Haben Sie Interesse an einem 2500 m² großen Stehfalzdach in Rumänien?“, lautete die Frage der freundlichen Dame am Telefon. Mit leichtem Akzent informierte sie über Art und Umfang des Auftrages. Die Hintergründe dieses Gespräches waren jedoch noch interessanter als das eigentliche Angebot. Was war geschehen?
In einem Land, in dem es in den Großstädten vor Stehfalzbedachungen geradezu wimmelt, gibt es fast keine Fachkräfte mehr. Der größte Teil der Dachflächen ist nach über 40-jährigem Sozialismus sanierungsbedürftig und bildet nun ein Eldorado für die Klempnerbranche. Goldgräberstimmung in Osteuropa? Vielleicht eröffnen sich tatsächlich neue Möglichkeiten – speziell für Betriebsstrukturen mit Montageausrichtung. Welche Hürden dabei zu nehmen sind und wie solche Projekte vorbereitet werden können, darüber sprach BAUMETALL mit Frank Neumann, Leiter der Bereiche Anwendungstechnik und Marketing bei Rheinzink in Datteln:
BAUMETALL: Als international tätiges Unternehmen beobachtet Rheinzink auch Auslandsmärkte, beispielsweise in osteuropäischen Ländern wie Rumänien. Wie sehen dort die Dachlandschaften aus?
Frank Neumann: Bei den osteuropäischen Ländern handelt es sich ebenfalls um traditionelle Klempnermärkte. Wie auch in den deutschsprachigen Märkten Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden Stehfalz- und Leistendächer ausgeführt.
BAUMETALL: Sie sprechen von massivem Sanierungsbedarf. Wie kann man sich das vorstellen und welche Chancen bietet dieser Missstand?
Frank Neumann: In den vergangenen Jahrzehnten wurden aufgrund fehlender Materialvielfalt Falzdächer aus Stahl und verzinktem Stahl ausgeführt. Aufgrund mangelnder Wartung der Oberflächen sind diese Dächer heute in der Masse verrostet und/oder stehen kurz davor, ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen. Hieraus ergibt sich ein wirtschaftlich interessanter Sanierungsbereich für Metalldecker.
BAUMETALL: Während sich hierzulande Klempner- und Dachdeckerbetriebe trotz Verwandtschaftserklärung um Zuständigkeiten streiten, scheint es beispielsweise in Rumänien nicht genügend Fachkräfte zu geben. Worin ist Ihrer Meinung nach diese Entwicklung begründet?
Frank Neumann: In den ost- und südosteuropäischen Ländern wurde häufig das klempnertechnische Können nicht durch die etwa bei uns in Deutschland übliche Berufsausbildung weitergegeben. Es fehlte aufgrund der wirtschaftspolitischen und materialtechnischen Möglichkeiten quasi eine Klempnergeneration. Hierin begründet liegt eine Nachfrage an Fachkräften für Sanierungsobjekte, aber auch für architektonisch attraktive Neubauten. Metalle sind in diesen Ländern in der Architektur seit Jahrzehnten bekannt und haben sich bewährt.
BAUMETALL: Was muss ein interessierter Fachbetrieb beachten, wenn er Aufträge in nicht EG-Staaten ausführen möchte? Wohin kann er sich mit seinen Fragen wenden, um Hilfe zu erhalten?
Frank Neumann: Wir haben hier unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manchmal ist es auch durchaus abenteuerlich, was Firmen, die bereits Aufträge im Ausland durchgeführt haben, berichten. Zunächst hängt es von den jeweiligen Regularien und Gesetzen des jeweiligen Landes ab. Die Anforderungen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten sollten bei den Botschaften oder Konsulaten des Landes hier in Deutschland angefragt werden. Auch Handwerkskammern unterstützen die Absichten, im Ausland tätig zu werden und verfügen über Informationen. In manchen Fällen konnten wir auch einen Partnerbetrieb in einem Land vermitteln, der bei den Formalitäten unterstützend tätig war. Das entsprechende Objekt wurde anschließend gemeinsam mit der deutschen Firma ausgeführt. Diese Art der Zusammenarbeit stellt letztendlich eine Berufsausbildungsunterstützung vor Ort dar und hilft beiden Firmen weiter.
BAUMETALL: Kann der Speditionsaufwand, etwa durch Materialorganisation, direkt im Montageland verringert werden?
Frank Neumann: Das kommt darauf an. Es gibt international aktive Klempnerbetriebe, die den größten Teil der Materialien in ihrer Werkstatt auf Basis von detaillierten Stücklisten vorfertigen. Das Material wird dann per Container zum Objekt transportiert und der Container dient als Lager vor Ort. Alternativ wird das Material auf der Baustelle profiliert und verarbeitet. Insgesamt hängt es sicherlich von der Art des Objektes ab. Häufig werden in Osteuropa auch Ornamente angewendet, gerade bei Sanierungsvorhaben. Auch hier sind heute versierte Fachfirmen aus Westeuropa, die zum Teil bereits seit über 100 Jahren im Geschäft sind, unterstützend tätig – zum Beispiel der Spenglerfachbetrieb Sporer aus München.
BAUMETALL: Welche Punkte müssen bei der Kalkulation von Projekten im Ausland zusätzlich berücksichtigt werden?
Frank Neumann: Die Anforderungen an die Organisation eines Auslandsobjektes sind natürlich anders als bei einem lokalen Auftrag. Ähnlich wie bei einem überregionalen Objekt in Deutschland fallen zum Teil nicht unerhebliche Reise- und Unterbringungskosten an. Auch sind je nach Region Zollgebühren, Lagerkosten oder Flughafengebühren einzukalkulieren. Gerne stehen zu solchen Fragen auch unsere Kolleginnen und Kollegen in den Auslandsmärkten mit Rat und Tat zur Seite.
