Nicht alle Handwerker und Architekten arbeiten laufend mit dem Werkstoff Walzblei. Wer auf Nummer Sicher gehen will, kann bei Bauprojekten auf einen materialtechnischen Berater der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V. zurückgreifen. Er bietet Hilfestellung von der Planung bis zur Qualitätskontrolle.
Welche Materialdicke ist geeignet? Wie bringe ich Überhangstreifen an? Was ist beim Verstemmen von Bleiwolle zu beachten? Viele Fragen klärt Jürgen Seifert direkt am Telefon. Nicht selten aber steigt er mit aufs Dach. Jürgen Seifert ist Schulungsleiter und materialtechnischer Berater der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V. und begleitet Bauprojekte mit Walzbleieinsatz von der Planung bis zur Qualitätskontrolle. So werden bautechnische Entscheidungen fachmännisch geprüft und die Langlebigkeit der Ausführungen gesichert.
Schon vor Beginn des Bauvorhabens sind wichtige Entscheidungen zu treffen. So auch bei der Restaurierung der Pfarrkirche St. Nikolaus in Büren, rund 30 Kilometer südwestlich von Paderborn. Bei der Beseitigung eines Sturmschadens am Turm waren Schäden an den Kranzhölzern, am Mauerwerk und an den Zifferblättern der Kirchturmuhren festgestellt worden. Die Kirchengemeinde entschied sich dafür, den Turm umfassend restaurieren zu lassen. Bei der Erarbeitung des Restaurierungskonzepts gingen die beauftragten Architekten Tebel und Partner aus Paderborn zunächst davon aus, dass die 30 Jahre alte Bleideckung des Turmhelms intakt ist. Nach der Einrüstung des Turmes im März 2010 ergab jedoch eine genaue Kontrolle, dass die Bleidecke erhebliche Schäden aufwies. An den Hohlwulsten der Längsfalze hatten sich bereits beträchtliche Risse gebildet.
Planung mit Weitblick
Zur Beratung über das weitere Vorgehen schalteten die Verantwortlichen Jürgen Seifert ein. Dachdeckermeister Werner Krolpfeifer, der im Rahmen der Sanierung am Turm Schieferarbeiten ausführte, hatte im Jahr 2007 an einer Praxisschulung der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V. mit Kursleiter Jürgen Seifert teilgenommen. Krolpfeifer bat ihn, zur Schadensanalyse nach Büren zu kommen. Der Berater nahm die Bleideckung vor Ort in Augenschein. Dabei stellte er fest, dass die Bleischare mit sichtbaren Kupferhaften auf dem Dach befestigt waren. „Zum Zeitpunkt der letzten Eindeckung entsprachen sichtbare Hafte dem damals gültigen Stand der Technik“, erklärt Seifert. Heute weiß man, dass sichtbare Hafte eine Ausdehnung der Schare in Quer- und Längsrichtung nur zulassen, wenn sie mit ausreichend Abstand zum Bleibleich angebracht werden. Sind sie zu stramm angelegt, kann es zu Riss- und Beulenbildung kommen. Von einer Reparatur durch Löten riet Jürgen Seifert ab. „In zehn Jahren haben sich sonst an denselben Stellen wieder Spannungsrisse gebildet“, warnte er. Die Architekten folgten dem Rat von Seifert. Werner Krolpfeifer und sein Team wurden mit einer kompletten Neueindeckung des Turmhelms beauftragt.
Die neue Walzblei-Eindeckung sollte unter modernen technischen Gesichtspunkten ausgeführt werden. Jürgen Seifert empfahl dementsprechend den Einsatz von nicht sichtbaren Querhaften. Durch das Anbringen der Hafte unter den Scharen wird eine temperaturbedingte Ausdehnung der Bleibleche ohne Einschränkung ermöglicht. Zudem entsteht eine stabile Verbindung, die für Dächer mit hoher Windlast besonders geeignet ist. Die Eindeckung sollte mit kleiner Hohlwulst und mit einer Falzbreite in zehnfacher Materialstärke ausgeführt werden. Darüber hinaus riet Seifert den Architekten, Walzblei in der Stärke 2,5 Millimeter einzusetzen. Die bestehende Deckung hatte eine Stärke von nur zwei Millimetern. Die Größe der Schare sollte beibehalten werden, um der Optik der Alteindeckung so nah wie möglich zu kommen.
Objektgerechte Ausführung
Jedes Gebäude stellt ganz eigene Anforderungen an Material und Technik. Die 112 Quadratmeter große Turmdachfläche von St. Nikolaus bot den Handwerkern einige Herausforderungen. Im unteren Bereich ist der achteckige Turmhelm konvex, also nach außen, und konkav, d.h. nach innen gekrümmt. Das Einbinden der Grate an der Dachspitze verlangt zudem ein individuelles Anfertigen der Bleischare vor Ort. Um die beteiligten Dachdecker auf die Arbeiten vorzubereiten, kam Jürgen Seifert vor Beginn der Eindeckarbeiten zu einem Beratungstermin in die Werkstatt von Werner Krolpfeifer. An einem Bleimodell schulte er die Dachdeckergesellen in den verschiedenen Verbindungstechniken. Viele der Mitarbeiter hatten bisher noch keine Bleiarbeiten in vergleichbarem Umfang ausgeführt.
