Es ist Freitag der 7. Mai 2010, und somit genau der Tag, den sich die diplomierten Spenglermeister der Schweiz seit über einem Jahr vorgemerkt haben. Anlass ist die 47. Generalversammlung des Vereins diplomierter Spenglermeister der Schweiz (VDSS). Diese treffen sich in Murten, einem mittelalterlichen Städtchen an der Schwelle zum sogenannten Röstigraben. Murten überrascht den Besucher mit einer nahezu vollständig erhaltenen, von einer begehbaren Ringmauer umgebenen Altstadt, die einen besonderen Flair ausstrahlt. Die engen Gassen und Kopfsteinpflaster-Straßen sind gesäumt von kleinen Geschäften und Straßencafés, tadellos erhaltene Stadttore laden zum Bummeln ein und das Panorama auf den Murtensee sorgt für fast mediterrane Atmosphäre. Doch nicht nur beim Betreten der sehenswerten Kleinstadt wird deutlich, dass die Schweizer Kollegen gesteigerten Wert auf entsprechend hohe Tagungs-Qualität legen. Auch die Organisation rund um die Veranstaltung überzeugt:
Pünktlich um 14:15 Uhr ist es soweit. Nahezu 150 Vereinsmitglieder sitzen erwartungsvoll im großen Saal des Tagungshotels und verfolgen die Versammlungseröffnung durch VDSS-Präsident Christoph Aeberhard und die siebenköpfige Vorstandschaft. Auf der Tagesordnung stehen neben üblichen Protokollen, Jahresrückblicken und Kassenberichten vor allem Berichte über aktuelle Entwicklungen in der Schweizer Spenglerbranche. Besonderes Reizthema ist die zum 1. Januar 2010 vollzogene Namensänderung des „Schweizerischen Verbandes Dach und Wand“ (SVDW) in „Gebäudehülle Schweiz“.
Besonders aus Sicht vieler Spengler, die seit jeher im Verband Suissetec organisiert sind, trifft der Vorstoß des ehemaligen SVDW sowie daraus resultierender Streitigkeiten zwischen der Suissetec und „Gebäudehülle Schweiz“ auf Unverständnis. Als Kritikpunkt sehen die Schweizer Kollegen den derzeitigen Entwicklungsstillstand und fordern statt lang anhaltender Streitigkeiten eine engere und effektivere Zusammenarbeit zwischen den Verbänden. Diese Forderung unterstreicht zudem der von VDSS-Mitglied Gregor Bless gestellte und per Mehrheitsbeschluss verabschiedete Mitgliederantrag. Darin werden die Verantwortlichen des Suissetec-Bereiches Spengler/Gebäudehülle unter anderem angehalten, die Spengler-Interessen entsprechend zu vertreten.
Goldene Spenglerarbeit
Zum fünften Mal lobt der VDSS denn Wettbewerb „Goldene Spenglerarbeit“ aus. Wie bereits in den Jahren 1999, 2002, 2005 und 2008 prämiert der VDDS auch 2010/2011 handwerklich und konzeptionell hervorragende Spenglerarbeiten. Zudem ist die Goldene Spenglerarbeit erneut mit dem 10000 Franken dotierten „VDSS Zehnder Preis“ verbunden. Die VDSS-Organisatoren, allen voran Jury-Sekretär Bernard Trächsel, sehen dem aktuellen Wettbewerb mit Spannung entgegen. Teilnahmeberechtigt sind alle VDSS-Mitglieder, Bewerbungsschluss ist der 30. September 2010.
VDSS-News
Weitere Tagungspunkte waren die Verabschiedung des Vorstandsmitgliedes Paul Gisler, die Bestätigung von Christoph Aeberhard im Präsidentenamt und die Berufung der VDSS-Mitglieder René Schibig und Tobias Sprecher in die Vorstandschaft. Ebenfalls aktuell ist der Hinweis auf den neuen VDSS-Internetauftritt unter http://www.vdss.ch.
