Als Schwenningen noch nicht Teil der badisch-schwäbischen Doppelstadt Villingen-Schwenningen war, blühten dort die Uhrenindustrie und ihre Zulieferbetriebe. Auf dem Höhepunkt 1962 waren in dieser Branche über 8000 Menschen beschäftigt, allein die Firma Kienzle hatte 3200 Mitarbeiter. Doch mit der von Japan ausgehenden Verbreitung von Quarzuhrwerken begann ein stetiger Niedergang. Man hatte diese wichtige technologische Entwicklung schlichtweg verschlafen. Bedingt durch den technologischen Rückstand und Kapitalknappheit kam es in den 1970er-Jahren zur Krise, während der sowohl die heimische Uhrenproduktion als auch viele Feinmechaniker und Metallwarenhersteller aus Schwenningen verschwanden. So musste 2003 auch der älteste Industriebetrieb Schwenningens, die Metallwarenfabrik Johann Jäckle Konkurs anmelden.
Der Strukturwandel zog eine Reihe städtebaulicher Veränderungen nach sich. Viele Produktions- und Verwaltungsgebäude wurden abgerissen, der Bereich des überflüssig gewordenen Güterbahnhofs wurde zum Freigelände, auf dem 2010 die Landesgartenschau Baden-Württemberg stattfand.
Diesem Wandel fielen auch die leerstehenden Gebäude der Firma Jäckle zum Opfer. Das Verwaltungsgebäude wurde 1905 errichtet und bereits 1920 renoviert. Auf dem Dach befand sich ein kleiner Uhrenturm. Im Zuge der Arbeiten für die Landesgartenschau 2010 wurde es 2009 abgebrochen. Als einziges Bauteil wurde der Uhrenturm vom Schwenninger Heimatverein e.V. gerettet und zunächst auf dem städtischen Bauhof abgestellt.
Zusammenarbeit vieler Beteiligter
Unter der Federführung des zweiten Vorsitzenden des Heimatvereins, dem Historiker Siegfried Heinzmann, wurde der Uhrenturm wiederhergestellt und ein angemessener Platz gesucht, an dem er wieder errichtet werden konnte. Die alte Konstruktion war nicht mehr zu retten. Also wurde der Turmaufsatz mit den vier Zifferblättern nach altem Muster vollkommen neu konstruiert. Dazu musste eine Reihe von Gewerken koordiniert werden.
- Die gesamte Unterkonstruktion wurde durch die Zimmerei Jäckle aus Schwenningen neu erstellt.
- Die Blechnerarbeiten führte die Feder GmbH aus Daudingen aus.
- Das Uhrwerk stellte Horst-Dieter Wangler aus Hochemmingen kostenlos zur Verfügung. Die Uhren des Turms wurden ursprünglich durch Schwerkraft angetrieben. Da es keine Türmer mehr gibt, die die Gewichte täglich hochziehen, wurde ein spezielles Uhrwerk mit funkgesteuertem Motorantrieb, aber mechanischem Getriebe hergestellt.
- Die Schieferarbeiten um die Zifferblätter führte Herbert Breithaupt aus St. Georgen nach alten Fotos aus.
- Die originalen Zifferblätter wurden durch die Firma Kopp in Mühlhausen abgelaugt, Zahlen und Zeiger von der Firma Schneider aus Schonach goldplattiert.
Neukonstruktion
Der alte Uhrenturm fand vorübergehend auf dem Betriebsgelände der Firma Feder einen witterungssicheren Platz. Dort wurden die alten Kupferbleche zerlegt und aufgefaltet, um sie möglichst nah am alten Original wiederherzustellen. Nachdem die Neukonstruktion von den Zimmerern hergestellt war, konnten die Blechner in der Betriebshalle der Feder GmbH mit ihrer Arbeit beginnen. Es galt, den Sockelbereich und die Spitze des etwa vier Meter hohen Turmaufsatzes mit Kupfer zu bekleiden.
