Als Spengler das Aufsetzen eines Turmkreuzes mitzuerleben ist etwas Besonderes. Schließlich symbolisiert der finale Kraftakt weithin sichtbar das Ende der zuvor erfolgten Arbeiten. Mit entsprechendem Stolz führten die Spenglermeister Renato Egli, Thomas Rütsche und Christian Zeuch am 26. Februar 2017 die Montage des restaurierten und neu vergoldeten Turmkreuzes der katholischen Kirche Santa Maria Neudorf in St. Gallen aus. Mehrere Monate waren sie damit beschäftigt, Dachrinnen, geschwungene Gesimse, geneigte Ortgänge, Kehlen, Rohre, Blitzschutzanlage und Attikaabdeckungen anzufertigen und zu installieren. Doch bis der krönende Abschluss erfolgen konnte, gab es allerhand zu tun.
Rückblick: Im Februar 2016 beginnt mit der Auflage des Baugesuchs die Renovierung der Außenfassaden und Dächer. In Absprache mit der Denkmalpflege sollen an der Fassade starre und teilweise gerissene Zementfugen durch elastische Kalkfugen ersetzt werden. Auch der Verputz sowie diverse Natur- und Kunststeinelemente weisen Schäden auf. Ein neuer Anstrich ist ebenfalls vorgesehen. Am dringlichsten ist die Sanierung des Daches: Das 100 Jahre alte Ziegeldach wird erneuert und das aus Holzschindeln bestehende Unterdach instand gesetzt. Eine Notüberdachung schützt den erst vor wenigen Jahren renovierten Innenraum der Kirche und ermöglicht witterungsunabhängiges und termingetreues Arbeiten.
Zehn Tonnen, elf Monate und ein starkes Team
Es liegt auf der Hand, dass eine eng terminierte Sanierung dieser Größenordnung nicht nur geballte Fachkompetenz, sondern auch eine entsprechende Mannschaftsstärke erfordert. Aus diesem Grund bewerben sich die Fachbetriebe Renato Egli (St. Gallen), Waga Spenglertechnik AG (Sirnach) und Zeuch AG (Gossau) als Arbeitsgemeinschaft um den Auftrag und erhalten den Zuschlag. In zehn Monaten verarbeiten sie 10 t Kupfer – rund 330 m² davon am „umgekehrten“ und vasenförmigen Turmhelm. Sozusagen als Aufwärmübung erfolgt zunächst die Anfertigung und Montage der insgesamt 220 m langen Dachentwässerungsanlage an Hauptdach und Seitenschiffen. Was sich banal anhört, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Geniestreich. Die mehrteilige und auf einem Steingesims aufgelegte Kastenrinne ist zugleich Traufpunkt-Auflage für die Biberdeckung sowie flugschneesichere Belüftungsöffnung der hinterlüfteten Ziegeleindeckung. Natürlich sind die vorderen Abtropfkanten der Rinnen tiefer angeordnet, sodass eventuell aufgestautes Wasser im Bedarfsfall problemlos überlaufen kann. Um die Längenausdehnung des Materials nicht zu behindern, verfügen die Gefälleabschnitte der Dachrinnen an den jeweiligen Hochpunkten über aufgekantete Böden und entsprechende Dehndeckel. Besonders auffallend sind die halbrunden, ebenfalls der geschwungenen Form des Gesimses angepassten Rinnenkessel. 20 Stück an der Zahl – alle unterschiedlich und exakt auf Maß gefertigt – das ist Schweizer Präzision. Eine deutliche Steigerung zu den linear verlaufenden, konischen Rinnenprofilen stellen die geneigten und geschwungenen Gesimsabdeckungen dar. Auch diese Kupferprofile folgen den strengen Vorgaben verzierter Steinornamente. Zahlreiche Schablonen und individuell angepasste Abtropfkanten später erstrahlen auch die Profile in neuem Kupferglanz.
Denkmalpflege
Obwohl ein Großteil der vor 100 Jahren montierten Kupferelemente im Laufe der Zeit hauchdünn geworden und von Haarrissen gezeichnet sind, werden nicht alle Metallbauteile im Zuge der Sanierung erneuert. Im Gegenteil: Ganz im Sinne verantwortungsvollen Denkmalschutzes bemüht sich die „Arge Spengler Kirche Neudorf“ darum, funktionstaugliche Kupferprofile zu erhalten. Die Herausforderung liegt jedoch darin, neue Bauteile behutsam an den Bestand anzuschließen. Dies ist beispielsweise an der umlaufenden Rinnen-Stirnblende der Fall. Diese wird von den alten Rinnen sorgfältig getrennt und nach der Erneuerung der Unterkonstruktion sowie der Kastenrinnen erneut montiert. Auch Teile der Turmeindeckung können sowohl am Hauptturm als auch an der Laterne auf dem Hauptdach des Kirchenschiffs gerettet werden. Gleiches trifft auf diverse Ornamente und Zierteile zu.
