Man kann sie gar nicht übersehen, diese gebaute Skulptur aus Messing, die – wie in die Landschaft gegossen – ganz selbstverständlich die südliche Ortszufahrt markiert. Zu auffällig ist die ungewöhnliche Architektur, zu exponiert die verkehrsgünstige Lage inmitten der Landenge. Perfekt ist auch die Harmonie mit der vorgegebenen Szenerie: mit der Landschaft zwischen Ostsee- und Boddenküste, dem benachbarten baulichen Bestand aus rohrgedeckten Häusern, einem offenen Ort, der als ehemalige Künstlerkolonie von historischer Bedeutung weithin bekannt ist. Der hier entstandenen Kunst, die immer tief mit der Landschaft verbunden war, sollte mit dem neuen Kunstmuseum Ahrenshoop ein Zuhause geschaffen und zugleich eine Landmarke gesetzt werden. Schon die unmittelbar faszinierende Formen- und Materialsprache zeugt vom kaum bestreitbaren Gelingen dieses Vorhabens.
Vom Foto zum Entwurf
Der Entwurf der Architekten wurde von einer alten, in der Region aufgenommenen Fotografie inspiriert, die eine Gruppe gleichförmiger rohrgedeckter Gebäude zeigt, offensichtlich ein Gehöft mit unregelmäßiger Anordnung der einzelnen Baukörper. Ausgehend von diesem Bild sollte der traditionelle örtliche Bautypus in eine moderne Museumsarchitektur transformiert werden. Das Ergebnis ist ein homogenes Ensemble von fünf weitestgehend fensterlosen Einraumhäusern, deren Walmdachspitzen unterhalb der Firstlinien quasi abgeschnitten sind, um über die entstandene Dachöffnung eine technisch hoch entwickelte Tageslichtversorgung der in Gänze als Ausstellungsraum genutzten Innenbereiche zu ermöglichen. Die einzelnen Häuser, komplett aus Stahlbeton gefertigte Massivbauten, sind wie bei einem urtümlichen Haufenhof in unterschiedlichen Ausrichtungen umeinander gruppiert, dazwischen ist in Höhe der überhanglosen Trauflinien ein verbindendes Flachdach gespannt. So entstand der Gesamtkomplex eines skulpturalen Baukörpers mit zentralem Foyer, von dem aus die einzelnen Ausstellungsräume/-häuser individuell erschlossen werden können.
Messing statt Naturmaterial
Mit den formalen Überlegungen einher ging von Anfang an die wesentliche Frage nach dem Material für die Gebäudehaut. Eine Rohrdeckung kam aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, sollte aber so weit wie möglich in moderner Architektursprache adaptiert werden. Eine nachhaltige Kupferbekleidung, die von Natur aus vergleichbare Alterungseigenschaften aufweist, wurde von vornherein favorisiert. In Zusammenarbeit mit einem kompetenten Industriepartner für Architekturwerkstoffe aus Kupfer fiel die Wahl schließlich auf eine legierte Form aus dem Portfolio des Herstellers, die im Verlauf der Oxidation eine sehr ähnliche farbliche Entwicklung wie eine Rohrdeckung zeigen würde. Das Markenmessing, eine spezielle Legierung aus Kupfer und Zink, zeigt zu Anfang eine Oberfläche, die farblich an eine frisch verlegte, in der Sonne glänzende Rohrdeckung erinnert. Wie diese wird sich das Metall im Laufe der Zeit verändern und in individueller Nuancierung von Grünbraun über Graubraun zu Dunkelbraun-Anthrazit wechseln, verursacht durch Ausbildung einer schützenden Oxidationsschicht, die Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit des Materials gewährleistet.
Den Aspekten Nachhaltigkeit und Oberflächenästhetik wurde so schon im Ansatz hervorragend Rechnung getragen, aber damit nicht genug: Auch die Struktur der Gebäudehaut sollte der Adaption einer Rohrdeckung weitestgehend entsprechen, um die skulpturale Formensprache bis ins Detail fortzuführen. Aber wie konnte die natürliche Unordnung der Vorlage auf das Messingblech übertragen, wie die erforderliche Unregelmäßigkeit in der Umformung realisiert werden? Hier kam ein firmeneigenes patentiertes Verfahren zum Zuge, das in enger Kooperation zwischen Architekten und einem auf Metallumformung spezialisierten Industrieunternehmen auf den Projektbedarf abgestimmt werden konnte. So näherte man sich in ständigen Optimierungsschritten zwischen Entwurfsidee und Konstruktionszeichnung einem vollkommen individuellen Blechprofil, das die Tiefenwirkung der rohrgedeckten Oberfläche fulminant auf der industriell vorgefertigten Messingfassade darstellt. Die realisierte Gebäudehaut zeigt eine scheinbar völlig ungeordnete und damit unvergleichbar lebendige Profilstruktur, die selbst im Übergang im Bereich der Trauflinien ohne erkennbaren Versatz durchläuft und ein Bild wie aus einem Guss vermittelt. Das Spiel von Licht und Schatten auf den Kanten und Biegungen der Messingoberfläche lässt die Haut in wechselnden Nuancen changieren und scheint damit die oxidationsbedingte farbliche Veränderung der Oberfläche bereits anzudeuten. Das Spektrum für Assoziationen ist breit, von der traditionellen Rohrdeckung bis zu Christos temporären Gebäudeverhüllungen, die mit ihren exakt geplanten Faltenwürfen ebenfalls eine verblüffende, ungewöhnliche Wirklichkeit schaffen.
