Wer Zwiebeltürme an Kirchtürmen nur flüchtig und von Weitem betrachtet, ist versucht, deren Dacheindeckungen vorschnell über einen Kamm zu scheren. Dabei gibt es zahlreiche Unterschiede: Schon allein die Aufzählung der Dachdeckungsmaterialien und Deckungsarten könnte Bücher füllen – Verschiedenheiten bei Bauform und Größe erst recht. Ein Turmdach, das besondere Beachtung verdient, ist die mächtige Doppelzwiebel der neubarocken römisch-katholischen Pfarrkirche der Gemeinde Höchst (Bezirk Bregenz in Vorarlberg, Österreich). Das 1908 bis 1910 nach Plänen des Schweizer Architekten Albert Rimli mit dem Baumeister Cornel Rhomberg errichtete Bauwerk verfügt über ein Querschiff, eine geschwungene Giebelfassade und einen schlanken Nordturm mit einer imposanten Zwiebelhaube. Mit 81 m ist er der höchste Kirchturm Vorarlbergs. Davon messen schon allein die zwei mächtigen Kupferzwiebeln ca. 9 bzw. 6 m in der Höhe. Die Gesamthöhe der Turmhaube beträgt rund 25 m.
Schadensanalyse und Turmmarketing
An der über 100 Jahre alten Turmhaube wurden partiell undichte Stellen lokalisiert. Flugaufnahmen mit der Drohne haben gezeigt, dass Nähte aufgeplatzt waren. Zudem waren zahlreiche Spannungrisse durch Schwingungen und Sogeinwirkung in der Kupfereindeckung entstanden, sodass einige Kupferbauteile schon bei wenig Wind in Bewegung gerieten. Auch das Turmkreuz wies Risse auf. Obwohl der untere Teil der Turmeindeckung bereits vor rund 45 Jahren saniert worden war, wurde der Turm von Grund auf saniert. Dazu gehörte neben der Neueindeckung der Turmhaube auch die komplette Erneuerung bzw. Aufdopplung der Holzkonstruktion. Sie war durch die Undichtigkeiten stellenweise stark in Mitleidenschaft geraten und entsprach nicht mehr den heutigen Anforderungen bzw. Vorschriften. Darüber hinaus wurden Steinmetzarbeiten ausgeführt und die Kirchturmuhr samt Zifferblättern überarbeitet.
Während der fast zweijährigen Sanierungsphase schaffte es der Kirchturm gleich mehrere Male in die Presse und sogar im Fernsehen wurde über die Turmsanierung berichtet. Zum Beispiel wurde das mächtige Baugerüst in der Vorweihnachtszeit beleuchtet und die Turmbaustelle in eine weithin sichtbare Adventskerze verwandelt. Ebenfalls erwähnenswert ist das Engagement zweier Schülerinnen der Handelsakademie Lustenau. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit starteten sie ein Internetprojekt und informierten viele Menschen über das Bauvorhaben sowie die Leistung der Handwerker.
Herausforderung für Spengler und drei starke Partner
Am 6. November 2018 wurde die Turmrenovierung nach 16 Monaten Bauzeit beendet. Bis es so weit war, gab es für das Spenglerteam des Fachbetriebes Herbert Nagel in Höchst einiges zu tun. Herbert Nagel erinnert sich: „Im Vorfeld war der Umfang unserer Arbeiten kaum abschätzbar. Erst als das aus über 60 t Material bestehende Gerüst aufgestellt war, machten wir uns an die entsprechende Koordination. Nach vielen Gesprächen mit dem Denkmalamt, der örtlichen Bauleitung und der Diözese galt es, bei der Eindeckung besonders die beim Glockengeläute auftretenden mitunter starken Schwingungen des Turmes zu berücksichtigen. Natürlich unter Einhaltung der Vorgaben des Denkmalamtes und des aktuellen Standes der Technik konnten Ende März 2018 die Sanierungsarbeiten an der Kupferhaube beginnen.“
Fachliche Unterstützung erhielten die Spengler von Turm- und Kupferprofi Berthold Zürn aus Röthenbach bei Scheidegg im Allgäu, der beratend zur Seite stand. Zur Optimierung der Arbeitsabläufe erfolgte die Vorfertigung verschiedener Bauteile bei den Ornamentspenglern des Handelshauses Kaufmann in Neu-Ulm sowie in der Fachwerkstatt bei Krehle in Landsberg am Lech.
