Es schien mir fast unglaublich, was die Ausschreibung zum neu aufgelegten BAUMETALL-Workshop versprach: Unter dem etwas irreführenden Titel „Blick in die Flugzeugspenglerei“ kündigte das Kleingedruckte an, dass man nicht nur richtigen Flugzeugbauern auf die Finger schauen konnte, sondern selbst ein Flugzeugmodell aus Titanzink herstellen würde. Titanzink – ein an sich williger, dauerhafter und gutmütiger Werkstoff – wenn man vom Löten absieht. Gerade daran hatten sich einige Erlebnisse bleibend in mein Gedächtnis gebrannt: War das Kupferstück am Lötkolben nicht heiß genug, dann lief das Zinn nicht richtig und ergab klumpige Nähte. Drehte man die Flamme hingegen etwas zu stark auf, wurde die Spitze zu heiß und ein Loch im Material war die Folge. In der Berufsschule bestand ein Streich darin, während jemand seinem Lötkolben keine Aufmerksamkeit schenkte, aber die Flamme angelassen hatte, weil er vielleicht eine ideale Einstellung gefunden hatte, die Flamme kurz aufzudrehen und das Kupferstück aufzuheizen. Wenn dann der Unglückselige nach seinem vermeintlich wohltemperierten Lötkolben griff, kam er leicht in Schwierigkeiten. Aber zurück im Hier und Jetzt war es keine Frage, daran teilzunehmen. Worte wie „einmalige Gelegenheit“ und „Stell Dich Deinen Herausforderungen!“ kamen mir in den Sinn und ich meldete mich umgehend an.
Wenige Tage vor dem Seminar, neudeutsch bekanntlich „Workshop“ genannt, kam eine E-Mail, die dazu aufforderte, Lötzeug, Blechschere und Deckzange mitzubringen. Also ging ich in den Keller und kramte in meinem Werkzeug, füllte die Propan-Kleinstflasche ab. Meiner Frau, die solche Aktivitäten in meiner Werkstatt einige Zeit nicht mehr erlebt hatte, war das etwas unheimlich und sie fragte, was los sei. Ich grummelte was von „Sachen für den Kurs herrichten“ und sie ahnte, dass große Ereignisse ihre Schatten vorauswarfen. „Aber dass danach alles wieder …“, … „JA, JA …!“ unterbrach ich unwirsch. Als ob ich jemals Unordnung hinterlassen hätte. Meine Frau trollte sich wieder, nicht ohne zuvor eine Bemerkung hinterlassen zu haben, die ich mir nicht merken wollte. Kurz darauf hatte ich die paar Utensilien in eine kleine Werkzeugkiste geräumt und alles im Kofferraum meines Fahrzeuges verstaut: Kaelin, wir kommen!
Zu Gast bei Flugzeugspenglern oder Eintrittskarte in eine andere Welt
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt fuhr ich in den Schwarzwald und fand in einem Industriegebiet in Hochmössingen die propere Werkshalle. Einem Bekannten, der sich mit flugtauglichen Modellflugzeugen befasst, hatte ich von dem Seminar erzählt. Seine vor ungläubigem Staunen weit aufgerissenen Augen im Kopf und den Ausspruch „Was? Du gehst zu K-A-E-L-I-N?“ noch im Ohr, betrat ich das Gebäude durch einen Nebeneingang. Im angrenzenden Raum duftete es nach Kaffee und ein paar „süße Stückle“ standen auf dem Tisch. Hier war ich richtig, wie mir freundlich dreinblickende Menschen zu verstehen gaben. Ein paar davon kannte ich schon von früheren BAUMETALL-Treffen, die Begrüßung fiel dementsprechend herzlich aus. Durch eine Scheibe konnte man direkt in die Fertigung schauen und sah dort „richtig große“ Flugzeugrümpfe, -flügel sowie Höhen- und Seitenleitwerke. Das alles sah weder nach Titanzink noch nach Modellfliegern aus und gerade, als ich mich ernsthaft zu fragen begann, ob ich die Ausschreibung richtig durchgelesen hatte, machten wir uns zu Fuß zur wenige Meter entfernten Restaurierungshalle auf. Dort waren die Einzelteile einer noch im Original existierenden Junkers 52, ob ihrer gutmütigen Flugweise liebevoll „Tante Ju“ genannt, in Stahlgestellen eingespannt. Kaelin hatte den Auftrag, dieses Flugzeug nach Jahrzehnten generalzuüberholen und wieder flugtauglich zu machen. Keine leichte Aufgabe und mit viel Handarbeit verbunden. Während auf einem freien Arbeitstisch die Einzelteile unseres zukünftigen Fliegers ausgebreitet wurden, körnte ein Mitarbeiter auf der Ju-52-Tragfläche jede einzelne der verbauten Nieten mittels eines gezielten Hammerschlages auf den Körner an. Tack – umsetzen des Körners – Tack – und so weiter.