Ehrbare Ausbildung
Schon der Titel diplomierter Spenglermeister der Schweiz verrät: Die Eidgenossen beschreiten in vielen Bereichen andere Wege als ihre europäischen Kollegen. Dies zeigt beispielsweise die Tatsache, dass auf die Gesellenprüfung eine weitere Prüfung zum Spengler-Polier folgt. Diese ist wiederum Grundvoraussetzung, um zur Spenglermeisterprüfung zugelassen zu werden. Und auch die Schweizer Spenglermeisterprüfung (Diplomarbeit) unterscheidet sich gravierend von entsprechenden Prüfungen in Deutschland oder Südtirol, doch dazu später mehr.
Anlässlich der 47. VDSS-Generalversammlung werden nicht nur die neuen diplomierten Spenglermeister geehrt. Für seinen Sieg bei den Berufsweltmeisterschaften erhält auch der Spengler-Weltmeister Jürg Kühni den VDSS-Zehnder-Preis in Form einer Bareinlage. Übrigens: Mit diesem Sieg sichert sich die Schweiz den Titel „Spengler-Weltmeister“ bereits zum dritten Mal in Folge.
Eine weitere Ehrung wird Spenglermeister Rinaldo Betschart zuteil. Im Rahmen des Leser-Wettbewerbes „BAUMETALL sucht das Klempnermeisterstück des Jahres 2009“ wird ihm für seine gelungene Diplomarbeit der BAUMETALL-Sonderpreis Schweiz verliehen.
Prüfungsdetails
Eigens für seine mündliche Prüfung baute Rinaldo Betschart ein auf seine Diplomarbeit abgestimmtes Fassadenmodell im Maßstab 1:1. An diesem erläuterte er den Wandaufbau und spezielle Teilbereiche. Außerdem fertigte er freiwillig ein Gebäudemodell seines Prüfungsprojektes im Maßstab 1:50 an. Das Haus seiner Diplomarbeit wurde vor etwa drei Jahren von einem der Prüfungsexperten in der Nähe von Zürich realisiert. Die Diplomarbeit sowie die Aufgabenstellung war somit sehr praxisnah.
Natürlich wurden Rinaldo Betscharts Lösungsvorschläge mit allen aktuellen Normen verglichen. Zudem forderte die Prüfungskommission die Vorlage entsprechender Systemgarantien von Herstellern und Lieferanten. Rückblickend war für Rinaldo Betschart nicht nur die Prüfung, sondern vor allem die Vorbereitungszeit überaus lehrreich. Um sich auf die schriftliche Diplomarbeit vorzubereiten standen dem Spenglermeister drei Wochen zur Verfügung.
Seine vielschichtige Diplomarbeit berücksichtigte beispielsweise den Teilbereich Metalldach. Hier war eine Schnittzeichnung mit Systemaufbau samt Details der Kastenrinne sowie der be- und entlüfteten Anschlüsse an das Metalldach gefragt. Beim Teilbereich Flachdach/Terrasse wurden Detailschnitte, Gefällepläne und Ausschreibungstexte zu den Flachdacharbeiten am Haupt-dach sowie entsprechende Schnittzeichnungen verlangt. Nach einem stattlichen Arbeitsaufwand von etwa 100 Stunden konnte Rinaldo Betschart die Experten mit seiner Diplomarbeit und den angefertigten Mustern überzeugen.
INFO
Aus SVDW wurde „Gebäudehülle Schweiz“
Die 1907 als unabhängiger Schweizerischer Dachdeckermeisterverband (SDV) gegründete Interessenvertretung entwickelte sich im Laufe der Zeit zum offenen Verband für alle Gebäudehülle-Spezialisten, etwa in den Bereichen geneigtes Dach, Flachdach, Fassade, Wärmedämmung, Solarinstallationen und Gerüstbau.
In anverwandten und ebenfalls an der Gebäudehülle tätigen Branchen, wie Holzbau, Stuckateur oder Spengler, ist diese Namensänderung stark umstritten.