Eindeckung der Turmhaube
Eine Besonderheit der als Doppelzwiebel geformten Turmhaube ist die traufseitig umlaufende, geschwungene Kastenrinne. Sie besteht aus mehreren geraden und geschwungenen Teilen und wurde bei Krehle vorgefertigt. Darüber hinaus übernahmen die Spezialisten für runde und gebogene Profile auch die Anfertigung zahlreicher dreidimensional geformter Scharen. Damit die Profile möglichst passgenau vorbereitet werden konnten, erfolgte zunächst ihr konischer Zuschnitt. Anschließend wurden die Falze seitlich aufgekantet, rund gebogen bzw. bombiert sowie die einzelnen Blechscharen in Sektoren unterteilt. Nun folgte eine konkav und konvex verlaufende Bearbeitung der Blechscharen, um ebenso eine genaue Anpassung an die Form der Turmzwiebel zu erreichen bzw. die Montage zu erleichtern.
Eine weitere Herausforderung bildeten die Anschlüsse zur Lisene. Entsprechende Profile wurden vor Ort gemessen, vorbereitet und montiert. Die Lisene selbst wurde als herkömmliche Schindeldeckung mit konischem Verlauf sowie seitlich aufgestelltem Doppelfalz eingedeckt.
Historische Vorlage
Die Anfertigung der Gesimsprofile erfolgte unter Zuhilfenahme zuvor demontierter Original-Blechteile. An diesen Vorlagen wurden entsprechende Konturen abgenommen und dann auf die neuen Bauteile übertragen. Um die Montagezeiten zu verkürzen, wurden die neuen Gesimsprofile ebenfalls bei Krehle gefertigt und aus mehreren kurzen Segmenten zusammengesetzt.
Ein Blickfang bildet die Turmlaterne mit ihren vier ovalen Öffnungen. Im Innern befindet sich eine in ein kleines Kupferwalmdach integrierte Ausstiegsluke. Weitere Turmelemente bestehen aus treppenförmigen Flächenübergängen, daran angrenzenden vertikal verlaufenden Scharen sowie horizontal montierten Schindeln.
Werkzeuge, Hilfsmittel und Helfer
Den Abschluss des Turmes bildet eine sechseckige Krone mit rundem Übergang zur Turmspitze, die bei Kaufmann vorgefertigt wurde. Ebenso wie der Schaft der Turmspitze einschließlich des rund ausgeformten Kugelsockels. Die Sanierung der Turmkugel sowie des Turmschmucks wurde vom Atelier Mayer, Malerei – Restaurierung aus der Nachbargemeinde Gaißau übernommen.
Neben dem nötigen Fachwissen und einem gut funktionierenden Netzwerk sind bei einer Turmsanierung dieses Ausmaßes zahlreiche Handwerks- und Hilfsmittel erforderlich. Die Eindeckung selbst wurde aus weich legiertem 0,7-mm-Kupfer hergestellt. Zur Befestigung kamen ausschließlich Haftstreifen, Fest-, Schiebe- und Hosenhafte aus Edelstahl zum Einsatz. Die Verankerung erfolgte mit Edelstahlschrauben und zur Abdichtung aller Falze wurde die M.A.S.C.-Falzeinlage verwendet.
Um die Scharen in Form zu bringen, verwendete das Spenglerteam um Ronny Stibane große und kleine Falzformer der Marke Eckold. Weitere Werkzeuge waren z. B. diverse Falzroller bzw. Rollformer, Falzschließer, Kunststoffhämmer usw. Die gesamte Verarbeitung an der Turmhaube erfolgte in Handarbeit.
Starkes Team. Starkes Ergebnis. Starkes Extra
Seit November 2018 reckt sich die Doppelzwiebel von Höchst in neuem Glanz gen Himmel. Herbert Nagel freut sich gemeinsam mit seinem Spenglerteam um Bauleiter Ronny Stibane über die erfolgreiche Durchführung der Sanierung. Und weil eine Spenglerarbeit wie diese nicht alle Jahre vorkommt, empfiehlt der Spenglermeister aus Höchst den Klick ins Online-Extra dieses Beitrages. Dort sind nicht nur weitere Drohnenfotos des Kirchturmes zu sehen, sondern auch Bilder aus der BAUMETALL-Kamera, die kurz vor Fertigstellung ebenfalls vor Ort war, um die Spitzenleistung zu dokumentieren.