anrecht auf den Besuch eines Bildungscoachs. Es geht uns darum, dass die Qualität in der gesamten Branche angehoben wird: Aus ungenügend soll mindestens genügend werden, und aus genügend soll gut werden… Alle Lernenden sollen dank dem Bildungscoach beim QV in Zukunft besser abschneiden.
Wie bzw. durch wen wird der Bildungscoach finanziert?
In Vorleistung gehen die Sektionen und der Zentralverband. Rund 900 000 Franken gehen zu Lasten der Sektionen und rund 250 000 Franken zu Lasten des Zentralverbandes. Wie die Sektionen diese Investitionen – für mich sind es Investitionen und keine Kosten! – tätigen, wird unterschiedlich sein. Wichtig ist: Wenn wir die beiden Quoten nur um je 5 Prozent senken, so sind wir bereits kostenneutral unterwegs.
Viele Lehrbetriebe fragen sich nun: Wann erhalten wir «unseren» Bildungscoach?
Wir wollen nach den Sommerferien 2023 mit den ersten Workshops starten. Dann werden die genauen Stellenbeschriebe erstellt sowie die Auditabläufe und sonstigen Prozesse definiert. Ziel ist es, dass sich die Sektionen untereinander absprechen und allenfalls sektionsübergreifende Vereinigungen definieren und in dieser Organisation dann die Bildungscoachs rekrutieren. Wir rechnen damit, dass wir mit dem Start ins neue Jahr rund die Hälfte der Bildungscoachs rekrutiert haben werden und bis Ende 2024 hoffentlich dann alle.