Nach der Schulung begannen die Handwerker im September 2010 mit den Arbeiten. Zimmerer der Firma Wilhelm Risse hatten zwischenzeitlich eine neue, 32 Millimeter starke Fichtenschalung angebracht. Als Trennschicht wurde darauf eine Delta Fox-Vordeckbahn verlegt. Die Dachdecker brachten an der Traufe Kupferbleche im Zuschnitt von 250 Millimetern an. Die Bleischare wurden durch Umkantung bzw. Rückkantung mit dem Traufblech verbunden. Anschließend bereiteten die Handwerker die Bleizuschnitte für das Falzen vor. Sie nahmen traufseitig eine Rückkantung von 25 Millimetern vor, damit die Schare später in die Hafte der Querstöße eingehängt werden konnten. An der rechten Seite erstellten die Dachdecker einen Überdeckfalz von 100 Millimetern Breite, an der linken Seite einen Unterdeckfalz mit einer Breite von 75 Millimetern, beide im Winkel von 90 Grad.
Die konvexen und konkaven Dachpartien erforderten eine zusätzliche Bearbeitung der Walzblei-Schare. Um die Aufkantungen an die konvexe Krümmung anzupassen, schnitten die Handwerker die Falzbereiche senkrecht ein. Dann setzten sie einen Bleikeil in die offene Stelle. Die zugeschnittenen Keile wurden stumpf gestoßen eingesetzt und verschweißt, damit keine zusätzlichen Materialstärken das spätere Falzen erschweren. Bei den Bleischaren für die konkaven Dachflächen gingen die Dachdecker genau spiegelbildlich vor. Sie schnitten aus den Falzen einen Bleikeil heraus und verschweißten das Material. Die Nähte wurden auch hier stumpf gestoßen und verschweißt. Die Schweißarbeiten fanden aus Brandschutzgründen nicht auf der Dachfläche, sondern am Arbeitstisch auf dem Gerüst statt.
Die Verlegung der Schare erfolgte mit einem Versatz um jeweils eine halbe sichtbare Scharhöhe. Im Bereich der Höhenüberdeckung befestigten die Dachdecker die Schare mit Kupferhaften von 100 Millimetern Höhe und 530 Millimetern Breite. Im Seitenfalz wurden im Abstand von rund 40 Zentimetern zusätzliche Hafte angebracht. An den Stellen, an denen drei Falze überlappten, schnitten die Handwerker den senkrecht stehenden Bereich der mittleren Bahn diagonal aus, um eine dreifache Materialstärke beim Schließen der Falze zu verhindern. Die Schare wurden mit einem Holzhammer und einem asymmetrischen Klopfholz auf der Dachfläche in Position gebracht. Anschließend schlossen die Dachdecker die Falze mithilfe eines Treibhammers, eines Klopfholzes und einem Hartholzstück aus Eiche. Der entstandene Hohlwulst hatte eine Mindestbreite der zehnfachen Materialstärke. Nach Abschluss der Arbeiten wurde an jedem Tag Patinieröl auf die verlegten Flächen aufgetragen.
Gezielte Qualitätskontrolle
Seiferts Augen entgeht nichts. Rund 30 Tage waren die Dachdecker am Kirchturm in Büren tätig. Nach der Hälfte der Zeit bat Werner Krolpfeifer Jürgen Seifert, die bisher geleistete Arbeit vor Ort in Augenschein zu nehmen. Der Walzblei-Experte überprüfte die eingedeckten Flächen und gab Hinweise für das weitere Vorgehen. Denn eine Herausforderung stand den Dachdeckern noch bevor: das Einbinden der Grate im Bereich unter der Dachspitze. Da sich die Dachflächen zur Spitze hin verjüngen, laufen die Hohlwulste am Grat in den dort anzufertigenden Falz. Auch an diesen Stellen waren die Höhenüberdeckungen der einzelnen Elemente einzuhalten. Die Dachdecker fertigten alle Bleischare, die einseitig oder beidseitig am Grat endeten, vor Ort individuell an. Das vorgegebene Maß der großen Aufkantung wurde an verschiedenen Knotenpunkten erhöht, um ein Einbinden der Bleischare am Übergang zwischen Dachfläche und Grat zu ermöglichen. Zum Schluss befestigten die Handwerker unterhalb der Turmbekrönung, wo die Fläche in den Kaiserstiel übergeht, eine Manschette aus Walzblei und passten sie der Turmspitze an.
Nach Abschluss der Arbeiten nahm Jürgen Seifert eine Endkontrolle vor. Für die anstehende Bauabnahme machte er sich ein Bild von der Qualität der Eindeckung und war zufrieden: „Aus fachlicher Sicht war nichts auszusetzen“, berichtet Seifert. Durch seine laufende fachkundige Begleitung konnten viele knifflige Situationen frühzeitig erkannt und Probleme schon im Vorfeld umgangen werden. Der Turm der Pfarrkirche St. Nikolaus besitzt nun wieder ein intaktes Dach. Durch die fachgerechte Ausführung auf dem neuesten Stand der Technik wird die nächste Eindeckung weit mehr als 30 Jahre auf sich warten lassen.