Ich gehe in Kiel auf die Fähre. Was für ein blödes großes, dickes Schiff – da spürt man das Meer gar nicht. Kaum ein Ort, an dem einem die Brise ins Gesicht stürmt und die Gicht die Haare durchnässt. Die billigste Koje befindet sich tief im stählernen Bauch des Riesen. Steile Eisentreppen hochklettern, um irgendwie ans Licht zu kommen und morgens in Oslo an Land zu schwanken. Schick hier … Ich war schon mal da – lang ist es her. Erstmal zum Rathaus. Mal sehen, wie der Bürgermeister so drauf ist. Es dauert ein bisschen und ich hab´ meinen Eintrag ins Wanderbuch. Die Wartezeit vertreibe ich mir beim Pförtner. Der Fernseher läuft und ich denke noch: „Oh Mann, die Amis müssen wie immer übertreiben.“ NYC – Flugzeuge krachen in Wolkenkratzer und alles brennt lichterloh. Es ist der 11. September 2001. Nur langsam begreife ich und auch die anderen Zuschauer, dass dies kein Film à la Hollywood ist. Als von der Gesellschaft Losgelöste stelle ich mir fern der Heimat die Frage, wo ich eigentlich hingehen sollte, müsste, wollte, falls Krieg ausbräche. In solch einem Augenblick wird einem bewusst, wie das auch sein kann, so frei und „wild“ und außerhalb der Normalität.
Immer der Nase nach
Weiter geht’s. Der Tag ist noch jung und der Wind weht in die richtige Richtung. Ich tippele raus aus der Stadt, jedoch nicht ohne mir Proviant zu besorgen. Nur schöne Wege schlage ich ein, denn zu Fuß sieht man doch am allermeisten. Als Häuser und Industrie weniger werden, halte ich den Daumen raus. Trampen ist in Norwegen eine mühselige Angelegenheit. Autos sind teuer, und wer lässt schon Fremde in sein „Allerheiligstes“ – erst recht, wenn sie noch so speziell daherkommen wie ich. Doch irgendwie geht es immer vorwärts und irgendwann finde ich mich in einer sehr verlassenen Gegend wieder. Ja, Norwegen ist leer. Auf einer Fläche von 385 199 m² leben gerade einmal 5 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Im 357 167 m² großen Deutschland drängen sich über 80 Millionen Einwohner. Ich werde nachdenklich. Ob mein Vorhaben, allein und inmitten von Millionen Mücken draußen zu übernachten, ratsam ist? Ich weiß es nicht, denn bevor ich es ausprobieren kann, gabelt mich ein lustiges älteres Pärchen auf. Dass mich Leif und Marid so schnell nicht mehr gehen lassen werden, ahne ich noch nicht. Ich erzähle den beiden, was ich eigentlich bin, was ich mache und warum ich Kluft trage. Kurzerhand nehmen sie mich mit zu ihrer Hütte – einem kleinen Häuschen, wie es viele Norweger besitzen. Das verträumte Domizil liegt inmitten der Natur. Ohne Strom und Internet – einfach draußen. Herrliche Tage, wunderbares Wetter. Täglich baden im eisigen trüben Wasser des Moorsees direkt vor der winzigen Hütte mit ihren noch winzigeren Zimmerchen unter schrägem Gebälk und natürlich in typisch skandinavischem Rot. Kein geschorener Rasen vor der Tür, kein Schnickschnack aus Plastik oder Glas, womit hierzulande gerne Gärten überladen werden. Nur urige Natur. Knorrige Wurzeln über verschlungenen Wegen am Ufer entlang. Kiefern, weit ausladend und moosbewachsen. Ried und Rohrkolben. Überall raschelt und wuselt es. Die Natur, so menschenvergessen – es hätte mich nicht gewundert, Gnome und Elfen anzutreffen. Die Tage vergehen und schon bald weiß ich nicht mehr, wie lange ich schon bei diesen herzlichen Menschen in ihrer Hütte bin. Viel habe ich von ihnen gelernt – über Land und Leute, die Politik, das Essen und die typischen Mücken. Aber irgendwann sind ihre Ferien vorbei und ich ziehe weiter gen Norden …
Tippelei macht frei – Arbeit auch
Wieder trampen und über endlose, gewundene Wege tippeln. Menschenleer ist es hier und ich bin froh, irgendwann die Stadt Trondheim zu erreichen. Hafenanlagen, Kneipen, Studenten, schöne alte Häuser und der Dom. Ein paar Tage und lustige Nächte und weiter geht’s. Immer am Rand entlang von Fjord zu Fjord und mein Weg scheint endlos. Ein Transporter mit Wohnwagen hinten dran hält an. Ein altes Männlein, schwer übers Lenkrad gebeugt nimmt mich mit. Die Fjorde ziehen verschwommen im Nebel seiner Zigaretten zu unserer Rechten vorbei. Links entdecke ich unzählige Wasserfälle. Ist mein Fahrer überhaupt real – ist er Mensch oder wurzeliger Gnom? Zur Nacht füttert er mich mit Selbstgebranntem und Kaffee, so stark, dass ich mich gar nicht erst auf der Ladefläche des Transporters zusammenrolle. Stattdessen genieße ich die Mitternachtssonne auf dicken Steinen an Ufern sitzend.
Den Polarkreis haben wir längst hinter uns gelassen. In Hammerfest stoßen wir ein letztes Mal an, dann trennen sich unsere Wege. Da stehe ich nun – neben mir knabbern Rentiere am kargen Gras. Arbeit zu finden wäre langsam nicht schlecht, also reise ich weiter von Ort zu Ort und frage die Leute. „Kautokeino“, sagten sie, Samilands Hauptstadt. Dort soll es eine große Goldschmiede geben. Na also – auf geht’s! Und tatsächlich: Es gibt Goldschmieden dort. Nicht nur eine, sondern gleich drei und eine Firma hat tatsächlich Arbeit für mich.
Erfahrungsaustausch
Dieser Beitrag soll Lust machen: Lust voneinander zu lernen und Lust darauf, Berufserfahrung zu sammeln. In den nächsten Ausgaben befasst sich BAUMETALL eingehend mit Themen wie Tradition, Wanderschaft und Erfahrungsaustausch. Und es geht um Meinungen zur Alltagstauglichkeit von Zunft-Berufskleidung – der sogenannten Kluft.
Ich freue mich auf Ihre Beiträge
Andreas Buck
Chefredakteur
Mitra Hadjebi
ist Goldschmiedin und Inhaberin der Manufaktur „Schmuck macht glücklich“, in der sie hochwertigen Zunftschmuck fertigt. Auf ihrer Wanderschaft hat die erste wandernde Goldschmiedin Deutschlands zahlreiche Kontakte zu Wandergesellen der Dachdecker, Zimmerer und Klempner geknüpft.