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Zwei Edelstahlflügel und ein Aluminiumdach

Der Adler ist gelandet

Gemeinsam mit den Planern des Stuttgarter Architekturbüros bpr-architektur + design machten auch sie sich große Gedanken über zwei flügelähnliche Dächer eines organisch geformten Neubaus, die mit gestrahltem Edelstahl einzudecken waren…

Im Westen der bayrischen Landeshauptstadt steht seit kurzem ein neues Gemeindezentrum. Die Begegnungs- und Andachtsstätte der Christengemeinschaft München befindet sich am Ende einer Wohnsiedlung in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Kindergarten. „Von Norden kommend erhebt sich das Gebäude wie ein aufsteigender Schwan aus der Wiese“, so ein Gemeindemitglied. Letztlich obliegt es dem Betrachter, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, denn der futuristische Gebäudekomplex lädt förmlich dazu ein. Nichts an dem fremdartigen Baukörper, der Funktionsräume, einen Saal und einen Weiheraum beherbergt, erinnert an den aktuellen kubischen Architekturtrend. Im Gegenteil: Das vom Stuttgarter Architekten Paul-Gerhard Reeh entworfene Gebäude beeindruckt durch fließende Konturen. Weder im Grundriss noch auf den Dächern und an den Fassaden sind vertikale oder horizontale Linien erkennbar. Da sich diese Bauform vom allgemein üblichen Baustil unterscheidet, waren alle Baugewerke in höchstem Maße gefordert. Die Einhaltung der üblichen Toleranzen, sowie auch die angenommenen Bauzeiten stellten zudem eine grosse Herausforderung dar. Anders als bei indus­triell hergestellten Produkten, bei denen vorher aufwändige Prototypen gebaut werden, wurde dieses Objekt sofort nach der Entwicklung vom Plan weg in Handarbeit erstellt. Dadurch waren die beauftragen Bauhandwerker bereits von Anfang in höchstem Maße gefordert .

Vision und bedachte Wirklichkeit

In der Planungsphase war als Deckungsmaterial, für alle geneigten Dächer, Edelstahl vorgesehen. Im Zuge der Kostenschätzung wurde dann die Eindeckung des Weiheraumes auf Aluminium Profilbahnen (Profil 65/400/1,0 wmm mit einer Farbbeschichtung nach RAL 9007) umgestellt. Der Dachaufbau sämtlicher Dächer wurde einschalig und als nicht belüfteter, sogenannter Warmdachaufbau, ausgeführt. Die tragende klassische Holzkonstruktion, besteht aus Sparren und Pfetten sowie einer darüberliegenden Holzschalung. An stark gerundeten Bereichen wurde die Holzschalung zweischalig ausgeführt.

Zur Aufnahme der Aluminiumprofile des Weiheraumdaches wurden über der Sparrenebene eine kaltselbstklebende Dampfsperre und darauf querverlaufende Kanthölzer montiert. Die zwischen diesen Kanthölzern eingebaute und trittfeste Mineralfaserdämmung wurde zusätzlich mit einer weichen und komprimierbaren Dämmlage überdeckt. Die darauf befestigten, bombiert gelieferten Aluminium-Profilbahnen mussten aufgrund der Gesamtlänge von circa 25,00 m vor Ort verschweißt werden. Auch an der Ortgangausbildung wurden durchgängige Schweißnähte erforderlich, da speziell geformte und sogenannte X-Tail- beziehungsweise Monro-Bahnen für dieses Projekt nicht herstellbar waren. Dies gilt auch für die beidseitig abfallenden Zwickel, welche zudem noch mit einem eingeschweißten, innenliegenden Regenrohr verbunden wurden. Speziell angefertigte, und mit farbbeschichtetem Aluminium (RAL 9007) in Falztechnik bekleidete, vorgehängte Dachrinnen bilden den Traufabschluss des tonnenähnlichen Daches. Rinnen sowie Regenrohre sind mit einer selbstregulierenden Rinnenbeheizung ausgestattet.

