Der Schweizer Bogen, auch Gliederbogen genannt, wird bei größeren Dachvorsprüngen als Verbindung zwischen Rinne und Regenrohr eingesetzt. Bei einem fast rechtwinkligen Rohrknie und der zylindrischen Ausführung sind die Voraussetzungen nicht gerade ideal. Zum Beispiel besteht Verstopfungsgefahr und das Abflussverhalten könnte ebenfalls besser sein. Dennoch gelten Schweizer Bögen neben Rinnenkesseln als die Schmuckstücke jeder Dachentwässerungsanlage. Seit jeher zieren sie viele Gebäude und leiten das Niederschlagswasser zeitlos schön und elegant von der Rinne ins Rohr. Für uns Spengler bieten Schweizer Bögen zudem die Möglichkeit, zu zeigen, was wir können. Leider sieht es in der Realität oft anders aus: Maß nehmen, den Großhändler anrufen und kurz darauf den industriell gefertigten Wasserabweiser montieren. Industriell gefertigte Bögen sind in der Regel zweiteilig und bestehen aus einem Rohrwinkel sowie einem Rohrbogen, der durch ein spezielles Verfahren einseitig eingezogen (gefaltet) wird. Der aufgeweitete Rohrbogen und der Rohrwinkel werden einfach zusammengesteckt. Zu beachten ist:
- Die Steckverbindung am 87°-Winkel ist wasserdicht auszuführen.
- Das schlechtere Ablaufverhalten ist bei der Rinnenberechnung zu berücksichtigen.
Ist Handarbeit noch zeitgemäß?
Sind wir Monteure oder Handwerker? Natürlich ist der gekaufte Gliederbogen perfekt gefertigt und wirtschaftlicher, doch entscheidend ist, dass altes Wissen zunehmend verloren geht. Außerdem ist die Industrie spätestens bei der konischen Ausführung mit ihrem Latein am Ende. Ein Spengler, der sein Handwerk beherrscht, muss gewisse Tätigkeiten und Arbeitstechniken kennen. Dazu zählt auch das Konstruieren und Fertigen eines Schweizer Bogens. Um diese Fertigkeiten und Fachkenntnisse zu vermitteln, gibt es die überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen, kurz Ülus genannt. Dort werden Fähigkeiten vermittelt, die in den Fachbetrieben zu kurz kommen. Es sind meist alte Techniken, die bei den jungen Spenglern immer wieder auf Unverständnis stoßen. Wer diese Arbeitstechniken beherrscht, hat auf der Baustelle deutlich seltener Probleme. Ergänzend werden in den Ülus auch Kenntnisse um neue Techniken und Materialien wie Foliendächer und Flüssigkunststoffe vermittelt.
Situation auf der Baustelle
Und los geht's: Um ein optisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen, sollte die Anzahl der Segmente so gewählt werden, dass die einzelnen Rohrstücke nicht zu lang werden. Als Faustformel für die mittlere Segmentlänge können drei Viertel bis ein ganzer Rohrdurchmesser angenommen werden. Zunächst werden das Maß Mitte Rinne bis Mitte Regenrohr und der Rohrdurchmesser laut Rinnenberechnung ermittelt. In unserem Beispiel ist es eine sechsteilige Rinne mit konischem Einlauf und einem 80er-Regenrohr. Die Ausladung beträgt 240mm.
Konstruktion in neun Schritten
1. Einen Viertelkreis mit der ermittelten Ausladung schlagen.
2. Am oberen Ende einen halben oder einen ganzen Rohrdurchmesser abtragen (Halbmesser optisch schöner, Durchmesser mehr Gefälle).
3. Von dem entstandenen Schnittpunkt eine Linie zum Einstechpunkt des Viertelkreises ziehen, die Kreisstrecke zur rechten Seite ergibt die einzuteilende Länge des Bogens. Zur linken Seite wird im rechten Winkel zur konstruierten Linie der Kreisbogen verlängert. Das ist die Mittellinie vom Rohrknie im Gefälle.
4. Einteilen der Bogenlänge in gleiche Teile.
Die Formel lautet: Anzahl der Zwischenteile x 2 + 2. Bei unserem Beispiel drei Zwischenteile x 2 + 2 = 8. Die erste und die letzte Teilung befinden sich am Rohr. Bei dieser Anzahl von Zwischengliedern kann die Teilung per Winkelhalbierende vorgenommen werden. Ist dies nicht möglich, muss der Winkel gemessen, dann durch den errechneten Wert geteilt und das Ergebnis abgetragen werden.
