Nicht nur in der Karibik, sondern auch in Deutschland nehmen die Windgeschwindigkeiten ständig zu. Zum Glück sind hierzulande noch keine Hurrikans wie der Tropensturm Irma zu befürchten. Dennoch führt die globale Erwärmung auch in unseren Regionen zu heftigen Stürmen, die immer öfter Waldschneisen, komplett abgedeckte Dachlandschaften oder davongeflogene Metallbauteile zurücklassen. Die Behörden reagieren mit drastischen Maßnahmen – etwa der Forderung nach statischen Nachweisen für Metallbauelemente. Neben zunehmendem Aufwand müssen Klempnerfachbetriebe somit auch mit zusätzlichen Kosten zur Berechnung entsprechender Statiken rechnen. Diese können je nach Berechnungsaufwand schnell 2000 Euro und mehr betragen.
Nach § 18 Abs. 3 LBOVVO habe ich als Leiter der Technikerschule für Metallbautechnik an der Robert-Mayer-Schule in Stuttgart schon mehrere solcher Nachweise erbracht. Nebenbei bemerkt traut sich längst nicht jeder Statiker an dieses Thema heran – etwa weil er die Materie und die Umsetzung am Bau unzureichend kennt. Dazu kommt die Brisanz der Problematik. Bedenkt man, dass vom Wind gelöste und davongewehte Attikaabdeckungen in Schulhöfe einschlagen, sich in Hochspannungsleitungen verfangen oder fahrende Autos gefährden können, wird dies besonders deutlich. Wer will schon von umherfliegenden Blechen überholt werden und unter welchen Voraussetzungen hält ein Statiker bereitwillig seinen Kopf dafür hin – auch wenn er eine teure Bauschadensversicherung vorweisen kann?
Fallbeispiel
Nach einer Reklamation forderte eine Baurechtsbehörde im zweiten Versuch (dem sogenannten Nachbesserungsrecht des Handwerkers) einen statischen Nachweis zur Montage einer Attikaabdeckung. Die Berechnung sollte in einer Dokumentation umfassende Angaben zu Bügelabständen, Schrauben und der Bügelkonstruktion enthalten. Da ich auch Leiter der RMS-Klempnermeisterschule in Stuttgart bin, habe ich eine ähnliche Berechnung beispielhaft in mein Unterrichtsprogramm der Meisterschule aufgenommen. Entsprechende Aufgaben lasse ich mittlerweile sogar in diversen Klassenarbeiten rechnen. Das Interesse der Schüler (insbesondere solcher aus Industriebau-Unternehmen) ist groß.
Nun ist die Berechnung der Windsoglasten nach dem Eurocode EC 1, 1-4 beziehungsweise DIN EN 1991 Einwirkungen auf Tragwerke nicht einfach in den Unterrichtsstoff der Meisterschule zu integrieren beziehungsweise im Klempnerbetrieb durchzuführen. Für gewöhnlich werden derart komplexe Rechenvorgänge von Bachelors, Mastern oder eben staatlich geprüften Technikern vorgenommen. Sie alle sind planvorlageberechtigt und in der Lage, statische Nachweise zu erbringen. Übrigens sind nach § 43,4 LBO vom 5. März 2010 auch Meister befähigt, Pläne – also statisch relevante Haftenpläne am Dach und Bügelpläne bei Abdeckungen – bei einstöckigen Gebäuden bis 150 m2 und gewerblichen Gebäuden bis 250 m2, Garagen bis 100 m2 und Wandhöhen bis 5 m selbst zu erstellen! Diese Gebäude sind dann zumeist nach LBO VVO § 18 bis 250 m2 auch nicht prüfpflichtig.
Vorgaben des Zentralverbandes
Nach DIN 1991 Teil 4 muss jedes konkrete Objekt recht aufwendig mit mehreren Lastfallkombinationen und Sicherheitsbeiwerten aus verschiedenen Richtungen untersucht werden. Leichter geht es mithilfe der neuen ZVSHK-Klempnerfachregeln. Dort werden verbindliche Windsoglasten einschließlich der komplexen Sicherheitsbeiwerte in Tabelle 27 genannt. Die vordimensionierten Lastangaben für gängige Dachformen beziehen sich auf die Windzonen 1 bis 3. Mit diesen Werten lässt sich der Bügelabstand einer Mauerabdeckung relativ einfach berechnen. Die Klempnerfachregeln stellen dies handwerkergerecht und vereinfacht dar. Sie bieten somit eine gute Rechengrundlage. Natürlich kann ein Statiker mit einer sehr genauen Berechnung tatsächlich erforderliche Bügelabstände geringfügig reduzieren, aber Klempner und Metallbauer legen ja ohnehin großen Wert auf entsprechende Sicherheit. Es ist also empfehlenswert, lieber einen Halter mehr als zwei zu wenig einzubauen.
