Es ist immer wieder dasselbe: Du bist auf einen runden Geburtstag eingeladen und weißt nicht, welches Geschenk du mitbringen kannst. Richtig schwierig wird es jedoch, wenn ein Fünfziger gefeiert werden soll. Wer 50 wird, verfügt in der Regel über einen komplett ausgestatteten Haushalt, findet an den Wänden seiner Wohnung keinen Platz mehr für Bilder und kümmert sich mit Vorliebe selbst um den Bestand seines Weinkellers. Als ich die Einladung zur Feier des 50. Geburtsjahres des Vereins diplomierter Spenglermeister der Schweiz (VDSS) erhalte, ist es wieder einmal so weit. Ich sitze in der Patsche. Ok, der VDSS ist weder ein Familienmitglied noch eine Person aus Fleisch und Blut. Dennoch bin ich der VDSS-Familie eng verbunden und gerade das macht es irgendwie kompliziert. Also begebe ich mich auf die Suche nach einem passenden Geschenk und entscheide mich schließlich für ein Mitbringsel, das, so hoffe ich, VDSS-Vorständen und -Mitgliedern gleichermaßen gefallen wird: Es ist dieser Beitrag, der nicht als sachlich nüchterner Rückblick langweilen soll, sondern der vor allem eines ist: sehr persönlich...
Und so setze ich mich am 3. Mai 2013 ans Steuer und mache mich auf den Weg zur Geburtsstätte des dienstältesten Vereins der Branche. In der Schweizer Industriestadt Biel wurde der VDSS vor 50 Jahren von den Spenglermeistern Bruno Biondi, André Marchand, Hermann Pfister, Max Teutsch und Alex Zehnder ins Leben gerufen. Und genau wie damals versammeln sich die stolzen Schweizer Kollegen abermals im renommierten Hotel Elite. Als ich das ehrwürdige Haus betrete, ist es irgendwie so, als sei ich schon einmal hier gewesen. Nicht nur die Begrüßung an der Hotelrezeption ist überaus herzlich, sondern auch die Begegnungen mit Kollegen im Foyer, im Fahrstuhl oder – wie kann es anders sein – beim Apéro unmittelbar vor der Versammlung. Es ist nicht das erste Mal, dass ich der VDSS-Generalversammlung als Gast beiwohne – selbstverständlich ist es dennoch nicht. Schließlich bin ich weder im Besitz eines Schweizer Spenglermeister-Diploms, noch gehöre ich zu den rund 450 VDSS-Mitgliedern. Als deutscher Klempnermeister erfülle ich die Grundbedingungen für eine Mitgliedschaft im Verein der Schweizer Spenglerelite nicht. Ob aus diesen Gründen heute wie damals das Hotel Elite als Tagungsort ausgewählt wurde? Ich habe da so eine Vermutung…
Die Show beginnt
Dass die Schweizer Kollegen ihre Veranstaltung wie das sprichwörtliche Uhrwerk ablaufen lassen, überrascht mich nicht. Begrüßung, Wahl der Stimmenzähler, Genehmigung der Tagesordnung, Vortrag des Jahresberichtes – auch auf der 50. Generalversammlung überlassen sie nichts dem Zufall. Gerne höre ich zu, wie VDSS-Präsident Christoph Aeberhard von der Gründung des Vereins im Jahre 1963 durch ein paar visionär denkende Kollegen berichtet. Ich erfahre, dass die Vereinsgründung von damaligen Schweizer Verbandsfunktionären als Provokation betrachtet wurde und dass der unabhängige VDSS seine Narrenfreiheit noch immer dazu nutzt, auf Missstände hinzuweisen oder Denkprozesse anzustoßen. Zweifellos übernimmt der VDSS dabei die wichtige Position des Schweizer Branchensprachrohrs – übrigens auch im Ausland. Deutlich wird dies, als Christoph Aeberhard vom VDSS-Besuch in Bayern bei der freien Spenglermeistervereinigung Bayern (SMV) berichtet. Jetzt tauchen mir vertraute Gesichter auf der Leinwand auf. Zu sehen sind Fotos der feierlichen Verleihung der goldenen Lötlampe an SMV-Vorstand Werner Fünfer. Dieser hatte die höchste Auszeichnung der deutschen Klempnerbranche anlässlich des 25-jährigen SMV-Jubiläums erhalten. Die nächsten Fotos erkenne ich ebenfalls. Sie zeigen das BAUMETALL-Boot, das von der VDSS-Delegation anlässlich des XXL-Treffens 2012 sowie des damit verbundenen BAUMETALL-Innovationspreises besucht wurde.