BAUMETALL-Besuch
Gemächlich zuckelt der Bauaufzug auf eine Höhe von rund 55 m. Es zieht wie Hechtsuppe. Der vom Bodensee kommende Wind peitscht uns Schneeregen ins Gesicht. Macht nichts! Es gibt ja bekanntlich nur schlechte Kleidung und so steigen wir über die Innenstufen des hervorragend verankerten Baugerüstes bis zum Traufpunkt des Turmdaches hinauf. Wir, das sind die drei diplomierten Schweizer Spenglermeister Renato Egli, Thomas Rütsche und Christian Zeuch und ich, der schreibende Klempnermeister aus der BAUMETALL-Redaktion. Schon lange wollte ich meine Schweizer Freunde besuchen. Dass unser Treffen nun in einer derart eindrucksvollen Baustellenbegehung gipfelt, freut mich besonders. Ich schaue mich um. Mein Blick fällt auf umliegende Kirchen, deren Türme allesamt von wunderschönen Metalleindeckungen bekrönt sind. „Dieser ist neu“, sagt Renato und deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den nächstgelegenen Kirchturm. „25 Jahre!“ Unweigerlich muss ich lachen, denn ein Dach, das bereits 25 Jahre auf dem Buckel hat, als neu zu bezeichnen, erscheint zunächst irgendwie komisch. Dann besinne ich mich, denke kurz nach und komme schlagartig in einer anderen Welt an. Mir wird bewusst, welche hohe Qualität die Baukunst unserer Vorfahren auszeichnet. Die dauerhafte Widerstandsfähigkeit einer Kupfereindeckung aus Spenglerhand ist nur ein Teil davon. Auch die Anfertigung der Kunststeinornamente sowie des betonierten Turms muss vor 100 Jahren eine unglaubliche Meisterleistung gewesen sein. Bedenkt man, dass damals weder Lastenaufzüge noch andere moderne Hilfsmittel zur Verfügung standen, wird mein Respekt vor den Baumeistern der Vergangenheit noch größer. Die uns zu Füßen liegenden und mit kümmerlichem Moos überwucherten Flachdächer können da trotz moderner Zeitgeist-Architektur bei Weitem nicht mithalten.
Christian reißt mich aus den Gedanken. In einer Gerüstecke zeigt er mir vom Turmhelm abgerissene Kupferschare, die eng zusammengeknäult auf ihren Abtransport warten. 100 Jahre lang haben sie den Turm vor Witterungseinflüssen geschützt. Die vergleichsweise wenigen Haarrisse deuten darauf hin, dass die Eindeckung aus rein materieller Sicht noch einige Jahre funktioniert hätte. „Rückseitig ist das Material wie neu“, erklärt Christian. Dann zeigt er mir eine Schar und erklärt: „Entlang des Falzverlaufes wurden die Bleche ausgeglüht. Das zeigen die noch immer gut erkennbaren Anlauffarben. Vermutlich haben unsere Vorfahren das Metall auf diese Weise weicher und entsprechend falzbar gemacht. Schwachpunkt der alten Eindeckung sind jedoch die handgeschmiedeten Eisennägel zur Haftbefestigung. Diese hatten sich gleich an mehreren Stellen gelockert, wodurch die Sturmsicherheit nicht mehr garantiert werden konnte.“
Es geht weiter nach oben. Vorbei an der Laterne und den dort montierten Lamellen, die den Glockenstuhl vor Schlagregen und Flugschnee schützen. Die mit Kupfer bekleideten Säulen der Laterne werden nicht saniert. Ebenso wenig die geschwungenen Gesimsprofile am Übergang zum Turmhelm. Dort sind mehrere Kollegen der Arge damit beschäftigt, konvex und konkav geschwungene Schare zu montieren. Sie verfügen über ein Achsmaß von 430 mm und eine Scharlänge von 1000 mm. Befestigt werden sie auf der 100 Jahre alten und noch immer intakten, jetzt aber zusätzlich mit Schrauben gesicherten Holzschalung.
Coole Idee: ein heißes Dach für kalte Tage
Ein gravierender Schwachpunkt der alten Turmeindeckung, die übrigens im Inneren des Turmes über lange Rohrleitungen entwässert wird, ist die Eisschanzenbildung. „Immer wieder kommt es im Winter zu Eisbruch, der die Kirchgänger gefährdet“, sagt Thomas. Dann bittet er Renato, von seiner heißen Idee zu berichten: „Wir haben ein Eisstopp-Heizsystem für diesen Turm entwickelt. In wenigen Tagen wird es eingebaut. Es besteht aus einer insgesamt knapp 500 m langen Ringleitung aus DN-18-mm-Kupferrohr. Diese wird in der Holzschalung versenkt montiert und funktioniert quasi als (Dach-)Bodenheizung. Die Heizung gibt ihre Wärme an die Rückseite der Kupferbedachung ab und verhindert so die Eisbildung an der Außenseite.“
Es ist spät geworden. Der Wind hat nachgelassen und der Aufzug bringt uns wieder nach unten. In einem kleinen St. Gallener Caféhaus erklären mir die drei Spenglermeister weitere Details. Sie berichten von zahlreichen Schablonen, die zur Anfertigung der Profile in der Werkstatt erforderlich waren, und davon, dass die gut vorbereiteten Bauteile just in time montiert wurden. Wie der Teamgeist die befreundeten Kollegen beflügelt, merke ich auch daran, dass ihre Detailvorschläge offensichtlich von der Bauleitung sowie der Bauherrschaft dankend angenommen werden.