5. Zwei weitere Viertelkreise mit dem Rohrdurchmesser schlagen.
6. Wir ziehen senkrecht die Linien des Rohres bis zum ersten Teiler, von diesem Schnittpunkt geht es über die Tangente zum nächsten Teiler.
7. Sind wir oben angelangt, werden die Linien verlängert, bis sie sich mit dem Rohr von oben kreuzen. Verbindet man die Schnittpunkte, erhält man die Gehrung des Winkelstücks.
8. Um die Nahtüberdeckung an Stutzen und Regenrohr sicherzustellen, sind die Mindestmaße ≥30mm einzuhalten. Aus optischen Gründen ist die mittlere Länge der mittleren Segmentlänge anzupassen.
9. Nachziehen der Körperkanten – fertig.
Die Abwicklung der Teile I, II, III und IV erfolgt klassisch über die zwölf Teilungen und das Abtragen der jeweiligen Höhen.
Zur Praxis
1. Den Schweizer Bogen im Maßstab 1:1 aufreißen.
2. Segmente I, II, III und IV abwickeln. Das Segment III wird dreimal benötigt und kann abgepaust werden (Falzzugaben nicht vergessen).
3. Falzausschnitte circa 2mm tiefer ausschneiden (wegen Nacharbeit).
4. Falze kanten!!! Vorsicht: Falz rechts offen!!!
5. Runden
6. Rohrfalz mit selbst gebogenem Falzmeißel (Blech 2 x 10mm umgeschlagen ergibt drei Blechstärken).
Falz schließen (untere Blechkante setzt sich optisch ab – auf dem Bild mit blauem Strich zur Verdeutlichung).
Blechmeißel an blaue Linie anhalten und durchsetzen, mit dem Holz- oder Kunststfoffhammer immer in der Mitte des Meißels klopfen, dann setzen sich die Enden des Meißels nicht im Werkstück ab.
7. Ungenauigkeiten auf einer Richtplatte anreißen und nacharbeiten (1 bis 2mm dürfen guten Gewissens nachgenommen werden, da jeder Falz beim Zusammenbau aufträgt. Kleine Unebenheiten am besten mit der Feile anpassen. Beim Nacharbeiten darauf achten, dass die Schräge nicht verändert wird. Das Segment sollte dann möglichst plan aufliegen.
8. Die Falzzugaben erneut anreißen und mit der Flachzange oder der Sickenmaschine leicht vornehmen.
9. Die geschweiften Einzelsegmente übereinander heben, mit einer Spannzange sichern und anzeichnen. Innen und außen auf Passgenauigkeit achten – bei Abweichungen ausmitteln.
10. Zum Bördeln kann die Kante wieder mit der Flachzange oder der Sickenmaschine vorgenommen werden. Auch hier geben mehrere Durchgänge dem Material entsprechende Zeit beim Stauchen.
11. Ist der Bord 90° aufgstellt, wird die Oberseite nachgefeilt – der Falz wird gleichmäßiger.
12. Nun wird die Winkelinnenseite gleich auf circa 170° geschlossen, da später mit dem Hammer das Schließen erschwert ist. Diesen Vorgang auf den Halbkreis anwenden. Zur Mitte hin einen Übergang auf den 90° Bord herstellen.
13. Die einzelnen Blechstücke können jetzt eingeschoben werden.
14. Anschließend den Falz langsam und gleichmäßig schließen.
15. Auf der Winkelinnenseite kann der Falz mit der Piccolo oder Flachzange zugedrückt werden. Ein Schließen mit dem Hammer ist fast nicht möglich (speziell am Winkelstück).
16. Teil für Teil zusammenfalzen. Auf die Falzlinie achten.
17. Und zum Schluss auf der 1:1-Zeichnung kontrollieren. Dieser Schritt kann auch während der gesamten Fertigung vorgenommen werden.
Die Downloads zu dieser Anleitung finden Sie hier.
Fazit
Mit entsprechender Übung gelingen in kurzer Zeit formschöne und individuell gefertigte Schweizer Bögen. Für mich als Ausbilder ist der Augenblick, in dem die Auszubildenden ihr Bauteil stolz in Händen halten, besonders wertvoll. Schließlich gehören Spengler zu den wenigen Handwerksberufen, die verstehen, wie aus zweidimensionalem Material dreidimensionale Werkstücke angefertigt werden.
INFO
Herstellung eines Schweizer Bogens
Autor
Michael Schmidt
ist Spenglermeister und Ausbilder am BTZ Kempten.