BAUMETALL: In welchen Ländern besteht die größte Nachfrage und wie reagieren die Handwerker vor Ort auf diese Missstände?
Frank Neumann: Einen Bedarf gibt es aktuell in Russland, Südosteuropa und in den vorderasiatischen Staaten Kasachstan und Aserbaidschan. Falls es Handwerksfirmen für Klempnertechnik vor Ort gibt, sind diese häufig noch nicht entsprechend ausgestattet, um hochwertige Stehfalzdächer herzustellen und zu montieren. Es gibt aber auch Regionen, in denen Handwerker an Schulungen interessiert sind und in Kantbänke und Rollformer investieren. Eine allgemeingültige Antwort fällt mir hierzu schwer, da die Situation sehr unterschiedlich ist. Eine Ausbildung wird in einzelnen Ländern bereits aufgebaut. Zum Beispiel wurde in Moskau auf Initiative eines Klempnerbetriebes eine Berufsschule eingerichtet. Der Klempnerbetrieb stammt aus St. Petersburg und hat in den letzten Jahren intensiven Kontakt zu westeuropäischen Handwerkern, Industriebetrieben und Handwerksverbänden gesucht und sich an der Ausbildungsorganisation orientiert. Wie auch in diesem Fall, unterstützt Rheinzink derartige Aktivitäten durch fachtheoretische und praktische Wissensvermittlung. In anderen Ländern haben sich inzwischen Landesfachverbände gegründet, die an technischen Standards, Fachregeln und der Einführung einer Berufsausbildung interessiert sind. Es ist auch hier das Ziel, langfristig eine gesicherte Ausführungsqualität zu erreichen. Beispielsweise dienten die Fachregeln des Klempnerhandwerks aus Deutschland für die Fachregeln in Ungarn als Vorlage – diese vom deutschen Klempnerhandwerk erstellten Regeln haben sich bei uns schließlich über Jahrzehnte bewährt.
BAUMETALL: Wie sehen Sie aus der Sicht von Rheinzink diese Entwicklung – sind da Trends oder Entwicklungen auf den inländischen Markt übertragbar, beispielsweise bei der Ausbildung?
Frank Neumann: Diese europäische Entwicklung zeigt eigentlich auf, wie wichtig die Berufsausbildung und der Nachwuchs in einem Gewerk sind und welche Auswirkungen eine nicht vorhandene Struktur für eine Gesellschaft hat. Die Handwerksstrukturen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz sowie Norditalien übernehmen hierbei die wichtige und unverzichtbare Rolle der Ausbildung und langfristigen Wissensvermittlung. Sowohl die Verbände mit ihren Ausbildungszentren und Fachschulen und natürlich die Betriebe, die schlussendlich die Auszubildenden einstellen und beschäftigen, übernehmen eine große Verantwortung für die Zukunftssicherung. Für uns als Industrieunternehmen ist diese Struktur sehr wichtig, da eine qualitativ hochwertige Ausführung von Stehfalzdächern absolut wichtig ist und natürlich im Sinne des Bauherrn und Investors ist. Und es hat sich gezeigt, dass das Image des Handwerks aus dem deutschsprachigen Raum weltweit einen sehr guten Ruf erlangt hat. Daher unterstützen wir die Ausbildung von Fachkräften in allen Ländern, in denen wir aktiv sind (und das sind momentan über 30) mit Fachvorträgen, Praxiskursen und Schulungsmaterialien, so auch die Berufsfachschulen in Deutschland. Auch führen wir eigene Weiterbildungsseminare für Metalldecker durch – als mobile Schulung bei unseren Handelspartnern, als Seminar in der Werkstatt von Fachfirmen oder zukünftig auch wieder in einem Schulungszentrum in unserem Werk in Datteln.
BAUMETALL: Wie kann BAUMETALL eine Ausbildungsoffensive unterstützen? Ist eine Zusammenarbeit mit der Industrie und den Ausbildungsstätten denkbar? Könnte es sinnvoll sein, Aufklärungsberichte der Schulen oder Erlebnisberichte der Auszubildenden zu veröffentlichen?
Frank Neumann: Es wäre eine Idee, die positiven Eindrücke eines Auszubildenden in BAUMETALL und auf der neuen BAUMETALL-Homepage zu veröffentlichen. Auch könnte BAUMETALL als Plattform für Auszubildende auftreten und Ausbildungsplätze sowie Ausbildungsplatzsuchende vermitteln. Schon jetzt sind die Berichte über die Tätigkeiten im Klempnerbereich sehr aufschlussreich und könnten speziell an den Schulen dazu beitragen, das Interesse an der Tätigkeit des Klempners zu wecken. Als Werkzeug bietet BAUMETALL-Online breit gefächerte Zugangsmöglichkeiten für jedermann. Als Hersteller sehen wir einer Zusammenarbeit positiv entgegen.
Schlussbetrachtung:
Trotz aller Möglichkeiten, die sich für reisebereite Fachbetriebe durch die „verlorene Klempnergeneration“ in Osteuropa ergeben, kann diese Situation auch nachdenklich stimmen. Wer beispielsweise aktuelle Klempner-Ausbildungsstatistiken betrachtet, erkennt den Trend zur Fachkräftelücke (Anmerk. d. Red.: siehe auch Seite 23 in vorliegender Ausgabe). Gegensteuern ist also dringend nötig, erst recht, wenn Politik und Lobbyarbeit dies zukünftig erleichtern.