Es ist immer wieder etwas Besonderes, wenn nach einer aufwendigen Gebäudesanierung die Baugerüste demontiert werden und dahinter verborgene Gebäude in neuem Glanz erstrahlen. Ganz ähnlich muss es nach der Rettung des 1895 in Neorenaissanceform erbauten Wohn- und Geschäftsgebäudes an der Grazer Schmiedgasse 29 gewesen sein – mit einem wesentlichen Unterschied. Der Fachbetrieb Spenglerei Dachdeckerei Kocher erregte bereits während der Bauphase die Aufmerksamkeit zahlreicher Passanten und zog sogar das Interesse des österreichischen Fernsehens auf sich, doch dazu später mehr.
Das mit der Straßenfront parallel zur Schmiedgasse verlaufende Eckhaus hat sein späthistorisches, repräsentatives Aussehen bis heute bewahrt. Den oberen Abschluss der Fassadenecken bilden jeweils Dachkuppeln mit ornamentreichen Zierkronen. Über dem Hauptportal erhebt sich ein turmförmiger Aufbau, der über das Dach ragt. Im Gebäude selbst befinden sich zwei Innenhöfe mit angrenzenden Dachflächen. Der bereits in den Jahren 2005/2006 begonnene Dachgeschossausbau wurde von den Architekten Roth-Pracher-Lyssy geplant, aus wirtschaftlichen Überlegungen jedoch erst im April des Jahres 2011 mit dem Erneuern und Aufsetzen der ornamentreichen Kuppelbekrönungen abgeschlossen. Bis kurz vor dem Ausbau war das Dachgeschoss teilweise mit der ursprünglichen Dacheindeckung, bestehend aus Pressfalzziegeln der Andritzer Ziegelwerke, eingedeckt. Einzelne Teilflächen wurden bereits nach den Kriegsjahren mit Biberschwanzziegeln saniert. Ebenfalls im Originalzustand befanden sich die beiden ornamentreich verzierten Zinkkuppeln an den Eckabschlüssen des Gebäudes. Unzählige Rissstellen durch Materialermüdung im Lauf von mehr als hundert Jahren machten eine Gesamtsanierung erforderlich. Frühere Versuche beauftragter Firmen, die Kuppeleindeckung und die Zierkronen der Kuppeln mit diversen Dichtstoffen zu reparieren, hatten keinen Erfolg mehr. Durch punktuelles Eintreten von Feuchtigkeit waren bereits erste Schäden an der Holzunterkonstruktion festzustellen. Generell konnten jedoch die alte Holzkonstruktion der Kuppeln sowie die Konstruktion des Dachstuhles der Hauptdachflächen bis auf Ausbesserungs- und Verstärkungsarbeiten weitgehend erhalten werden. Mit Ausnahme der Dachkuppeln und Kuppelbekrönungen aus historischem Zinkblech bestanden sämtliche anderen Metallteile am Dach aus verzinktem Stahl. Altersbedingt waren sie stark verrostet – der Rostschutzanstrich meist vollständig abgewittert.
Titanzink für ein schützenswertes Dach
Aufgrund der Lage des Gebäudes in der Grazer Altstadtschutzzone I sowie des geltenden Altstadterhaltungsgesetzes griffen die Architekten beim Dachausbau sehr behutsam in die Dachlandschaft des Gebäudes ein. Ein weiterer Grund für die sensible Vorgehensweise war der beim Blick vom Grazer Schlossberg erkennbare stadtbildprägende Charakter des Gebäudes. Dennoch gelang der Dachgeschossausbau in einer bemerkenswert hohen Qualität. Neben Dachflächenfenstern zur Belichtung wurden auch Dachloggien in die Dachflächen integriert. Die Dachflächen wurden als belüftete Konstruktion mit entsprechendem Unterdach (Holzvollschalung mit dampfdiffusionsoffener Unterdachbahn) von einem Zimmermannsbetrieb hergestellt. Die Wärmedämmung und der raumseitige Innenausbau wiederum fielen in den Leistungsumfang einer gesondert beauftragten Innenausbaufirma.
Im Innenhof wurde eine Dachfläche aufgeklappt und mit einer Steilmansarde ausgebildet. Die Eindeckung erfolgte in Doppelstehfalztechnik – verarbeitet wurde ausschließlich Titanzink in der Marke Rheinzink. Je nach Erfordernis kamen Materialstärken von 0,7mm, 0,8mm und 1,0 mm zum Einsatz. An der straßenseitigen Gebäudefront bilden Attikazonen den Dachabschluss. Vor dieser Attika schließt ein breites Gesims die Fassadenzone ab. Dieses Gesims wurde ebenfalls mit Titanzink in Doppelstehfalztechnik eingedeckt. Darunter befindet sich eine Holzunterkonstruktion mit entsprechendem Gefälle und geeigneter strukturierter Trennlage. Hinter der Attikazone eingebaute innenliegende Rinnen aus 1-mm-Rheinzink wurden jeweils mit darunterliegender Sicherheitsrinne und strukturierter Trennlage ausgeführt. Die Detailausführung dieser Entwässerungsbereiche wurde von Fachhandwerkern, planenden Architekten und Rheinzink-Technikern gemeinsam erarbeitet und freigegeben.
