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Freude am Handwerk

Auslöser für die Erneuerungsarbeiten am Amtsgericht Sinsheim war der auf längere Sicht geplante Ausbau des kompletten Dachgeschosses zu Büroräumen, der mit einer energetischen Sanierung begonnen werden sollte. Wobei alle Beteiligten von vornherein ahnten, dass zu einigen bereits bekannten Mängeln des Daches sicher weitere Schäden und Unzulänglichkeiten hinzukommen würden. Immerhin war das Gebäude 1896 vom Architekten Julius Koch erbaut worden, also ziemlich genau 120 Jahre alt. Die gelbe Klinkerfassade mit reichlich Sandstein-Schmuck verrät noch heute, wie man sich damals die Würde eines großherzoglich-badischen Amtsgerichts vorstellte. Schon dies allein hätte wohl für eine Unterschutzstellung als Baudenkmal ausgereicht. Aber dem Architekten und seinen Handwerkern ging es nicht nur um eine würdige Repräsentation, sie hatten offenbar auch Freude an handwerklicher Gestaltung, wie vor allem die umfangreichen und in der Form besonderen Spenglerarbeiten zeigen.

Am meisten ins Auge fallen sicherlich die Gauben auf der Straßenseite, die nicht nur an Dach und Wangen mit geprägten Schindelblechen bekleidet wurden, sondern von denen jede auch ein aufwendiges, leicht vor die Gaube gezogenes Zierdach in Pyramidenform erhielt. Markant ist außerdem, dass praktisch jeder denkbare Platz auf den Gauben oder den Giebeln mit Zierspitzen besetzt wurde. Ein drittes Detail fällt deutlich weniger auf, obwohl es für den Gesamteindruck vielleicht die größte Bedeutung hat: Die umlaufende Dachrinne ist als aufliegende Gesimsrinne ausgeführt. Sie schließt unmittelbar an das Hauptgesims aus Sandstein an und setzt dessen Formen ohne optischen Bruch mit Kantungen und Rundungen in Titanzink fort. Von unten ist die Dachrinne dadurch kaum als eigenständiges Bauteil wahrzunehmen und verschmilzt stattdessen mit dem Hauptgesims zu einer harmonischen Einheit am Übergang von der Fassade zum Dach.

Bei der genaueren Untersuchung des Metalls zeigte sich an gefundenen Prägestempeln, dass etliche Teile noch aus der Erbauungszeit stammten. Andere Elemente waren vor einigen Jahrzehnten erneuert worden, wiesen jedoch inzwischen Mängel zum Beispiel an den Anschlussdetails oder in der Wasserführung auf. Außerdem hatte diese Sanierung die Bauformen teilweise vereinfacht, etwa indem die ursprünglichen Prägebleche durch Glattbleche oder prägnante Wulste durch einfache Kanten ersetzt wurden. Unter diesen Bedingungen schlug der verantwortliche Architekt Dipl.-Ing. Peter Roggenbau aus Wiesenbach eine vollständige denkmalgerechte Erneuerung aller Gauben und Metallteile des Daches vor. Das Land Baden-Württemberg, vertreten durch Vermögen und Bau, akzeptierte diesen zunächst nicht geplanten Mehraufwand, weil er nicht nur dem Denkmalschutz, sondern auch der Vorbildwirkung bei öffentlichen Sanierungen von Baudenkmälern entsprach. Begleitend waren Reparaturen und teilweise Erneuerungen am Dachstuhl erforderlich. Die Ziegeldeckung ließ sich hingegen überwiegend erhalten. Sie wurde abschnittsweise umgedeckt und nur an unauffälliger Stelle mit modellgleichen Doppelmuldenfalzziegeln erneuert.

