Im schönen Ortsteil Hahnenklee-Bockswiese der Stadt Goslar im Harz befindet sich ein ungewöhnlicher und leicht archaisch anmutender Kirchenbau. Beim ersten Blick auf das Gebäude fühlen sich Besucher wohl unweigerlich ins Mittelalter versetzt, handelt es sich doch bei diesem Sakralbau um eine geschickte Replika der frühen skandinavischen Stabkirchen. Diese wurden in dieser Form schon im 12. Jahrhundert im Zuge der Christianisierung aufgebaut. Ein großer Vorteil dieser Bauart: Sie ließen sich einfach und damit verhältnismäßig schnell errichten. Stabkirchen verfügen über ein Tragwerk aus senkrecht stehenden Masten, auf denen die Dachkonstruktion aufliegt. Einige Autoren meinen, bei dieser Bauweise Parallelen zum Schiffsbau der Wikinger herstellen zu können. Aufgrund ihrer hölzernen und einfachen Grundstruktur gingen viele dieser frühen Bauten leider im Laufe der Zeit verloren.
Historischer Nachbau im Harz
Die Gustav-Adolf-Stabkirche in Hahnenklee wurde im Jahr 1908 eingeweiht und ist ein freier Nachbau der Stabkirche in Borgund, Norwegen. Errichtet wurde die Anlage von regionalen Handwerkern, welche für die Fertigung heimisches Fichtenholz verwendeten. In seiner Lebenszeit durchlief das Gebäude schon einige umfangreichere Sanierungen. Da die ursprünglichen Stabkirchen in der Übergangszeit zum Christentum errichtet wurden, findet sich in ihrer Gestaltung sowohl christliche als auch heidnische Symbolik. Das Dach wird sowohl von Kreuzen als auch von Drachenköpfen geziert. Sie sollen das Gebäude vor bösen Kräften schützen. Um die Aufgabe weiterhin erfüllen zu können, benötigten die Schutzpatrone allerdings zunächst selbst etwas Hilfe. In einem vorherigen Sanierungsabschnitt waren die Zierelemente an den Dächern schon einmal erneuert und in Walzblei ausgeführt wurden, jedoch stellte sich diese Ausführung als unzureichend heraus. Bei der Demontage konnte man erkennen, dass Verbindungsnähte teilweise aufgerissen waren. So konnte Feuchtigkeit in die hölzernen Unterkonstruktionen eindringen. Es bestand dringender Handlungsbedarf.
Gut, dass es in der Region Spezialisten für Denkmalpflege gibt! Dachhandwerker Marco Weiß hat sich mit seinem Unternehmen auf die Sanierung von historischen Objekten spezialisiert. Den Fokus legt Weiß dabei besonders auf Arbeiten mit Schiefer und Bleieindeckungen. Der Denkmalpflegeexperte schätzt dabei besonders die Langlebigkeit der Materialien, die er verarbeitet. „Das Ganze strahlt eine ganz besondere Eleganz aus und du weißt, das kann wieder 100 Jahre halten.“
Bleischwere Schönheit
Am Objekt wurden insgesamt 4,5 t Blei verarbeitet. Ein besonderes Highlight: Neben den vier klassischen Kreuzen auf den Nebendächern verfügt das Gotteshaus über vier mystisch wirkende Drachenköpfe, welche an den Firstenden des Gebäudes sitzen. Zwei schauen dabei vom Turm des Hauptschiffs auf ihre Kameraden an den Firstenden des Hauptgebäudes herab. So haben sie alles im Blick. Ihre Form erinnert dabei ein wenig an die Drachenboote der Wikinger. Damit ihnen, anders als ihren Vorgängern, das Wasser nicht irgendwann bis zum Halse steht, fertigte Marco Weiß zunächst eine Negativform aus Mehrschichtplatten. Das 3 mm starke Blei trieb er anschließend als zwei Schalen aus, die er nachfolgend zusammenschweißte. „Beim Bleitreiben ist das Erwärmen besonders wichtig“, gibt er zu bedenken. „Bei 100 bis 110 °C bekommt es eine Konsistenz, welche Knete ähnelt, und lässt sich so gut bearbeiten.“ Mit viel Liebe zum Detail können die Charakterköpfe nun wieder Unheil abwehren.