Ready for Take-off – Startfreigabe erteilt
Hatten wir Teilnehmer noch zuvor dem gut gelaunten Kollegen interessiert zugeschaut und über uns selbst reflektiert („Wie bei der Stadt: Einer schafft und zehn schauen zu!“), war die Aufmerksamkeit schnell gewandert, als BAUMETALL-Chefredakteur Andreas Buck ein schwer anmutendes Paket öffnete, das er zuvor mit vielsagender Geste präsentiert hatte: „Da sind unsere Flieger drin!“ Das stimmte freilich nur insofern, dass uns weitgehend erspart blieb, mit Schablonen und Scheren zu hantieren und zu versuchen, wie ein Damenschneider* die Schnittmusterbögen auf Stoff zu übertragen, was in unserem Fall ja ein 0,7 mm dickes vorbewittertes Zinkblech war. Damit wir eine Vorstellung davon bekamen, was nach zwei Tagen das Ergebnis werden sollte, hatten die Vollblut-Spenglermeister Friedrich und Thomas Reinbold** mehrere Flugzeug- sowie Hubschraubermodelle aufgebaut. Diese sehr detailgetreu gefertigten Unikate waren in aufwendiger Handarbeit entstanden, wobei, so versicherten die beiden, diese ausschließlich mit klassischen Blechbearbeitungstechniken erstellt worden waren. Wir Teilnehmer rissen die Augen auf und bestaunten die Modelle: Was es nicht alles gibt und was nicht alles möglich ist … sofern man Ideen hat und willig ist.
Kärntner Herzlichkeit prägt Workshop-Leitung
Friedrich Reinbold, der bestimmt irgendwo liebevoll „der alte Fritz“ genannt wird, hat sich in 9360 Friesach einen Traum erfüllt und über die Jahre einen florierenden Spengler- und Dachdeckerbetrieb aufgebaut. Dass die Postleitzahl vor dem Ort vierstellig ist, hat seine Richtigkeit, denn die beiden Kursleiter sind waschechte Kärntner. Etwas unnahbar zunächst, aber die Distanz schwindet mit jeder Minute. Friedrich ist ganz der Mittelständler, wenn er erzählt, wie er sich überlegte, für seinen Ausbildungsbetrieb Auszubildende zu gewinnen und, quasi nebenbei, das Image des Spenglers in der Öffentlichkeit aufzupolieren. Denn er ist überzeugt davon, und da wird er plötzlich fast zum Politiker, dass das Ansehen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit total unterbewertet ist. „Keiner der jungen Leute will heute mehr Hand anlegen, da man ihnen von klein auf beibringt, dass man sich fürs Arbeiten nicht die Hände schmutzig macht“, ist eines der Statements, die seine kernige und flammend vorgetragene Ansprache spicken, bevor er auf die Modellflieger, nein, Flugzeugmodelle zu sprechen kommt. Irgendwie war er mal auf die Idee gekommen, Papiermodelle auf Titanzinkbleche zu übertragen und kam so über manche Tüftelei zu immer detaillierteren Flugzeugen. Er orientierte sich dabei stets an realen Fliegern, die vorwiegend beim Österreichischen Bundesheer in Dienst waren. So ließ sich manches seiner Modelle live am Himmel verfolgen. Während die Lehrlinge im Laufe ihrer betrieblichen Ausbildung im ersten Lehrjahr Stück für Stück ein solches Modell fertigen und dabei alle erforderlichen Arbeitstechniken lernen, tummelten sich im Seminar sämtlich mehr oder minder gestandene Blechner, die schlimmstenfalls ein wenig aus der Übung waren. Um dennoch den überaus eng gesetzten Zeitplan halten zu können, hatte Veranstalter und BAUMETALL-Chefredakteur Andreas Buck dafür gesorgt, dass für alle Teilnehmer Bausätze vorbereitet waren. So konnten wir gleich starten, ohne Gerangel um Schablonen.
Die Teilnehmer hatten ihre mitgebrachten Werkzeuge vor sich ausgebreitet und legten mit dem vordersten Teil des Rumpfes los. Dieses musste auf ein gedrücktes Rundblech passen, das später den Propeller aufnehmen würde. Rasch zeigte sich, dass es mit Schere und Zange nicht getan war, sondern aufgrund der Formen und Zusammenhänge auf ein breites Repertoire von Tricks und Kniffen zurückgegriffen werden musste, das sich nur mit weiteren Tools ergab.