Neuer Standort
In der Zwischenzeit wurde auf dem Gelände der Landesgartenschau 2010, ganz in der Nähe der Neckarquelle, ein Standort für dieses insgesamt 9 m hohe Industriedenkmal gefunden. Das Gelände des alten Güterbahnhofs lag nach dem Strukturwandel brach. Dort wurde der Gartenschaupark Neckarpark angelegt. (Da eine Vergiftung des Grundwassers drohte, musste das mit Lösungsmitteln des ehemaligen Chemikalienhandels und der Uhrenindustrie kontaminierte Erdreich aufwendig saniert werden.)
In dieser Umgebung fand der Uhrenturm seinen endgültigen Standort. Der wiederhergestellte Aufsatz wurde auf einen 5m hohen Kubus gesetzt und vom Fachbetrieb Feder mit schiefergrau beschichtetem Farbaluminium in Stehfalztechnik bekleidet. Im Oktober 2012 wurde die gelungene Arbeit im Rahmen einer Veranstaltung der Stadt übergeben. Siegfried Heinzmann: „Der renovierte und am historischen Ort wieder aufgestellte Johann-Jäckle-Uhrenturm dient einmal als Aufwertung des ehemaligen Landesgartenschaugeländes und zum anderen auch als Zeitansage der Besucher im Neckarpark.“
Am neuen Standort wirkt der etwa 10m hohe, durch den dunklen Unterbau recht massiv erscheinende Solitär noch etwas fremd und unwirklich, fast wie mit Photoshop ins Bild kopiert. Auch der Standort selbst wirkt nach der Gartenschau insgesamt noch etwas kahl, doch das wird sich über die Jahre ändern. Spätestens dann, wenn die frisch gepflanzten Bäume und Büsche herangewachsen sind. Umso besser kommen die perfekt ausgeführten handwerklichen Leistungen zur Geltung, die eindrucksvoll dazu beitragen, an die glanzvolle Zeit der Schwenninger Uhrenindustrie zu erinnern.
BAUTAFEL
Federführende Organisation: Siegfried Heinzmann, Historiker und zweiter Vorsitzender des Schwenninger Heimatvereins e.V.
Unterkonstruktion: Zimmerei Jäckle, Schwenningen
Blechnerarbeiten: Feder GmbH, Daudingen
Uhrwerk: Horst-Dieter Wangler, Hochemmingen
Schieferarbeiten: Herbert Breithaupt, St. Georgen
Sanierung der Zifferblätter: Firma Kopp, Mühlhausen
INFO
Materialspende und Know-how
Der Fachbetrieb Feder Bedachungen Baublechnerei GmbH besteht seit 1915. Ab etwa 1900 stellte der Familienbetrieb im Nebenerwerb Holzschindeln her und verarbeitete diese. Seit 1990 führt Blechnermeister Herbert Feder das Familienunternehmen. Dachdeckerei und Qualitätsblechnerei genießen einen gleichermaßen hohen Stellenwert. Das Material wurde von einer ebenfalls sehr traditionsreichen Firma gespendet.
Die Gustav Barth GmbH in Renningen ist ein Familienunternehmen, das sein Geschäft seit fast 150 Jahren betreibt. Zuerst war es ein über alle Krisen hinweg mühsam aufstrebender Eisenwarenhandel. Ab 1908 konnte man dort Dr. Vottlers Blitzkupferbildner, verkupferte Zinkbleche und das Lötwasser Sudrol kaufen. Heute zählt die Gustav Barth GmbH im Südwesten zu den führenden Vollsortimentern für Flaschner- und Blechnereibedarf. Neben Tafeln, Bändern und Dachentwässerungsprodukten aus allen Baumetallen fertigt und liefert Barth auch bis zu 8m lange gekantete Profile nach Maß.
Das am oberen Turmabschluss benötigte Kupfer wurde von der Gustav Barth GmbH, das Farbaluminium für den Turmsockel vom Fachbetrieb Feder gespendet. Die Organisatoren danken herzlich dafür.
Autor
Markus Patschke
ist Klempnermeister, Energieberater, Fachwirt für Gebäudemanagement, freier wissenschaftlicher Mitarbeiter des IpeG-Instituts und gelisteter Effizienzhausexperte. Mit seinem übergreifenden Fachwissen unterstützt er auch Klempnerfachbetriebe.