Meisterprüfung in der Schweiz
Ausbildung zum Spengler-Polier
Auch Diplomspenglermeister Rinaldo Betschart absolvierte nach seiner Gesellenprüfung zunächst eine Ausbildung zum Spengler-Polier. Diese ist Grundvoraussetzung zur Teilnahme an der Meisterausbildung. Wie die Meisterschule ist auch die Ausbildung zum Spengler-Polier modular aufgebaut. Die Kandidaten schließen jedes einzelne Fach mit einer Modulprüfung ab, die zwischen zwei und sechs Stunden dauern kann. Rinaldo Betschart besuchte die Polierschule über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren. Während dieser Zeit wurden unter anderem praktische Arbeiten wie Verformungs- und Schweißtechnik, Kenntnisse im Bereich Metalldach- und Fassadenbekleidung oder Anwendungstechnik vermittelt. Auch die Bereiche Arbeitsorganisation, Bau- und Fachzeichnen, Arbeitsvorbereitung und Auftragsabwicklung sowie betriebsorganisatorische Aufgaben wie Rechtsgrundlagen oder Personalführung wurden geschult und einzeln geprüft.
Ausbildung zum Spenglermeister
Die Spenglermeister-Ausbildung ist ebenfalls modular aufgebaut. Da die praktischen Prüfungen bereits im Polierlehrgang enthalten sind, gehört das Herstellen von klassischen Meisterstücken nicht zum Prüfungsumfang. Die Gewichtung des Meisterlehrganges liegt viel mehr auf dem betriebswirtschaftlichen Bereich. Dabei werden Module wie Arbeitsorganisation, Kalkulation, Branchensoftware, Bau-, Fach-, und CAD-Zeichnen, Auftragsabwicklung, Qualitätsmanagement oder Vertrags- und Gesellschaftsrecht unterrichtet. Darüber hinaus werden die Kandidaten in den Bereichen Finanzbuchhaltung, Kostenrechnen, Rechnungswesen als Führungsinstrument, Unternehmensführung, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Marketing oder Personalführung geschult und geprüft.
Die Module der Polier- und Meisterausbildung umfassen insgesamt 1400 Lektionen. 124 davon sind reine Prüfungsstunden für die Modulabschlüsse. Das BaumetallExtra informiert umfassend über die entsprechenden Prüfungen und Module.
Abschlussprüfung / Diplomarbeit
Erst nachdem die entsprechenden Prüfungen in allen Modulen bestandenen sind und der Prüfling über ausreichende Praxiserfahrung verfügt, erfolgt die Zulassung zur dreiteiligen Abschlussprüfung. Geprüft werden:
1. Fallstudie Unternehmensführung einschließlich der Teilbereiche angewandte Rechtsfragen, Finanzwesen, Unternehmensführung, Marketing, Personalführung. Dabei wird beispielsweise ein existenzgefährdeter Fachbetrieb beschrieben, entsprechend analysiert und anschließend mit verschiedenen Maßnahmen saniert.
2. Diplomarbeit einschließlich der Teilbereiche Arbeitsorganisation und Berufskunde. Der Kandidat muss in der Lage sein, anhand von Planunterlagen, Baubeschreibung und Aufgabenstellung verschiedene Lösungen aufzuzeigen.
3. Mündliche Prüfung auf Grundlage der zuvor erfolgten schriftlichen Diplomarbeit. Hierbei kann als Argumentationshilfe ein entsprechendes Detailmodell gefordert werden. Im Stil eines Fachberatungsgespräches sollte der Prüfling die als Architekten auftretende Prüfungskommission von den vorgeschlagenen Detaillösungen überzeugen und sich zudem mit kritischen Fragen auseinandersetzen können.
Autor
Rinaldo Betschart
ist angestellter Spenglermeister und Objektbetreuer bei der Dach- + Thermobau AG in Emmen