Rinnenerneuerung nach alten Bauakten

Die Klempnerarbeiten übernahm Thomas Steinel aus Baden-Baden, der Meisterprüfungen sowohl im Gas- und Wasserinstallateur- als auch im Blechnerhandwerk abgelegt hat und mit seinem Betrieb Metalldächer und Fassaden für Neubauten, aber häufig auch Renovierungen in der Denkmalpflege übernimmt. Er bezog einige Spezialteile wie die Profilbleche oder die zu erneuernden Zierspitzen von Dienstleistungspartnern, fertigte und formte jedoch den deutlich größeren Teil auf dem Maschinenpark der eigenen Werkstatt aus 0,7 und 0,8 mm dickem Rheinzink-Titanzink in der Oberflächenqualität pre-Patina blaugrau. Dadurch konnte er die kleinteiligen und häufig sogar mehrfach gekanteten oder gerundeten Formen des ursprünglichen Dachschmucks originalgetreu wiederherstellen, dabei aber gleichzeitig die Anschluss- und Verbindungsdetails nach heutigem technischem Stand ausführen.

Eine Herausforderung für den Maschinenpark war vor allem die aufliegende Gesimsrinne. Die Arbeiten begannen nach dem Abriss der alten Rinne noch relativ einfach mit einer Abdeckung des Sandsteingesimses, wobei selbst dieses glatte Teil bereits drei Kantungen erforderte: eine für die Wasserrückhaltung hinten und zwei für die saubere Tropfkante vorn. Auf diesem Trägerprofilblech wurden die ursprünglichen und beim Rückbau geborgenen Rinnenhalter aus verzinktem Stahl montiert und mit einem Stahlwinkel untereinander verbunden, ehe das für die äußere Optik entscheidende Karniesblech folgte. Glücklicherweise hatte sich in alten Bauakten aus dem 19. Jahrhundert ein Schnitt durch die Rinne gefunden. Daraus entwickelte der Architekt eine neue Zeichnung, die dem Blechner als Vorlage diente. Mit insgesamt fünf Abkantungen und drei Rundungen konnte Thomas Steinel die ursprüngliche Form zurückgewinnen.

Nach dem Einlegen der Gefällebohle folgte das eigentliche Rinnenblech auf einer Trennlage und einer Strukturmatte Air-Z von Rheinzink. Dieses Rinnenblech war bei der Sanierung vor einigen Jahrzehnten in einfachen Abkantungen ersetzt worden. Diesmal wurde es denkmalgerecht erneuert und erhielt an der gut sichtbaren äußeren Kante wieder seinen prägnanten Wulst. Auch in technischer Hinsicht konnte die Einbausituation verbessert werden, zum Beispiel durch den Einbau von mehr Dehnungausgleichern als zuvor, die die thermisch bedingten Längenänderungen der Rinne künftig ausgleichen können.

Historische Gauben: vorgefertigt und durchnummeriert

Eine Untersuchung hatte gezeigt, dass die gesamte Holzkonstruktion der Gauben durch Pilzbefall geschädigt und nicht zu retten war. Trotzdem ließ der Zimmermann beim Ausbau der ersten alten Gaube höchste Vorsicht walten, denn sie diente als Vorlage für die in der Werkstatt neu aufzubauenden Konstruktionen. Noch vor dem Einbau kamen die Gauben jedoch aus der Holzbau- in die Spenglerwerkstatt, wo die Blechner alle Bekleidungsteile zuschnitten und anpassten, aber noch nicht montierten. Lediglich die Traufbleche wurden schon jetzt befestigt, während alle anderen Zuschnitte nur mit Beschriftungen und Nummerierungen versehen wurden.

Ein Autokran hob die Gauben auf das Dach des Amtsgerichts, wo das Team von Thomas Steinel dann mit der Montage der Zuschnitte beginnen konnte. Auch hier konnte die ursprüngliche Form mit technisch modernisierten Funktionen wiederhergestellt werden. So erhielten die Satteldächer der Gauben wiederum eine Strukturmatte AIR-Z und außerdem eine speziell entwickelte Kehlausführung mit Mittelstehfalz für den fachgerechten und sicheren Anschluss an die Ziegeldeckung. Die spitzen Zierdächer wurden sogar mit einer kompletten unteren Deckebene aus glattem Titanzink versehen, ehe später die darüber liegenden Schindelbleche folgten.

Diese Maßnahme erhöhen die Sicherheit und damit auch die Lebensdauer der erneuerten Gauben, verändern aber nicht ihre prägnante äußere Gestalt. Denn hier wurde mit den Schindelblechen in der Fläche, den erneuerten Gratabdeckungen und den ebenfalls neuen Zierspitzen die ursprüngliche Form originalgetreu wiederhergestellt.

