Keine Wolke hängt am Himmel und das Außenthermometer steigt auf über 32° Celsius. In der Ferne taucht die Silhouette der toskanischen Stadt Volterra auf. Steil führen die Serpentinen auf 531 Höhenmeter und aus den Umrissen der mittelalterlichen Festung beginnen sich langsam Details herauszulösen. Als leidenschaftlicher Klempner fällt mein Blick natürlich zuerst auf die Dächer der vor mir liegenden Stadt. Terrakottafarbene Tonziegel in landestypischem Stil prägen die sichtbar werdende Dachlandschaft. Noch eine Biegung und ich bin am Ziel, bereit, mit der Erkundung Volterras zu beginnen.
Völlig unerwartet blendet mich der vertraute Glanz einer nagelneuen Kupfereindeckung. Am Stadtrand schiebt sich ein Neubau vor die romantische Kulisse, welcher den „normalen“ Urlauber nicht unbedingt begeistern dürfte. Instinktiv trete ich auf die Bremse, suche eine Parkmöglichkeit und gehe zielstrebig auf die Baustelle zu. Schnell habe ich einen Aufgang am italienischen Gerüst gefunden und schon staune ich über südländische Details. An der Traufe begrüßen mich groß dimensionierte Dachrinnen, die auf starke Regengüsse in diesem Gebiet der Toskana schließen lassen. Die Nahtverbindungen der Kastenrinnen sind genietet und geklebt. Ein großes Traufprofil (befestigt mit überdimensionalen Spenglerschrauben) bildet den Übergang zu dieser etwas anderen Kupfereindeckung. Nach Stehfalzscharen suche ich vergeblich, die Dachfläche erinnert eher an eine Art von Schindeldeckung. Bei genauerem Hinsehen ist schnell klar: Ich stehe auf einzelnen Bitumenschindeln, welche mit einer ca. 0,2 – 0,3 mm dünnen Kupferfolie überzogen sind.
Geklebtes Kupferdach
Da sich die Schindeln nicht anheben lassen, müssen sie vollflächig miteinander und mit dem Untergrund verklebt sein. Am Ortganganschluss ist die hinterlüftete Holzschalung noch teilweise sichtbar. Ein mit Rundlöchern gestanzter Streifen ermöglicht die Querlüftung unter der Dachfläche. Die Dachdurchdringungen wurden in „Dachdeckertechnik“ eingearbeitet und erinnern an Dachflächenlüfter klassischer Bitumendachdeckungen. In der Dachfläche sind sogar zahlreiche Schneestopper angeordnet. Sie lassen vermuten, dass es auch in der Toskana durchaus Schneeschauer geben kann. Interessant ist, dass solche Kupferdächer eine durchaus lange Lebenserwartung haben können. Sie widerstehen hochsommerlicher Hitze ebenso wie tieferen Temperaturen. Die kleinteilige Gliederung ermöglicht eine ungehinderte Ausdehnung des Materials und die vollflächige Verklebung entsprechende Sturmsicherheit. Dennoch gebe ich zu, als Liebhaber klassischer Metalldachkonstruktionen solide Stehfalze und ebensolche Materialstärken vorzuziehen.
Ein guter Stolperer fällt nicht
Nach der Besichtigung dieses untypischen toskanischen Daches betrete ich die historischen Gassen der aus der etruskischen Blütezeit im 4.Jh.v.Chr. stammenden Stadt. Und wieder stolpere ich fast buchstäblich über kupferne Klempnerbauteile. Anschlüsse der Regenrinnen und Regenrohre an die Kanalisation scheinen nicht zu existieren. Jeder Regenrohrstrang endet mit einem „gefalzten“ 72°-Bogen.
Interessant: Es existieren neben neuen und verbeulten Bögen auch „alkalisch geschützte“ Bauteile. Offensichtlich scheint die Zusammenarbeit zwischen italienischen Klempnern und Maurern in Volterra bestens zu funktionieren.
Drahtige Dachentwässerung
Eine weitere toskanische Besonderheit stellen die landestypischen Dachrinnenhalter dar. Diese werden meist schon vom Maurer direkt auf der Betondecke montiert. Wulstseitig verfügen die Rinneneisen über eine Ausprägung, die wie ein Haken nach unten zeigt. Durch einen dort eingehängten Draht wird die Rinnenwulst sicher nieder gehalten, wobei dieser Draht dann an der Rinnenrückkantung befestigt ist – fertig!
Erst als die Nacht über Volterra hereinbricht, begebe ich mich auf den Rückweg zu meinem Hotel. Ich freue mich über die gesammelten Eindrücke und ganz besonders über die Fotos, die ich meinen Lesern als spezielles Souvenir mit nach Hause bringe.
INFO
Dom von Siena erhält drei neue Dächer
Lange machten Bedachungsmängel und ihre Folgeschäden dem Dom von Siena zu schaffen. Über Jahre hinweg wurden große Teile der Dachfläche unter erschwerten Bedingungen rundum saniert. Dank bewährter Walzbleitechnik erstrahlen jetzt drei Dächer der Kathedrale in neuem Glanz.
Das Sanierungsprojekt war gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Auf einer Gesamtfläche von etwa 1600 m2 musste die Bleieindeckung dreier Dächer komplett erneuert werden. „Es kam vor allem darauf an, rund 55 t Walzblei zur richtigen Zeit in der passenden Abmessung an den richtigen Ort zu bringen“, berichtet der bautechnische Berater Andreas Hausherr.
Aus alten Fehlern lernen, lautete die Devise. Die Projektverantwortlichen stellten nicht die Materialentscheidung in Frage, sondern analysierten die Fehlerursache in Konstruktion und Ausführung. Das Ergebnis war eindeutig: Die angestrebte lange Lebensdauer der Konstruktion ließ sich am besten mit der seit Jahrhunderten bewährten Doppel-Stehfalz-Technik gewährleisten.
Den spannenden Artikel finden Sie im Themenschwerpunkt der nächsten BAUMETALL-Ausgabe 6/2010, die am 29. September erscheint.