Das darf doch nicht wahr sein! Der Ausdruck Ochsenauge bezeichnet sowohl ein Spiegelei als auch ein Gebäck mit Aprikosenfüllung und eine Pflanzenart. Außerdem werden diverse Schmetterlinge sowie eine der ersten brasilianischen Briefmarken Ochsenauge genannt, doch damit nicht genug: Die bei Motorrädern am Lenkerende montierten Blinker tragen denselben Namen und in der Augenheilkunde steht der Begriff als Synonym für den Grünen Star. Stars ganz anderer Art sind die Ornamenten-Profis der Lorenz Sporer Spenglerei und Bedachungen GmbH aus München. Jüngst hatten es die Edelspengler um Detlef Rheinwein ebenfalls mit zahlreichen Ochsenaugen zu tun – und zwar mit den für Spengler einzig wahren. Ja, der Begriff Ochsenauge ist auch in der Spenglertechnik weit verbreitet. Er steht als Bezeichnung für eine Fensterform, deren Einfassung vorwiegend aus Metall besteht.
Für einen Kunden in Frankreich fertigten die Münchner Ornamentenprofis sage und schreibe 168 Ochsenaugen aus Titanzink an. Montiert wurden sie von den Metalldachspezialisten der UTB Julien Soccard aus Pantin und zwar am kürzlich restaurierten Titanzinkdach der Pariser Polizeipräfektur. Dort schmücken die kunstvoll in Szene gesetzten Metallelemente die perfekt ausgebildete Metalldachtraufe eines landestypischen Titanzink-Leistendaches. In Reih und Glied an einer stabilen Metallkonstruktion befestigt, ziehen die metallischen Zierelemente nicht nur die Blicke der Fachwelt auf sich.
Blick ins Lexikon
Dass die Titanzink-Ochsenaugen in der Münchner Ornamentenmanufaktur Lorenz Sporer hergestellt und zur Montage an die prominente Pariser Adresse verschickt wurden, ist nur ein Teil dieser Geschichte. Wesentlich interessanter ist der Fertigungsprozess der klassischen Dach- oder Mansardenfenster. Die kunstvollen Ochsenaugen weisen an den seitlichen Abschlüssen sogenannte Zierschnecken auf. Diese gehen scheinbar nahtlos in eine das Ochsenauge umfassende Wulst über. Erst beim Blick in das Lexikon wird deutlich, dass die Herstellung einer Schnecke aus Metall mit einem hohen Maß an unterschiedlichen Anforderungen verbunden sein muss. Der Grund: Die auch als Schneckenhaus bezeichnete Figur verfügt über asymmetrisch spiralige Windungen. Die sogenannten Primordialgewinde verlaufen in kegelförmigen Windungen – in diesem Fall jeweils nach rechts oder nach links gerollt. Außerdem gehen die Mündungsöffnungen der Titanzinkschnecken elegant in eine halbrunde, das Fenster umlaufende Wulst über.
Fertigungsbericht
Den Beginn des Arbeitsvorgangs zur Herstellung der beeindruckenden Zierteile markiert ein genaues Studium des vorhandenen Originalmuster. Dazu säubert Detlef Rheinwein das historische Bauteil und richtet es auf einer Richtplatte aus. Im nächsten Schritt erfolgt die Herstellung einer Gipsform. Nach dem Trocknungsvorgang formen die Ornamentenprofis von Lorenz Sporer das Gipsmodells in Formsand ein und gießen es anschließend mit geschmolzenem Zink aus. Nach dem Auskühlen sehen die Windungen des massiven Zink-Modells der Original-Zierschnecke bereits sehr ähnlich. Als Gegenstück der durch Abguss entstandenen Zink-Matrize wird ein Bleistempel auf das Zinkmodell gegossen. Zur Rekonstruktion der Schnecke kommt Titanzink vom Typ MD 0,8 bis 1,00 mm der Marke Rheinzink zum Einsatz. Um das Material schonend zu bearbeiten, wird das Zierteil zunächst von Hand vorgetrieben. Als Unterlage dient die zuvor gegossene Zink-Matrize. Erst dann folgt der Prägevorgang und zwar in mehreren Schritten.