Und auch der Internationale Interessenbund Baumetalle (iib) wird vom VDSS tatkräftig unterstützt. Mit den Worten „Die Mitgliedschaft im iib liegt uns besonders am Herzen“ präsentiert Christoph Aeberhard ein weiteres Foto, welches ihn und VDSS-Vizepräsident Claudio Cristina in den Reihen des iib-Vorstandes zeigt, und er fügt an: „Sie sehen, das ist gelebte Zusammenarbeit“.
Emotionales Feuerwerk
Mit dem Versprechen „wir werden Euch heute ein wahres Spenglerfeuerwerk präsentieren“ geht Christoph Aeberhard dazu über, die frisch diplomierten Spenglermeister vorzustellen. Persönlich gratuliert er jedem Jungmeister vor versammelter Mannschaft zur gelungenen Diplomarbeit und überreicht ihnen den obligatorischen VDSS-Meister-Lötkolben. Die inzwischen zur VDSS-Tradition gewordene Geste bleibt nicht ohne entsprechende Wirkung: Fast alle Jungmeister entscheiden sich noch am selben Tag, Mitglied im VDSS zu werden – eine Mitgliedschaft, die fast immer ein Spenglerleben lang bestehen bleibt. Den Beweis für diese These liefern die nächsten Mitglieder, die Christoph Aeberhard auf das Podium bittet. Es sind die VDSS-Mitbegründer Bruno Biondi, Max Amsler, Werner Major und Alex Zehnder. „Als Gründungsmitglieder seid ihr die Helden der Schweizer Spenglerbranche. Ihr habt das Licht entfacht, aus dem heute ein Flächenbrand geworden ist. Ohne euch würde es uns nicht geben!“ Bravo Christoph, denke ich bei mir, treffender hättest du das nicht sagen können. Und von lang anhaltendem Applaus begleitet überreicht der Präsident den Gründungsmitgliedern einen modernen Edelstahl-Kerzenleuchter – das ist Schweizer Vereinssymbolik.
Jetzt wird Bernard Trächsel ans Mikrofon gebeten. Als VDSS-Medienfachmann trägt er nicht nur die redaktionelle Verantwortung für den VDSS-Wettbewerb „Goldene Spenglerarbeit“ und damit verbundene VDSS-Sonderdrucke, sondern auch für die Jubiläums-Festschriften zum 25. und 50. Vereinsbestehen. Und so kommt es, wie es kommen muss: Dem Antrag von Viezepräsident Claudio Cristina folgend wird Bernard Trächsel der Titel Ehrensekretär verliehen – eine Auszeichnung, die ihn in seiner Funktion als wichtiges Bindeglied zwischen Verein und Öffentlichkeit ehrt.
Freunde sind da, wenn man sie braucht
Mit einem „Claudio, Du bist da, wenn ich nicht mehr weiter weiß“ wendet sich Christoph Aeberhard nun an den VDSS-Vizepräsidenten und erinnert an dessen Vereinsbeitritt vor 20 Jahren. Bereits seit 19 Jahren ist Claudio Cristina im VDSS-Vorstand aktiv und auch sonst ist er der bunte Hund der Schweizer Branche. Seine Mitarbeit in diversen Normenausschüssen, etwa bei der Entwicklung zahlreicher Fachregeln und Merkblätter, ist ebenso erwähnenswert wie seine Referate, zuletzt auf dem Schweizer Spenglertag. Der Fachmann Cristina ist treibender Motor mit kritischem Blick, aber er ist vor allem eins: immer mit Leib und Seele dabei! Dass Claudio Cristina das Amt des VDSS-Vizepräsidenten ausgerechnet heute niederlegt, kommt für viele überraschend. Dennoch trübt diese Nachricht die Feierlaune der Eidgenossen nicht im Geringsten. Kurzerhand ernennen sie ihren Claudio zum Ehrenmitglied und erteilen dem gerührten Spenglermeister das Wort. „Es klingt vielleicht kitschig, aber wir sind eine Familie und als Familienmitglied arbeitet man bekanntlich gerne ehrenamtlich“, sprudelt es aus Claudio hervor. Und dann fasst er das in Worte, was viele der Anwesenden denken: „Für mich ist der VDSS mehr als ein Verein. Er ist Freundschaft, eine echte Familie und ein Garant für beste Weiterbildung. Denn wo lernt man mehr als im fachlichen Austausch unter Gleichgesinnten?“ Claudio, wie recht du hast!