Komplizierte Formen – komplexe Anschlüsse

Nahezu jedes Metallbauteil weist eine andere Abmessung auf, auch die in Winkelfalztechnik erstellte Ortgangbekleidung. Rationellerweise wurden die Ortgangscharen vor örtlich hergestellt. Die Dachein­deckung des Saalbaues erfolgte mit matt gestrahltem 0,5-mm-Edelstahl. Dabei erforderte die gewölbte, organische Dachform den Einbau trittfester Wärmedämmung in vier übereinanderliegenden Schichten. Diese Mineralfaserplatten wurden der Geometrie entsprechend stoßversetzt angeordnet.

Zur Herstellung der unterschiedlichen Dachscharen wurde, auf der Grundlage eines örtlichen Aufmaßes, ein Verlegeplan mit daraus resultierender Schargeometrie erarbeitet. Hier musste die maximal mögliche Torsion der Edelstahlbahnen berücksichtigt werden. Die Befestigung der Scharen auf der gewölbten Holzschalung erfolgte mit thermisch entkoppelten Spezialschiebehaften aus Edelstahl. Jede einzelne Schar wurde quer zum Wasserlauf eingebaut und daher durchgehend rollennahtgeschweißt. Anschließend erhielt der Kehlbereich eine großflächige Verblendung aus Alucobond. Dazu wurden auf zuvor angebrachten Falzklemmlaschen zweiteilige L-Profile aufgeschraubt und auf diesen die Alucobondplatten mittels PU-Kleber unsichtbar befestigt.

Der Anschluss der Edelstahldachdeckung an das Eingangsportal aus Sichtbeton erfolgte mit Flüssigkunststoff. Die Flächdächer angrenzender Funktionsräume erhielten eine klassische Bitumenabdichtung auf EPS-Gefälledämmung sowie eine extensive Dachbegrünung. Auch die Dachrandabdeckungen mussten, dem Gebäudeverlauf folgend im Grundriss, sowie in der Ansicht, gerundet ausgeführt werden. Dabei entsprechen die Bedachungsprofile in keiner Weise dem normalen Standart. Überhaupt waren die Bauaufgaben bei diesem Objekt extrem breit gefächert und erforderten Kenntnisse aller, im Spenglerbereich verwendeten Techniken und Systeme.

Erfolgsaussicht?

Mit dem Funkspruch „Der Adler ist gelandet“ werden bis heute unvergessene Ereignisse verbunden, und das, obwohl der erste bemannte Mondflug mit der Landung auf dem Erdtrabanten bei Weitem noch nicht abgeschlossen war. Erst die geglückte Rückkehr der Astronauten machte die Apollo Mission zu einem Erfolg. Ganz ähnlich verhielt es sich beim Neubau des Gemeindezentrums. Vor dem Bau der organisch geformten Metalldächer war eine exakte Kalkulation kaum möglich. Und obwohl das Team der Binder und Sohn GmbH ähnliche Projekte bislang nicht realisiert hatte, somit also auch nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen konnte, wurden die unkalkulierbaren Schwierigkeiten dieser, weit vom Standard abweichenden, Herausforderung überwunden. Dabei zeigte sich der wirtschaftliche Erfolg erst nach Abschluss aller Spenglerarbeiten. Heute erfreut der gelungene Neubau alle Baubeteiligten und präsentiert der Öffentlichkeit die Leistungsfähigkeit des Spenglerhandwerkes.

Johannes Binder

BAUTAFEL

Architektur: bpr – architektur + design, Stuttgart

Bauleitung: Architekturbüro Dipl.-Ing. Bernd Ließmann, München

Bauherr: Christengemeinschaft in Bayern KdöR Gemeinde München-West

Ausführende Binder & Sohn GmbH, Firma: Ingolstadt

Material: Aluminiumprofile vom Typ 65/408/1,0, Hersteller Bemo, Gestrahltes Edelstahl 1.4404. 625 x 0,5mm

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