Die ZVSHK-Tabelle kann aber noch mehr: Bei einem Pultdach über 5° Dachneigung kommt am Pult der Bereich F-hoch hinzu. In der Mitte des Daches (früher auch Fläche genannt und bei dieser Berechnung uninteressant, da nur Dachränder und Dachecken betrachtet werden) kann der Bereich I oder J auftreten (siehe ZVSHK-Fachregel). Und so gehts: Zunächst wird der für das Objekt geltende Rand- und Eckbereich festgelegt. Dieser basiert auf der Hilfsgröße e, die entweder 2*h (2 mal Firsthöhe) oder b (größere Gebäudehälfte) entspricht. Der Wind „schlüpft“ eben entweder über das Dach (2*h) oder außen um die Fassade (b) herum.
Der kleinere Wert gilt!e = 2h oder b
Bei stark geneigten Dächern ist der kleinere Wert auf die schräge Dachfläche mit Umrechnungsfaktoren zu projizieren. Dies ist aber unter ca. 10° Neigung nicht notwendig, da Mauer- oder Attikaabdeckungen immer darin zu liegen kommen. Interessant ist der Eckbereich. Dieser wird mit e/4 berechnet und kann sich sehr weit über das Dach erstrecken. In diesen Bereichen sind generell engere Bügelabstände anzusetzen.
Beim Einkauf fertiger Bügel kann man sich unter Umständen Montagepläne vom Bügelhersteller erstellen lassen. Diese sind jedoch oft herstellerfreundlich und so ausgelegt, dass möglichst viele Bügel verkauft werden können. In der Praxis werden Halterabstände im Bereich von 50 bis 150 cm empfohlen, was teilweise nicht sehr sachkundig ist. Der Grund:
- Gebäudehöhe
- Windzone
- Lage am Objekt
- Dachneigung
bleiben dabei völlig unberücksichtigt. Ich erachte daher eine Berechnung (vielleicht nicht für jedes Objekt) mit dem vom Betrieb vorzugsweise verwendeten Bügel als durchaus sinnvoll. Insbesondere dann, wenn es sich um große Gebäudehöhen in exponierter Lage oder bei großen Dämmstärken handelt oder wenn bei großen Fassadendämmstärken der tragfähige Ankergrund nur weit hinten vorzufinden ist.
Mögliche Berechnungsmethode
Offen bleibt, was definitiv zur Berechnung anzusetzen ist. Besonders gefährdet sind Mauerabdeckungen, die …
- eine größere Dämmstärke überbrücken müssen (Schrauben sind erst weit hinten befestigt)
- die in großen Höhen und folglich mit großen Überdeckmaßen von +100 mm auszuführen sind
In vielen Fällen greift der Wind mit unterschiedlichen Hebelarmen an und biegt den Halter auf. Dieser Effekt muss bei einer genauen Statik berücksichtigt werden. Dazu muss das Widerstandsmoment des Bügels ermittelt werden. Nur dann lässt sich der maximal zulässige Halterabstand im Eck- oder Randbereich exakt bemessen. Eine Mauerabdeckung, die ich nach einem Schadensfall berechnet habe, war 3,2-fach überlastet. Sie schlug nach dem Versagen tatsächlich in einem Schulhof ein. Gott seid Dank nicht in der Pause! Die Monteure hatten sich einen Bügelabstand von 1,5 m „ausgedacht“. Für die exponierte Lage und die große Dämmstärke am Projekt war das deutlich zu wenig! Der neue berechnete Bügelabstand belief sich auf 80 cm im Randbereich und 50 cm im Eckbereich.
