Dicht muss es sein, dachte sich einer der wahrscheinlich besten Lötkolbenkünstler Süddeutschlands. Und zweifelsohne hatte dieser mit seiner Annahme Recht, denn dicht war es – zumindest für eine Weile. Was dann mit der wahrscheinlich längsten Trauflötnaht der Welt geschah ist atemberaubend. Dabei hätte eine Lötlandschaft wie diese es allemal verdient, als mahnendes Beispiel oder zur Abschreckung für die Nachwelt konserviert zu werden. Doch leider (oder zum Glück) kam alles anders. Aber der Reihe nach:
Industriell vorgefertigte Metalldachprofile lassen sich blitzschnell verlegen und weisen auch in statischer Hinsicht mancherlei Vorteile auf. Diese wollte der Bauherr eines Gebäudekomplexes in der Nähe von Tübingen nutzen und setzte vorgefertigte Titanzink-Stehfalzprofile für seinen Neubau ein. Dazu wurden auf einer Trapezprofil-Tragschale entsprechende Systemhalter montiert, mineralischer Dämmstoff ausgerollt und die Dacheindeckung als nicht belüftete Konstruktion montiert. Soweit so gut, doch die eigentliche Arbeit begann mit dem rückstausicheren Anschluss der Dachfläche an die angekanteten Einlaufschenkel der Kastenrinne. Wie gesagt – dicht musste es sein. Was lag also näher, als die zu kurz bemessenen und ohne Traufabkantung oder Tropfkanten-Winkel ausgestatteten Profile direkt und per Lötkolben mit der fast 50 m langen Rinne zu verbinden?
Vorsicht war geboten
Seit jeher ist sie vorsichtig, die Mutter der Porzellankiste – und auch der unbekannte Lötkolbenartist hatte in der Berufsschule offensichtlich gut aufgepasst. Ihm war bekannt, dass sich Titanzink bei einer Temperaturdifferenz von 100 °C um 2,2 mm/m ausdehnt. Und weil sicher sicher ist, war der Einbau von Rinnendehnungselementen mit Vorkopf Pflicht, auch wenn die Ausdehnungsgeister sich durch diese Maßnahme nicht beeindrucken ließen. Erbarmungslos trieben sie ihr Unwesen. Sie zerrten und rissen verbissen an den Lötverbindungen bis diese jämmerlich versagten.
Auch an Grat-, Kehl, und Pultdachanschlüssen konnten die tadellos ausgeführten Lötnähte schlimmeres Unheil nicht vermeiden – im Gegenteil: Das unter irrsinniger Spannung stehende Dach machte sich einfach, und ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, Luft. Hier und da rissen die Nähte auf. Verzweifelte Rettungsversuche per „Lötflicken“ oder „Repaband“ blieben erfolglos. Wassereinbruch an allen Fronten war die Folge.
Sanierungskonzept
Bei einer Dachbegehung und der anschließenden punktuellen Öffnung des Daches, zeigte sich das Schadensausmaß in vollem Umfang. Triefnasse Wärmedämmung, verrottete Konstruktionshölzer im Rinnenbereich sowie erste Anzeichen von Rückseitenkorrosion wurden sichtbar – an eine Rettung des Daches war nicht mehr zu denken.
Der zu Rate gezogene Architekt entschied sich gemeinsam mit dem Bauherren für den erneuten Einsatz des Werkstoffes Titanzink. Doch zunächst wurden Rahmenhölzer zur Gewährleistung einer funktionierenden Hinterlüftung aufgebracht und das Gefälle des Daches deutlich erhöht. Eine darüber angebrachte Holzschalung nebst strukturierter Trennlage bildete die Montageebene für die, durch traditionelle Stehfalztechnik verbundenen, Titanzink-Scharen. Unter der eingebauten Kastenrinne wurde eine Sicherheitsebene mit Bitumenschweißbahnen hergestellt und die entsprechenden Sicherheitsabläufe mit Flüssigkunststoff eingedichtet. Erst dann konnten die Klempnerarbeiten erneut und den Fachvorschriften entsprechend ausgeführt werden. Zum Einsatz kam neben Falzdichtbändern wiederum Löttechnik, jedoch nur punktuell, wie zum Beispiel an den Durchdringungen der Sanitärlüfter.
Fazit
Bei der Sanierung war wichtig, an allen Profilen und Scharen die Ausdehnung des Materials zu berücksichtigen. Um in tiefere Schichten des Dachaufbaus eingedrungene Feuchtigkeit austrocknen zu lassen, wurde zudem größter Wert auf eine in allen Bereichen funktionierende Belüftung gelegt.
Obwohl die Lötnähte tadellos ausgeführt und selbst an schwer zugänglichen Stellen wie an den Bördeln und Falzen des Industrieprofiles hochgeführt wurden, konnte das Dach nicht funktionieren. Wenn man bedenkt, welch Aufwand allein mit der Entfernung des Rückseitenschutzlackes vor dem Lötvorgang verbunden war wird deutlich, was für eine enorme Leistung hier vollbracht wurde. Interessant wäre, zu erfahren wie hoch der Gas- und Lötzinnverbrauch war und wie viel Arbeitszeit der gescheiterte Rekordversuch beanspruchte. Sicher ist, dass die damals beauftragten Kollegen zumindest in Sachen Löttechnik über unschätzbar viel Erfahrung verfügten. •
* Stefan Sieber ist Klempnermeister und Inhaber des gleichnamigen Fachbetriebes in Stuttgart