Die Bezeichnung „Abwickeln gedrehter Flächen“ beschreibt nicht wirklich treffend, was damit gemeint ist. Ebenso wenig zutreffend sind die in der Fachliteratur ebenfalls zu findenden Bezeichnungen „verdrehte“ oder „geschraubte“ Flächen. Das Wort „Twist“ (Verb: twisted), auch als Bezeichnung für einen Modetanz aus den 60er-Jahren bekannt, passt eigentlich besser. Dennoch soll hier der umgangssprachlich geprägte Begriff „gedrehte“ Flächen verwendet werden.
Während im Metallbau Anwendungen mit gedrehten Flächen durchaus häufiger zu finden sind, beispielsweise Treppenzargen für Wendeltreppen oder Geländer, muss man in der Klempnertechnik doch etwas länger danach suchen. Für unser zweites Übungsstück haben wir eine gerade Säule mit quadratischer Grundfläche (s. Abbildung) gewählt. Die Säule mit 120mm Kantenlänge ist über eine Höhe von 500mm um die Hochachse 90° gedreht. Eine einfache und schlichte Form, völlig ausreichend für den Einstieg in die Thematik Abwicklung gedrehter Mantelflächen. Außerdem bietet diese Form durchaus Anknüpfungen zu Anwendungen in der Klempnertechnik.
Die Schwierigkeit des Übungsstückes und der Abwicklung ließe sich ohne weiteres erhöhen, indem wir die Säule beispielsweise schräg stellen, indem wir sie biegen oder indem wir den quadratischen Querschnitt gegen ein beliebiges Vieleck mit konvex oder konkav gebogenen Seiten austauschen. Dem Entwurf sind keine Grenzen gesetzt. Allerdings sollten wir den Praxisbezug immer im Auge behalten. Unser Stück und die dazugehörige Abwicklung können spektakulär aussehen, letztlich jedoch muss sich das Stück verkaufen lassen. Für die Fertigung des Stücks eignen sich alle Baumetalle, die sich löten oder schweißen lassen. Eine Falzverbindung ist für dieses Modell eher weniger geeignet.
Vorbereitung und Aufsicht
Beginnen wir zunächst mit der gedanklichen Vorarbeit. Was ist uns bezüglich Form und Bemaßung vorgegeben? Wie könnte die Abwicklung einer Mantelfläche aussehen? Eine durchaus interessante Frage. Anders als bei unserem Modell im ersten Beitrag finden wir hier keine geraden Schnittebenen bzw. keine gerade verlaufenden Gehrungen als seitliche Begrenzungen der Mantelflächen vor, denn diese sind ja gedreht. Um die Zeichnung einer Aufsicht kommen wir nicht herum. An dieser Stelle sollten wir uns ebenfalls Gedanken über die Dicke des einzusetzenden Materials machen. Auch wenn die Blechdicke in Abhängigkeit der gewählten Verbindungstechnik vielleicht nur 0,7mm beträgt, so hat sie Einfluss auf die Kantenlänge. Zwischen den Längen auf der Außen- und denen auf der Innenseite besteht bei einer 45°-Gehrung und einer Materialdicke von 0,7mm eine Differenz von 1,4mm.
Die Höhe der Säule beträgt 500mm und der Drehwinkel 90°. Diese Angaben lassen sich gut in zehn Teile (horizontale Ebenen) gliedern. Die Unterteilung in zehn gleiche Abschnitte ist für die Genauigkeit der Abwicklung völlig ausreichend. Die Ebenen haben somit 50mm Höhenabstand zueinander und sind um jeweils 9° gedreht. Die Aufsicht der Säule hat Ähnlichkeit mit einem Sternzwirnknäuel. Trotz farbig gekennzeichneter Ebenen wirkt die Aufsicht wegen der Überlagerungen sehr unübersichtlich. Wie bei dem ersten Modell lassen sich auch für dieses Modell aufgrund seiner Symmetrie Vereinfachungen in den Zeichnungen vornehmen.
Die Säule ist gerade. Sie steht lotrecht auf der Grundfläche und sie ist gleichmäßig um ihre Hochachse gedreht. Damit sind alle vier Mantelflächen und folglich deren Abwicklungen identisch. Wir können uns auf die Abwicklung einer Fläche beschränken, was unsere Aufsicht sehr vereinfacht und deutlich übersichtlicher macht. Zur Vereinfachung der Zuordnung und des Wiederfindens derselben Punkte in allen Darstellungen, in der Aufsicht, in den Ansichten und den isometrischen Darstellungen ist die Kennzeichnung der Punkte zum Beispiel mit Buchstaben äußerst ratsam.
Zeichnen der Ansicht
Nachdem die Aufsicht (in der zehn Ebenen übereinander liegen) für eine Mantelfläche gezeichnet wurde, können wir uns der Ansicht widmen. Doch welche Ansicht wählen wir aus? Zehn Ansichten stehen zur Auswahl. Die uns bekannten Vorder- und Seitenansichten existieren offensichtlich nicht. Die Ansichten, jeweils um 9° gedreht, sehen gleich aus. Außer der Höhe von 50mm lassen sich, wegen der Drehung in der Tiefe verschobener Punkte, keine weiteren Längen in ihrer wahren Größe herausmessen. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass keine der Ansichten uns wirklich weiterhelfen kann. Unschwer zu erkennen ist allerdings: Die Längen AK und A’K‘ sind gleich lang, denn die Einzellängen AB, BC etc. sind ebenfalls gleich A’B‘,B’C‘ etc.