Neue Gauben für die Rückseite

Die alte Bauweisheit, wonach eine Sanierung immer für Überraschungen gut ist, bewahrheitete sich auch am Amtsgericht Sinsheim. Beim Rückbau der alten Rinne hatte sich nämlich gezeigt, dass sie bei der Erbauung gar nicht vollständig umlaufend als aufliegende Gesimsrinne ausgeführt worden war. Am Fuß der Risalite hatte damals der Steinmetz eine Rinne im Sandstein ausgeführt, die erst bei der späteren Sanierung mit Blech überdeckt worden war. Architekt und Blechner waren sich nach dieser Entdeckung schnell darin einig, die ursprüngliche Situation wiederherzustellen. Die Rinne im Sandstein wurde deshalb freigelegt, mit einer Trennlage und Blei neu abgedichtet und an die Hauptrinne angeschlossen. Zu erneuern waren außerdem die Bedachung des mittleren Ziergiebels mit einer klassischen Stehfalzdeckung, alle Kehlen im Ziegeldach sowie die rückseitigen Mauerwerksanschlüsse an die Risalite. Bei allem Streben nach einem repräsentativen Gebäude herrschten auch 1896 schon gewisse Sparsamkeitsvorstellungen. Sowohl die Fassade als auch das Dach der Rückseite waren deshalb mit deutlich weniger Aufwand als die Straßenseite ausgeführt worden. Diesem Gedanken blieb auch die jetzige Modernisierung treu, als für diese kaum einzusehende Hofseite neun vorher nicht vorhandene Gauben geplant wurden, um die später dort einzurichtenden Büroräume besser zu belichten.

Als moderne und nachträglich eingefügte Bauteile erhielten diese Gauben eine funktionale und sachlich klare Gestaltung. Gleichzeitig greifen ihre Dächer und Seitenteile aus Rheinzink-Titanzink in Stehfalzdeckung die Materialität ihrer historischen Pendants auf der Straßenseite auf. Mit einer markanten Firstgestaltung zitieren sie in gewissem Sinne sogar die sehr auffälligen historischen Gratabdeckungen auf der Straßenseite.

Fazit: Verbesserte Funktionalität in historischer Form

Durch eine sorgfältige Planung und die Handwerkskunst des Spenglers gelang beim 1896 erbauten Amtsgericht Sinsheim die denkmalgerechte Erneuerung der Dachentwässerung, der Gauben und aller anderen Einbauteile aus Metall. Dem kam entgegen, dass mit Rheinzink-Titanzink pre-Patina blaugrau ein Material zur Verfügung stand, dass in Oberflächenqualität und Verarbeitungsweise dem ursprünglichen Material entspricht. Während die Formen weitgehend originalgetreu wiedererstanden, konnten die technischen Funktionen und die Sicherheit des Daches sogar verbessert werden. Die Schmuck- und Bauteile aus Titanzink haben damit eine realistische Chance auf nochmals 120 Jahre Standzeit.

Bautafel

Objekt: Amtsgericht Sinsheim, 1894 – 1896 errichtet als großherzoglich-badisches Amtsgericht vom Architekten Julius Koch (1843 – 1921)

Vorhaben: Denkmalgerechte Erneuerung aller metallischen Einbauteile des Daches, Reparaturen und teilweiser Ersatz am Dachstuhl und der Ziegeldeckung, Erneuerung von zehn historischen sowie Einbau von neun neuenGauben, energetische Sanierung in Vorbereitung des Dachgeschossausbaus

Bauherr: Land Baden-Württemberg, Amt Mannheim und Heidelberg

Planung und Bauleitung: Freier Architekt Dipl.-Ing. Peter Roggenbau, Wiesenbach

Blechnerarbeiten: Thomas Steinel GmbH, Baden-Baden

Material: Rheinzink-Titanzink pre-Patina blaugrau, 0,7 und 0,8 mm, Zierspitzen und Schindelbleche von Dienstleistungspartnern

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