Zeitsprung
Unmittelbar vor dem Altar und im Rahmen eines besonderen Gottesdienstes verlötet Spenglermeister Renato Egli den Deckel einer kupfernen Schmuckschatulle. In der mit dem Kirchenwappen verzierten Box befinden sich ein Behördenverzeichnis, eine aktuelle Tageszeitung, ein kompletter Münzsatz, diverse Baupläne, Handwerkerlisten sowie neuere Publikationen zu Kirche und Pfarrei Neudorf St. Maria. Außerdem liegt eine CD mit Orgelmusik und Gesängen des Projektchors Platz in der Kupferschachtel. Den krönenden Abschluss des Gottesdienstes bildet die Turmkreuzsetzung in rund 75 m Höhe. Dort befestigen die Spenglermeister die Dokumentenkiste im Unterteil der Turmkugel, setzen die zweite Kugelhälfte darüber und bringen das vergoldete und restaurierte Turmkreuz in Position.
Als Pfarreibeauftragter erklärt Hansjörg Frick die historische Bedeutung dieser Handlungen: „Das letzte Mal wurde die Turmkugel im Jahre 1917 anlässlich des Kirchenneubaus mit Zeitungen aus der Bauzeit von 1914 bis 1917 gefüllt. Der größte Teil dieser Zeitungen ist in den 100 Jahren leider verfault.“ Damit dies nicht noch einmal geschieht, wurden die Utensilien dieses Mal nicht nur in der Kugel, sondern einer zusätzlichen Dokumentenbox gesichert. Ob die Dokumente die Zeit auf diese Weise überdauern und wie lange sie in der Schatulle verbleiben müssen, steht allerdings in den Sternen. Renato, Thomas und Christian sind sich sicher, dass dies mindestens weitere 100 Jahre der Fall sein wird. Insgeheim hoffen sie natürlich, dass ihre Arbeit deutlich länger Bestand haben wird. Die Chance ist hoch.
Moderner Barock
Der Schweizer Architekt Adolf Gaudy (1872–1956) entwirft den Kirchenneubau der Kirche Santa Maria in St. Gallen im Jahr 1913. In Anlehnung an den Jugendstil wird das mit damals innovativen Baustoffen wie Beton und Kunststein errichtete Bauwerk dem modernen Barock zugeordnet. Gaudy bedient sich dabei verschiedenster Materialformen und greift zudem auf diverse Altstile zurück. Romanische, gotische und barocke Formen interpretiert Gaudy neu und transferiert sie in eine zeitgenössische Architektursprache. Der Kirchenkörper in Form eines lateinischen Kreuzes besteht aus einer dreischiffigen Basilika. Die Seitenschiffe heben sich als niedrigere Anbauten mit Satteldach vom Hauptkörper ab. Das Mittelschiff und Querschiff kreuzen sich im Vorchorbereich und tragen ein Mansardgiebeldach. Aus dem Firstkreuz wächst eine achteckige Laterne mit Haube. Ihre Kupfereindeckung wurde bei der Sanierung 2017 im Originalzustand belassen.
An der Westseite befindet sich die Vorhalle mit offener Bogenarkade – südseitig der Treppenturm zur Empore, Orgel und Chorhöhe der Sakristei. Der mächtige Glockenturm wächst an der Nordseite aus dem Kirchenschiff heraus. Seine allseitig ausgesparten Schallöffnungen verleihen dem Turmschaft eine besondere Form. Oben entfaltet sich der Helm zu einem halb geöffneten Blumenkelch.
Kirche und Nebenbauten sind in einfachem Material ausgeführt. Beton, Granit, Tuff und Muschelkalk sowie verputzte Wände dominieren die Fassaden. Helles Mauerwerk, dunkle Bedachung und die gestaffelte Anordnung erzeugen einen ausgewogenen Gesamteindruck.
Bautafel
Objekt:Kirche Neudorf Santa Maria, CH–St. Gallen
Bauherschaft:Katholische Kirchgemeinde St. Gallen
Bauleitung:Andreas Spari, Bollhalder + Eberle AG, St. Gallen
Fachbetriebs Arge Spengler Kirche Neudorf:Renato Egli, www.renatoegli.ch (St. Gallen),Waga Spenglertechnik AG, www.waga.ch (Sirnach), Zeuch AG, www.zeuch.ch (Gossau)
Kupferlieferant:Gabs AG, CH–Tägerwilen
Abmessungen an den Turm-bekleidungen: 0,6 mm x 500 mm
Fotos: Arge Spengler Kirche Neudorf und BAUMETALL
Zusätzliche Bildstrecke:www.baumetall.de/extra