Wir kommen nicht umhin, die benötigten wahren Maße über einfache Hilfskonstruktionen, nämlich Dreiecke, zu berechnen. Um herauszufinden, welche Dreiecke geeignet sind, skizzieren wir in einer isometrischen Darstellung die untersten beiden Ebenen A und B. Die Skizze verdeutlicht zwei wesentliche Dinge. Zum einen sehen wir: Die wahren Längen AB‘ und A’B‘ werden benötigt. Gleichzeitig sehen wir die Dreiecke, über die sich diese Längen schnell errechnen lassen.
Die Grundfläche ist ein Quadrat mit 120mm Kantenlänge, zerlegbar in vier gleichschenklige und rechtwinklige Dreiecke. Folglich sind uns die Längen MA gleich M^ bekannt, der eingeschlossene Winkel beträgt 90° plus 9°, den Drehwinkel für eine Ebene. Die Länge A^ lässt sich mittels Sinussatz errechnen. Somit errechnet sich die Diagonale AB‘ als Hypotenuse im rechtwinkligen Dreieck A^B‘ über den Satz des Pythagoras. Fehlt noch die Länge A’B‘ (gleich AB), die sich in gleicher Weise errechnen lässt. Die Länge A’^ ermitteln wir wieder mit dem Sinussatz. Der eingeschlossene Winkel ist der Drehwinkel einer Ebene gleich 9°. Die Länge A’B‘ ist die Hypotenuse im Dreieck A’^B‘.
CAD-Unterstützung
Während zur Herstellung des Pokals im ersten Beitrag alle wahren Längen aus der Aufsicht und der Ansicht entnommen und in die Ebene der Abwicklung übertragen werden konnten, müssen wir bei gedrehten Körpern einige der wahren Längen über Umwege rechnerisch ermitteln. Der Grund wird in der isometrischen Darstellung deutlich. Die Anfangs- und Endpunkte der benötigten Längen liegen im Raum in verschiedenen Tiefen. 3D-fähige CAD-Programme sind hier eine wertvolle Hilfe. Sie ermöglichen das exakte Messen der Längen im Raum, ohne die Ansicht drehen oder die Bezugsebene wechseln zu müssen.
Das Zeichnen
Nachdem alle relevanten Maße von uns ermittelt wurden, ist die Zeichnung der Abwicklung ein Kinderspiel. Wie beim Dreieckverfahren zeichnen wir eine Basislinie, für unser Beispiel die Kantenlänge AA‘, und schlagen die Kreisbögen a und a‘ mit der Länge A’B‘ als Radius um die Punkte A und A‘. Dann schlagen wir den Kreisbogen a1 um A mit der Länge AB‘ als Radius. Der sich ergebende Schnittpunkt B‘ dient als Mittelpunkt für den Kreisbogen b1 nach B mit dem Radius 120mm. Da die Querschnitte aller zehn Ebenen gleich sind und die Achse, um die sich die Querschnitte drehen, immer durch den Schnittpunkt der Diagonalen der Querschnitte verläuft, können wir das Zeichnen der Kreisbögen in gleicher Weise wiederholen, bis wir bei der Linie KK‘ angekommen sind. Die Abwicklung ist somit fertig. Es handelt sich um ein Parallelogramm. Die beiden gegenüberliegenden Kanten verlaufen parallel und sind jeweils gleich lang.
Im Vergleich zur Abwicklung einer Mantelfläche mit einer geraden Schnittebene als Begrenzung stellt die vorbeschriebene Abwicklung doch etwas höhere Anforderungen, die sich in der Fertigung des Teils fortsetzen. Machen wir uns nichts vor, die interessantesten Arbeiten sind die, vor denen der Betrachter staunend und zugleich rätselnd verweilt.
Fortsetzung folgt
Im Teil 3 der Beitragsreihe wollen wir ein weiteres Werkstück vorstellen und die Schwierigkeit der Abwicklung noch etwas erhöhen. Sofern es Fragen, Hinweise und Anregungen gibt, lassen Sie es mich wissen!
Blechmasters erfolgreich
Meistererhebungsfeier in Stuttgart
Die Blechmasters der Stuttgarter Robert-Mayer-Schule genießen einen guten Ruf. Immer wieder sorgen sie mit beachtlichen Meisterstücken für Aufsehen und regelmäßig belegen sie beim BAUMETALL-Leserwettbewerb „Meisterstück des Jahres“ die vorderen Plätze. Krönender Abschluss der Stuttgarter Meisterausbildung ist die jedes Jahr stattfindende Meistererhebungsfeier der Handwerkskammer. In diesem Jahr wurden sage und schreibe 771 Handwerkerinnen und Handwerker in den Meisterstand erhoben und darüber hinaus die sogenannten Best Masters geehrt. Aus insgesamt 31 Sparten erreichten zwölf Meister/-innen einen Notenschnitt von gut.
Auch die Stuttgarter Blechmasters Franz Slawik (Bad Tölz) und Thomas Binder (Ingolstadt) standen an diesem Abend im Rampenlicht. Das sensationelle Meisterstück von Thomas Binder – ein Kupfertisch mit gedrehtem Fuß – ist eine wahre Augenweide und verdeutlicht, dass perfekt angefertigte Abwicklungen zur Herstellung meisterlicher Arbeiten unerlässlich sind.
Der Beitrag zu den Meisterstücken von Franz Slawik und Thomas Binder (BAUMETALL 2/2013) steht ab sofort im Online-Extra zum Download bereit:
Autor
Joerg Hoyer
ist Klempnermeister und war viele Jahre Dozent/Trainer am KME-Schulungszentrum. Auf seiner Internetseite https://www.cad-zeichnen-hoyer.de/ gibt er wertvolle Hinweise zum Thema Abwickeln. Außerdem ist dort die 2013 erschienene und mit vielen Abbildungen versehene Broschüre „Gedrehte Mantelflächen“ erhältlich.
Joerg Hoyer
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