An der Grenze zur Ukraine wurde mir mulmig. Große Betonblöcke als Sperren, Soldaten überall. Zum Glück war meine polnische Gastgeberin dabei, die mit den Zollbeamten lange Diskussionen führte. Nach mehrfacher Registrierung und Durchsuchung meines Autos durfte ich endlich in die Ukraine einreisen.
Ich war erleichtert: Das Abenteuer konnte also fortgesetzt werden! Meine erste Etappe war die Stadt Lwiw. Dort konnte ich den Kollegen zeigen, wie mit einer französischen Abkantmaschine ein Modell entsteht. Danach habe ich in Charkiw gearbeitet, einer Stadt unweit der Kriegszone. In einer zweiwöchigen Weiterbildung habe ich mich in die Kunst der Ornamentik einweihen lassen.
Goldenes Kiew
Natürlich ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, die ukrainische Hauptstadt Kiew zu besuchen. Die goldenen Dächer der orthodoxen Kirchen sind wirklich spektakulär! Anschließend ging es in Richtung Zarenland weiter, durch die baltischen Länder. In Vilnius, Litauen, schloss ich mich einem ehemaligen Dachdecker an. Er zeigte mir einige schöne Objekte mit Dächern, die er geschaffen hatte.
Auf den Dächern von Riga
Nach einer Woche in Litauen ging es weiter nach Riga, Lettland. Auf einem Kongress in Minsk (Weißrussland) hatte ich einen lettischen Klempner kennengelernt und vereinbart, dass wir unser Know-how austauschen. Ich verbrachte zwei tolle Wochen mit ihm und fand anschließend noch vor Ort eine andere Firma, wo ich mich betätigen konnte. Die Arbeit auf den Dächern von Riga war eine absolut bereichernde Erfahrung. An meinem letzten Wochenende im Baltikum machte ich noch einen Abstecher in die estnische Hauptstadt Tallinn.
Während dieser Aufenthalte habe ich in Hostels gewohnt. Leider ist mein Englisch nicht sehr gut, sodass ich mich mit den Leuten nur begrenzt unterhalten konnte. Aber ich werde ja noch viel Gelegenheit haben, mein Englisch zu verbessern, wenn ich in englischsprachigen Ländern bin.
Verständigung mit Händen und Füßen – geht doch!
Auf den Baustellen kommt man mit Englisch ohnehin nicht sehr weit. Manche Leute sprechen Deutsch, mit anderen verständige ich mich irgendwie mit rudimentärem Englisch, mit Gesten, vor allem aber mit der Übersetzungs-App im Handy. Deshalb wollte ich Russisch lernen, um in Russland einigermaßen kommunizieren zu können. Nach der Arbeit besuchte ich Sprachkurse, fünf Stunden pro Woche.
Nach den entspannten Wochen im Baltikum stieg mein Stresspegel wieder mit jedem Meter, der mich der russischen Grenze näher brachte. Nach den Erfahrungen an der ukrainischen Grenze war ich schon leicht traumatisiert. In Tallinn hatte mich ein Dachdecker gebeten, seinem Vater, der in der Nähe der russischen Grenze wohnt, ein Paket mitzubringen. Die Übergabe fand an einer Tankstelle statt. Zum Dank bot er mir an, mich zu begleiten und mir bei der Einreise nach Russland zu helfen.
Aus den Schlaglöchern wachsen Bäume
Angekommen am Checkpoint, kündigte der Zollbeamte eine Wartezeit von sechs Stunden an. Mein Begleiter erklärte dem Beamten in einer zähen Verhandlung, ich sei sein französischer Freund. Prompt wurde die Wartezeit auf zwei Stunden verkürzt. Zu meiner Überraschung war die Kontrolle dann viel weniger streng als in der Ukraine! Die Grenzüberquerung verlief problemlos, die Zollbeamten lächelten sehr freundlich – vor allem, als sie mein altes Auto sahen.
Der positiven Erfahrung an der Grenze folgte ein wahrer Schock über den Zustand der Straßen: Im Zickzack muss man tiefen Schlaglöchern ausweichen, in denen manchmal Bäume wachsen! Auf diesen maroden Straßen kamen mir überraschend viele schöne und große Autos entgegen. Die Fahrer drosselten das Tempo, um mich und mein ausländisches Auto neugierig zu mustern.
Kupferkugel in St. Petersburg
In St. Petersburg erwartete mich der Chef der nächsten Firma. Er quartierte mich für zwei Wochen in einer Wohnung ein und zeigte mir die schönsten Plätze der Stadt – mit den schönsten Dächern! Während dieser zwei Wochen zeigte ich einem Mitarbeiter in der Firma einige Ziertechniken und brachte ihm bei, wie man eine Kupferkugel fertigt.
Mein (bescheidenes) Gehalt war mein Budget für die nächste Etappe. Ich hätte nie gedacht, dass man mit so wenig Geld auskommen kann, aber man gewöhnt sich an alles. Man sieht die Dinge auf einmal ganz anders, lebt von Tag zu Tag, langfristiges Planen wird unerheblich.
Das Mittagessen kochen wir auf dem Dach
Seit ein paar Wochen bin ich nun in Moskau. Ich arbeite für einen Unternehmer, den ich in Polen bei einem Wettbewerb kennengelernt habe. Dort hatte er gesehen, wie ich ein Zinkmodell eines Pariser Dachs – übrigens ein UNESCO-Weltkulturerbe – herstellte, und mir daraufhin Arbeit in seiner Moskauer Firma angeboten.
Die russischen Klempner sind sehr offen, die Atmosphäre ist richtig gemütlich. Sie haben sogar eine Küche auf dem Dach eingerichtet, wo sie Brühe mit Fleisch und Gemüse kochen. Ich bin so eine Art Teamleiter und arbeite mit dem Bauleiter zusammen. Meine Kollegen sind sehr lernbegierig und begeistert, wenn ich ihnen etwas beibringe. Hier kann ich also endlich mein Fachwissen weitergeben!
Weiter mit der Transsibirischen Eisenbahn
Seit ich Polen verlassen habe, gestaltet sich meine Weltreise so, wie ich mir das vorgestellt hatte: Ich treffe viele Leute, tausche mich aus und kann mein Wissen vermitteln. Inzwischen bin ich durch viele Länder gekommen, wo Dachdecker oder Klempner keine Ausbildungsberufe sind und wo die Leute per Training-on-the-Job angelernt werden. Das hat mir bewusst gemacht, dass unsere fundierte Ausbildung im Verband und in Frankreich im Allgemeinen ein Segen ist.
Als Nächstes möchte ich mich von meinem Auto trennen und mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Kasachstan fahren, wo ich bei zwei Firmen arbeiten kann. Anschließend steht Taschkent in Usbekistan auf dem Programm. Was dann kommt, ist im Moment noch offen. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen … 
Alexandre Lepand
Online Extra
Klempner auf Weltreise
Mehr Bilder von Alexandres Weltreise mit Eindrücken von Kiew und Moskau gibt es unter www.baumetall.de/extra.