Spenglermeister-Diplom
Genau diese Erfahrung machten jüngst auch elf Meisterprüfungskandidaten an den Lehrwerkstätten Bern. Dort ist Peter Leu ausbildender Spenglermeister und hier, vor seinen Vereinskollegen, berichtet er von der jüngsten Diplomarbeit. Diese beinhaltete unter anderem die Ausarbeitung aller notwendigen Details zur Ausführung der Spenglerarbeiten eines anspruchsvollen Gebäudekomplexes. Blitzschutz, Flachdach, Asbestsanierung – die Prüflinge kümmerten sich eigenverantwortlich um die komplette Projektierung des inzwischen realisierten Bauvorhabens. Dabei erstellten sie ein Gesamtkonzept und schlugen vor, wie die umfangreichen Arbeiten ausgeführt werden sollten. Neun Absolventen erreichten das Prüfungsziel – seit heute gehören sie, wie ihr Ausbilder Peter Leu, der Schweizer Spenglerfamilie an. Als dieser das Rednerpult verlässt, beschließe ich, seiner Aufforderung zu folgen und mir im Oktober 2013 anlässlich der „Wochen der offenen Tür“ persönlich ein Bild der Schweizer Spenglerschmiede zu machen.
Finale mit Ritterschlag
Was wäre eine VDSS-Generalversammlung ohne Grußworte wichtiger Repräsentanten? Richtig – sie wäre undenkbar! Und so betreten Peter Schillinger (Zentralpräsident, Suissetec), Walter Bisig (Verbandspräsident, Gebäudehülle Schweiz) und Erich Fehr (Stadtpräsident, Biel) das Podium. Auch sie gratulieren, loben die Pionierarbeit des Vereins und weisen auf die vorbildlichen handwerklichen Qualitäten der Spengler hin. „Ohne Spengler sind moderne Fassaden und Dächer nicht möglich“, bringt es Walter Bisig auf den Punkt. Und weil ein Finale ohne das Einbeziehen der Gäste für den VDSS nicht denkbar ist, begibt sich die Spenglerfamilie gemeinsam mit ihren Gästen ins Bieler Kongresszentrum. Dort erleben sie einen unvergesslichen Galaabend und eine weitere Überraschung: Irgendwo zwischen Hauptgang und Dessert erklingen plötzlich rockige Töne. Christoph Aeberhard und seine Frau Patricia präsentieren ein Video, das sie auf dem Dach und in der Spenglerwerkstatt zeigt, wobei sie laut singend folgenden Text des Schweizer Rappers Bligg zum Besten geben: „Dänn ihri Heldä vo hüt sind t Legändä vo morn Sie werdet t Flagge hisse, kämpfed für ihren Thron. Und schaffed so es Fundamänt für die nögst Generation.“* Das Publikum ist überrascht und irritiert zugleich. Einen rockenden VDSS-Präsidenten hat es zuvor noch nicht gegeben. Es dauert einen Moment, dann wird die schauspielerische Spitzenleistung mit tosendem Applaus belohnt. Wer Christoph Aeberhard kennt, weiß: Hinter dem gezeigten Video muss sich eine Botschaft verbergen. Und als der Präsident Claudio Cristina auf die Bühne bittet, ist es klar: Die Showeinlage ist ein Dankeschön an Cristinas Leistung, die dieser für den VDSS und vor allem für die Spenglerbranche erbrachte. Doch es kommt noch besser: Christoph Aeberhard überreicht seinem langjährigen Weggefährten das Eidgenössische Verdienstkreuz der Spenglerbranche – eine goldene Anstecknadel mit tiefer Symbolik. Ihr Formkonzept greift nicht nur das Schweizerkreuz, sondern auch typische Werkzeuge des Spenglers auf. Die erstmals verliehene Auszeichnung macht Claudio Cristina zum höchsten Spengler der Schweiz und zu dem im Video besungenen Helden, der maßgeblich daran beteiligt ist, das Fundament für die nächste Generation vorzubereiten – Respekt und happy birthday VDSS!
* Denn ihre Helden von heute sind die Legenden von morgen. Sie werden die Flagge hissen, kämpfen für ihren Thron. Und schaffen so ein Fundament für die nächste Generation.