Beeindruckendes Fallwerk
Ein Fallwerk kann zunächst mit einer Presse verglichen werden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das historische Sporer-Fallwerk ausschließlich mit Muskelkraft betrieben wird und zwar so: Erst wird die vorgetriebene Zierschnecke in die Matrize eingelegt. Mit viel Fingerspitzengefühl wird dann der Prägedruck ermittelt. Dazu ziehen die Rekonstrukteure das an einer gurtähnlichen Vorrichtung befestigte Fallgewicht samt unterseitig angebrachtem Stempel auf eine bestimmte Höhe und lassen es kontrolliert auf das Werkstück fallen. Erwartungsgemäß ist der Prägevorgang entsprechend anstrengend, denn das historische Werkzeug wiegt rund 300 kg. Der Arbeitsablauf wird so oft wiederholt, bis die gewünschte Maßhaltigkeit erreicht ist. Rissbildung am Werkstück wird durch Erwärmung vermieden. Dazu erhitzt Detlef Rheinwein die Bauteile zwischen den einzelnen Prägevorgängen und je nach Bedarf mit einem Aufschweißbrenner. Um tiefere Konturen besser hervorzuheben, ziseliert er jede einzelne Schnecke sorgsam nach. Die Anfertigung der Schnecken erfolgt aus zwei Teilen – der Durchmesser beträgt 165 mm, die Tiefe 50 mm. Nach dem Prägen werden beide Schneckenhälften mit dem Gesimsbogen auf dem Ochsenauge verlötet.
Blick ins Ochsenauge
Der mit zwei Abkantungen versehene und konvex gerundete Gesimsbogen wird wie vorstehend beschrieben vorbereitet und dann in einem Stück geprägt. Auch dazu kommt das historische Sporer-Fallwerk zum Einsatz. Der innere Ring weist einen Durchmesser von 270 mm auf und wird mitsamt Wulst auf einer Drückbank hergestellt. Sämtliche Nähte sind mit einer Überlappung von 3 bis 5 mm versehen und werden weich gelötet. Um den Lochausschnitt fachgerecht löten zu können, kantet Detlef Rheinwein die Rückwand im Bereich des Ausschnitts zirka 5 mm durch Schweifen auf. Zur Erleichterung der Baustellenmontage werden die Segmente mit einer seitlich angebrachten Steckverbindung ausgestattet.
Perfekte Präfektur
Seit 1871 befindet sich das Herz der Präfektur im Zentrum von Paris. Das Gebäude wurde im neuflorentinischen Stil unter der Leitung vom Architekten Pierre-Victor Calliat errichtet und 2013 aufwendig saniert. Die zwei miteinander verbundenen Herrenhäuser verfügen über kunstvolle Steinfassaden und wunderbare Zinkdächer. Landestypisch werden die Titanzink-Leistendächer über die Mansardenflächen sowie darunter liegende Gesimsrinnen entwässert. Dem historischen Vorbild entsprechend schmücken die in München nach Original-Vorlagen hergestellten Ochsenaugen die Traufe des Metalldaches. Die Tatsache, dass bei Sporer auch heute noch Arbeitstechniken wie vor mehr als 130 Jahren zum Einsatz kommen, ist beeindruckend. Durch die Kombination mit modernen Arbeitstechniken sorgen zahlreich vorhandene historische Werkzeuge und Geräte sowie das bei Sporer seit Generationen weitergegebene Fachwissen für perfekte Ergebnisse. Nicht umsonst gilt die Münchner Ornamentenmanufaktur als Garant für originalgetreue Metall-Repliken – die Qualität der nach Paris gelieferten Ochsenaugen bestätigt dies. Dass die 168 Ochsenaugen ausgerechnet am Dach der Präfektur montiert wurden, kann nur einen Grund haben – sie sind besser, als es die Polizei erlaubt.
Bautafel
Objekt: Sanierung des Titanzinkdaches der Pariser Polizeipräfektur
Herstellung: 168 Ochsenaugen aus Titanzink nach historischer Vorlage durch Lorenz Sporer Spenglerei und Bedachungen GmbH, München
Montage: UTB, Julien Soccard, Pantin, Frankreich