Eine besondere Herausforderung stellten die wellenförmigen Dachkämme dar, die auf allen Dächern als Firstabschluss dienen. In der ersten Ausführung bestanden sie aus einer Holzkonstruktion mit Bleiummantelung. Für die Sanierung wurden alle Wellen aus 20 mm dickem Vollmaterial gefertigt. Auch für den versierten Denkmalpflegeexperten eine echte Aufgabe.
Schlussendlich sägte er die Konturen aus und arbeitete danach mit einer Oberfräse. Eine Arbeit, die einige Zeit in Anspruch nahm, da die Wärmeentwicklung die Bearbeitung erschwerte. Jedes Firstelement ist 60 cm lang, 25 cm hoch und wiegt 23 kg! Die Wellen sitzen am First auf einer Sattelkonstruktion auf, welche ihren unteren Abschluss im Dachflächenbereich in einer Scharausführung mit Liegefalzen findet. Unter dem Bleiabschluss befindet sich das eigentliche Holzschindeldach der Kirche.
Herausfordernde Montage
Die Stabkirche in Hahnenklee stellte den versierten Dachhandwerker nicht nur in der Fertigung vor einige Herausforderungen. In der Vorplanung wurde schnell klar, dass für die Montagearbeiten eine Sonderlösung gefunden werden musste. Aufgrund des Aufbaus der Kirche war eine Verankerung des Baugerüstes am Kirchengebäude nicht möglich. Ein freitragendes Gerüst hätte den Kostenrahmen überschritten. So blieb als letzte Option die aufwendige Montage mit dem Hubsteiger. Um die Arbeitszeit im Steiger so weit wie möglich zu minimieren, erfolgte ein Großteil der Vorfertigung im Betrieb. Insgesamt war Marco Weiß drei Monate mit den Vorarbeiten in der Werkstatt beschäftigt. Die eigentliche Montage am Objekt erfolgte innerhalb von drei Wochen und das bei Traumwetter im Harz. „Und das hat auch gereicht“, erzählt er, denn: Das Gebäude ist ein beliebtes Ausflugsziel in der Region. Dementsprechend groß war auch der interessierte Publikumsverkehr in der Nähe des Hubsteigers. Trotzdem stellte dieses Projekt für den Spezialisten eine absolute Traumbaustelle dar. „So etwas wird es in meiner Karriere nicht noch einmal geben. Solche Spezialbaustellen muss man aber auch wollen. Häufig gibt es kein klassisches Nachschlagewerk oder jemanden, den man schnell anrufen kann. Wenn alles vorbei ist, ist man dann sehr zufrieden. Bis dahin kann das Ganze aber mental ganz schön belasten.“ Das besondere Engagement des Fachhandwerkers blieb dabei nicht verborgen. Auf der Website der Kirche finden interessierte Leser neben Bildern der letzten Baumaßnahme auch einen persönlichen Dank an Marco Weiß.
Zukunft Blei
Im Jahr 2018 ist Bleimetall durch die Europäische Chemikalienagentur ECHA in die Kandidatenliste der besonders besorgniserregenden Stoffe aufgenommen worden. Die Diskussion zur Aufnahme in die sogenannte REACH-Verordnung wurde in den letzten Jahren immer wieder vertagt, kam aber zuletzt in der Mitte des Jahres 2023 wieder auf. Ein generelles Herabsenken der Grenzwerte für Blei würde laut Zentralverband des Deutschen Handwerks den Umgang mit dem Stoff erheblich erschweren oder ihn gar unmöglich machen. In BAUMETALL-Ausgabe 8/23 setzen wir uns deswegen umfangreicher mit der Thematik auseinander.