Für Klempner sogar schöner als das Original
Das Objekt unserer Begierde ist ein sehr originalgetreues Titanzink-Modell der Jakowlew Jak-11 – ein einmotoriges Flugzeug aus sowjetischer Produktion. Ein zweisitziger Tiefdecker, speziell für die Fortgeschrittenen-Schulung von Jagdflugzeug-Piloten konstruiert und eingesetzt – auch in Österreich. Die Modelleinführung erfolgte 1946, das Produktionsende 1962 und der Nachbau im Maßstab 1:16 im Frühjahr 2020 bei der Kaelin Aero Technologies GmbH.
Mitten in der Flugzeugspenglerei stehend, brachte ich zahlreiche Einzelteile in Form, bog Titanzink-Tragflächen und Rumpfteile der Flugzeug-Karosserie zurecht. Dann ging es ans Löten – beim Zinkblech seit jeher meine Angstdisziplin. Vorsorglich hatte ich zu Hause meine Propan-Kleinstflasche bereitgelegt und gefüllt. Einer der Kollegen kam gleich mit einer 11-kg-Flasche daher und behielt recht: Sein Brenner wurde über die beiden Tage des Seminars nicht kalt und das hätte meine Kleinstflasche niemals durchgehalten. Erfreulich auch hier: Wenn jemandem ein Werkzeug fehlte oder jemand zum Assistieren benötigt wurde, hat man sich gegenseitig geholfen und zwar ohne große Worte, sondern einfach mit angepackt. Schließlich war man nicht in einer Gesellenprüfung. Es sollten am Ende auch keine Einzelteile abtransportiert werden, sondern ein Erfolgserlebnis, genauer: ein Erfolgsmodell mit nach Hause genommen werden.
Am zweiten Tag zeigte sich, dass meine Frau recht behalten hatte: Sie war der Überzeugung, dass ich, aus der Übung, nicht der Schnellste sein würde. Freund Andreas sah das auch so, bot seine Unterstützung an und fertigte in „Bucks Tragflügelwerft“ die Schwingen meines Fliegers. Dank ihm gelang es dann auch, dem zigarrenförmigen Rumpf die beiden Tragflächen angedeihen zu lassen. Immer wieder gab es Tipps und Hinweise von Vater und Sohn Reinbold, die tatkräftig mit Hand anlegten. Der Flieger nahm immer mehr Gestalt an, meine Anspannung wich im gleichen Maße. Noch die Fahrwerksklappen auflöten – und dann passierte es: Der Kolben war zu heiß und in der Tragfläche klaffte ein großes Loch. Bevor sich Panik breitmachte, begann ich zu improvisieren, schnippelte aus den vorhandenen Zinkresten zwei nicht ganz originalgetreue Klappenabdeckungen und lötete sie auf: Geschafft! Was ich zunächst kaum für möglich gehalten hatte, war nach zwei arbeitsintensiven Tagen gelungen: Jeder Teilnehmer hielt ein fertiggestelltes Modell in den Händen und manch ein gestandener Mann wurde zum Flugzeugpiloten wie in der Schülerzeit. Das mundgemachte Brummen von Motoren schwebte in der Luft und blieb den zufriedenen Teilnehmern auch noch auf dem Nachhauseweg in den Ohren.
Info
BAUMETALL-Workshop-Reihe
Autor Marc Warzawa ist Mitglied im BAUMETALL-Treff,
BAUMETALL-Juror und begeisterter Workshopper. In BAUMETALL- Ausgabe 1/2020 berichtete er leidenschaftlich über seine
Teilnahme an der Kreativen Kupferwerkstatt mit Manuela Geugelin.
Seine im Rahmen diverser Workshop-Teilnahmen gemachten
Erfahrungen fasst Warzawa in Form von Merksätzen zusammen:
Danke
BAUMETALL bedankt sich bei Kaelin und dem dort als Flugzeug-
spengler tätigen BAUMETALL-Treff-Mitglied Frank Preuss für die Gastfreundschaft und die optimale Mitorganisation.
Des Weiteren bedankt sich BAUMETALL bei Berthold Ruck von Rheinzink für die Herstellung und Bereitstellung der Modell-
Bausätze aus vorbewittertem Titanzink der Marke Rheinzink sowie bei Thomas und Friedrich Reinbold aus Kärnten für die überaus professionelle und engagierte Workshop-Leitung.
Workshop-Termine
Eine fast vergessene Handwerkskunst wird wiederbelebt
Kunst trifft Klempnertechnik und erzeugt Begeisterung
Sich als Flugzeugspengler den Traum vom Fliegen erfüllen! Workshop-Wiederholung bei den Kaelin-Flugzeugbauern.