Kuppeln aus Titanzink
Als besondere spenglertechnische Herausforderung ist sicherlich die Eindeckung der beiden Eckkuppeln mit allen erforderlichen Anschlussdetails und den ornamentreichen Zierkronen anzusehen. Die Unterkonstruktion wurde ebenfalls mit einer Belüftungsebene ausgestattet. Zu- und Abluftöffnungen wurden jeweils verdeckt über die Traufen der Kuppeln beziehungsweise der anschließenden Ziegeldachfläche gemeinsam mit dem Zimmermann geplant und ausgeführt. Zusätzliche und ebenfalls verdeckt angeordnete Belüftungsöffnungen wurden aufgrund der Kuppelform auch beim profilierten Mittelgesims eingebaut. Umlaufende Abluftöffnungen befinden sich am oberen Abschluss der Kuppel, weitere an der flach geneigten Fläche darüber im Bereich der aufsitzenden Zierkronen. Die Kuppeln sind durch ein profiliertes Gesims in einen Ober- und einen Unterteil gegliedert und zusätzlich bei den Kuppelgraten mit aufgesetzten halbrunden Zierteilen versehen. Die Eindeckung der Kuppeln erfolgte mit eigens angefertigten Titanzinktafeln in Spiegeldeckung. Im Bereich der Grate wurden dem historischen Vorbild entsprechend Gratabdeckungen mit jeweils zwei großen Sickenverzierungen in Längsrichtung hergestellt und indirekt befestigt.
Die Zierkronen als Kuppelabschluss haben eine Höhe von ca. 2,30 m und wurden mit allen aufwendigen Details und Verzierungen vollständig in Handarbeit in der Werkstatt des Grazer Fachbetriebes Kocher angefertigt. Eine geschweißte Metallkonstruktion bildet die Unterkonstruktion, in welche ein Metallrohr mit ca. 20 cm Durchmesser eingebaut wurde. Dieses Rohr diente als Führungsrohr, um die Zierkronen passgenau auf die dafür vorgesehene Halterung der Kuppel aufzusetzen.
Medienwirksame Endmontage
Für die Montage der Zierkronen musste, da kein Gerüst mehr vorhanden war, die Schmiedgasse im Arbeitsbereich zur Gänze gesperrt werden. Die Hebearbeiten erfolgten mit einem 62 m hohen und speziellen Klappkran. Parallel dazu wurden die erforderlichen Spenglerarbeiten im Zuge des Aufsetzens mit einer 40m hohen elektrischen Arbeitsbühne durchgeführt. Die Arbeiten in der doch sehr beachtlichen Höhe hatten zur Folge, dass die Spengler ungewollt die Aufmerksamkeit zahlreicher Passanten auf sich zogen. Es bildete sich schnell eine Menschenmenge, die das nicht alltägliche Spektakel gespannt verfolgte. Auch ein Kameramann des ORF zeigte sich begeistert und filmte die Spezialisten bei der Arbeit. Der Kameramann ließ es sich nicht nehmen, gemeinsam mit den Dachprofis die Arbeitsbühne zu besteigen und die Montage der Kuppeln aus nächster Nähe zu filmen. Noch am gleichen Abend wurde der Beitrag vom Österreichischen Fernsehen auf ORF 2 ausgestrahlt.
Ein derart herausforderndes Projekt erfüllt alle Beteiligten zu Recht mit Stolz. Doch nicht nur die herausfordernden Spenglerarbeiten machen das Sanierungsprojekt Schmiedgasse 29 zu etwas Besonderem: Die Tatsache, dass private Auftraggeber bereit sind, viel Geld auszugeben, um das historische Erscheinungsbild eines Gebäudes auch bei einem Dachgeschossausbau altstadtgerecht zu erhalten, hat mindestens dieselbe Aufmerksamkeit verdient.
BAUTAFEL
Architektur: DI Roth-Pracher und DI Lyssy, Graz, Österreich
Fachbetrieb: Spenglerei Dachdeckerei Kocher GmbH & Co KG, Graz, Österreich
Kranservice: Felbermayr Transport- und Hebetechnik GmbH & Co KG, Graz, Österreich
Titanzink: Tafeln und Bänder der Marke Rheinzink in den Stärken 0,7/0,8/1,0 mm