Die genaue Untersuchung des geschilderten Falls ist sehr umfangreich. Dennoch müsste sie beim Zukauf von Haltern fester Bestandteil sein. Ich habe daher eine überschlägige Berechnung auf Excel programmiert – rate aber von der Anwendung ohne fachkundigen Hintergrund bei prüfpflichtigen Gebäuden ab. Alternativ schlage ich folgendes Bemessungsverfahren vor: Mehrere Halterhersteller geben zulässig Belastungen in kN pro Halter an. Sie haben diese vermutlich in Zugversuchen ermittelt. Anzunehmende Windsoglasten pro m² lassen sich aus den ZVSHK-Fachregeln des Klempnerhandwerks ermitteln. Legt man den Zuschnitt der gesamten Abdeckung zugrunde und geht ferner davon aus, dass dieser rundum abhebend wirkt, kann der Bügelabstand einfach berechnet bzw. festgelegt werden.
Übungsbeispiel
Ein Stuttgarter Mehrfamilien-Wohnhaus mit Flachdach (Grundriss 12,00 x 10,00 m bei 22 m Höhe) soll eine Attikaabdeckung mit 400 mm Kronenbreite erhalten. Es werden Bügel der Firma xy mit einem Auszugswert von 1,8 kN vorgesehen.
- Teilen Sie das Dach in die Windsogbereiche ein
e = 2h oder b = 2*22 m oder 12 m = 44 m oder 12 m
Der kleine Wert gilt – also 12 m, somit erfolgt:
Randbereich = e/10 = 12 m/10 = 1,20 m
Eckbereich = e/4 = 12 m/4 = 3,00 m
Jetzt kann das Dach eingeteilt werden. Insgesamt sind es (ohne Innenecken) 10 Eckbereiche, was ca. 30 lfm entspricht.
Gesamtumfang 41 m – 30 m Eckbereich = 11 m Randbereich
- Berechnen Sie den Bügelabstand im Eckbereich
Windzone 1 für Stuttgart in 22 m Höhe Bereich F
Windlast lt. Fachregel
Dachneigung < 30° = 3,68 kN/m²
Zuschnitt 400 mm Mauer + 2 x 20 mm Tropfkante + 2 x 100 mm Überdeckung h2 + 2 x 27 mm Einkantung = 700 mm
Windlast Ecke = 3,68 kN/m2 * 0,70 m = 2,58 kN/m
Bügelabstand = 1,80 kN/Stück/2,58 kN/m = 0,69 m/Stück,
also Halterabstand rund 70 cm
- Berechnen Sie den Bügelabstand im Randbereich
Windzone 1 für Stuttgart in 22 m Höhe, Bereich G
Windlast lt. Fachregel Dachneigung < 30°= 2,94 kN/m2
Zuschnitt wie oben
Windlast Rand = 2,94 kN/m2 * 0,70 m = 2,05 kN/m
Bügelabstand = 1,80 kN/Stück/2,05 kN/m = 0,87 m/Stück
(Halterabstand ca. 85 cm)
- Berechnen Sie die Anzahl der Bügel insgesamt
Anzahl Bügel am Rand: 11 m/0,7 m/St = 15,7 = 16 Stück, da 3 Ränder, also 6 Stück pro Rand = gewählt 18 Stück
Anzahl Bügel an den 5 Ecken 30 m/0,85 m/St = 35,2 = 36 Stück, da 5 Ecken, also pro Ecke gewählt 8 Stück
Gesamtanzahl
5 Ecken à 8 Stück = 40 Stück
3 Ränder à 6 Stück = 18 Stück
gesamte Bügelanzahl: 58 Stück
In anderen Gebieten Deutschlands, etwa in Windzone 2 am Bodensee oder in Norddeutschland, sind deutlich engere Bügelabstände erforderlich. Im Küstenstreifen der Windzone 3 können bei hohen Gebäuden sogar Bügelabstände unter 30 bis 20 cm notwendig werden. Und auf den Inseln (Windzone 4) gibt es keine Angabe der ZVSHK-Fachregen mehr. Hier muss auf jeden Fall eine Statik erstellt werden und darüber hinaus profitieren die deutschen Inselklempner von verbindlichen Erfahrungswerten.
Fazit
Abschließend kann festgestellt werden, dass sich das vorgestellte Berechnungsverfahren gut dazu eignet, einen überschlägigen Nachweis zu erbringen. Die Windsogsicherheit von Attika- und Mauerabdeckungen ist somit in den meisten Fällen gewährleistet. Das Rechnen lohnt sich also und es ist allemal besser, als den Halterabstand irgendwie im Zufallsprinzip zu „erraten“.
Autor
Hans-Peter Rösch
ist Ausbilder der Klempnermeisterschüler sowie Leiter der Technikerschule für Metallbautechnik an der Robert-Mayer-Schule in Stuttgart.