Thematische Ausrichtung am Standort
Staab Architekten realisieren weder Museumskonzepte der Zukunft noch öffentliche Wiedererkennungsmarken für die eigene Leistung. Vielmehr spürt man die äußerst sensible Auseinandersetzung mit dem individuellen Bedarf des jeweiligen Museums, unter Berücksichtigung der so projektspezifischen Faktoren wie Standort, thematische Ausrichtung, Exponatbestand, Ausstellungskonzeption. Mit diesem Anspruch hat das Büro bereits mehrere unterschiedliche Projekte realisiert, wie das Neue Museum in Nürnberg, das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt oder das demnächst eröffnende Westfälische Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster. Auch in Ahrenshoop ist das Prinzip der Hinwendung zu Ort und Kunst erfahrbar. Wo die äußere Gestaltung einen respektvollen Umgang mit der Umgebung bezeugt, zeigt sich das Innere in wohltuend bescheidener Perfektion zugunsten der angemessenen Darstellung der Künstlerkolonie: helles Eichenholz im Foyer, ergänzt durch hellen, geschliffenen Estrichboden mit Kieseleinschlüssen, der sich gleichförmig durch alle vier Ausstellungsräume zieht. Die speziell gefertigte High-Tech-Tageslichtdecke sorgt für eine schattenlose, einheitliche Präsentation der Exponate auf den hell gemalten Wänden. Das fünfte Haus dient als „Kleines Kabinett“ mit eingezogener Decke als Seminar- und Begegnungsraum. Im Obergeschoss ist das Verwaltungsbüro beherbergt, mit einer beneidenswerten Aussicht auf die Messingdächer und die landschaftliche Umgebung, die das neue Kunstmuseum mit seiner überzeugenden Architektur adelt.
Erfolgreiche Projektierung und perfekte Ausführung
Das beispielhafte Gelingen dieser anspruchsvollen gestalterischen Lösung ist nicht zuletzt auf das harmonische Zusammenwirken der Projektbeteiligten zurückzuführen. Architekten und Industriepartner konnten in enger Zusammenarbeit problemlos ein Projekt realisieren, hinter dessen Entwurf die Stiftung Kunstmuseum Ahrenshoop als Bauherr von Anfang an mit allem Nachdruck stand und für dessen Durchsetzung sie kompromisslos eintrat. Man wollte genau diese skulpturale Architektur, das Bauensemble aus Messing als markante Landmarke für den Künstlerort, das gebaute Kunstwerk als Magneten für die vielen potenziellen Besucher, die vor allem im Sommer die Landenge bei Ahrenshoop in Richtung der Inselkette passieren. Gut zu wissen, dass solche herausragenden Projekte auch noch ohne Rangeleien und Kostenexplosionen realisierbar sind.
BAUTAFEL
Projekt: Kunstmuseum Ahrenshoop
Architektur: Staab Architekten, Berlin
Bauherr: Verein der Freunde und Förderer des Kunstmuseums Ahrenshoop e.V.
Fachbetrieb: Radeburger Fensterbau GmbH
Werkstoff Gebäudehülle: Für die Gebäudehülle des Kunstmuseums Ahrenshoop wurde ausschließlich der Messingwerkstoff Tecu-Brass des Herstellers KME Germany verwendet. Der nachhaltige und langlebige Werkstoff kam den Vorstellungen der Architekten bezüglich Oberflächencharakteristik und Alterungsverhalten in idealer Weise entgegen.
Profilierungsverfahren: Die Profilstruktur der Messingbekleidung wurde durch individualisierte Anwendung des Welltec-Verfahrens des Unternehmens MN Metallverarbeitung Neustadt realisiert. Mit dem Verfahren können Kantungen und Biegungen von Metallbändern nach unterschiedlichsten Vorstellungen konfiguriert werden, die auf anderen Wegen nicht darstellbar sind.
Fotografien: Christian Richters/KME/MN