Zugegeben, der bayerische Freistaat und Japan liegen sehr weit auseinander. Auch sonst sind die Unterschiede zwischen den beiden Ländern eher groß. Während in Bayern die Farben Weiß und Blau vorherrschen sind es in Japan Weiß und Rot. Japaner lieben Zierliches und haben einen Faible für elektronische Errungenschaften – Bayern mögen es eher rustikal und zünftig – so heißt es. Auch in der Baukultur gibt es deutliche Unterschiede, vor allem dann, wenn man versucht, ein japanisches Gegenstück zur Bleifassade des Bürokomplexes am Münchner Prinzregentenplatz 10 zu finden. Dennoch existiert, passend zur Sanierung der genannten bleiernen Fassadenhülle, eine wesentliche Gemeinsamkeit doch dazu später mehr…
Adolf Heinzinger, besteigt den an Stahlseilen hängenden schweren Wartungswagen des IVG-Bürogebäudes am Prinzregentenplatz 10 in München. Er steht genau in jenem Gefährt, das zuvor massive Schäden an der etwa vor 25 Jahren errichteten Bleifassade des Bürokomplexes verursacht hatte. Immer wieder war der hängende Arbeitskorb aufgrund fehlerhafter Bedienung gegen die Fassade gestoßen und hatte dabei verheerende Spuren hinterlassen. Noch ein paar letzte Schönheitskorrekturen möchte der beherzte Spenglervorarbeiter des Fachbetriebes Leib vornehmen, bevor er das umfangreiche Sanierungsprojekt nach etwa 19-wöchigem Arbeitseinsatz beendet.
Bleischwere Aufgaben
Neben der Sanierung der beschädigten Fassadenbereiche hatten die Mitarbeiter der Leib GmbH aus Moorenweis bei München auch schwerwiegende Ausführungsfehler zu beseitigen, beispielsweise an den bleibekleideten Gauben in der Mansardenfläche. Am Traufbereich der Mansardenfläche wiesen die dort angebrachten Edelstahlrinnen einen deutlich zu großen Abstand zu den Gaubenseitenwänden auf. Über die seitlichen Kehlanschlüsse geleitetes Niederschlagswasser wurde nur eingeschränkt abgeleitet. Der Austausch der Rinnen durch entsprechend verlängerte Entwässerungsprofile sowie deren erneuter Anschluss an die ebenfalls neu bekleideten Gaubenwände war die logische Konsequenz dieser Maßnahme. An den ebenfalls undichten Gaubendächern war es mit einer einfachen Neueindeckung jedoch nicht getan – im Gegenteil. Das Gefälle der gewalmten Dachflächen wurde seinerzeit zu gering bemessen – Kapillarprobleme waren die Folge. Aus diesem Grund erneuerten die Mitarbeiter der Leib GmbH zunächst die komplette Unterkonstruktion. Das Gefälle wurde mit unterlegten Keilhölzern erhöht und 27-mm-Dreischichtplatten nebst einer handelsüblichen Trennlage als vollflächige Auflage für die neue Bleieindeckung angebracht.
Außerdem mussten die Mansarden, allerdings mit zuvor demontiertem Blei aus dem Bestand, neu eingedeckt werden. Im Laufe der Zeit waren die nicht fachgerecht befestigten Bleischaren an den Mansarden und teilweise auch an der darunterliegenden Fassade aufgrund des hohen Bauteil-Eigengewichtes ins „Rutschen“ geraten. Nach der Neueindeckung sorgen an den Querstößen durchgehende Kupferhaftstreifen für die nötige Sicherheit. Darüber hinaus haben die Spengler aus Moorenweis die Scharen mit einer fertigen Rundfalzhöhe von 60 mm angefertigt. Hierzu war eine Falzzugabe von 100 und 120 mm erforderlich. Diese enorme Zugabe musste natürlich vorher auch kalkulatorisch berücksichtigt werden.
Bleiberatung
Mit entscheidenden Hinweisen zur Optimierung entsprechender Details unterstützte Jürgen Seifert, Anwendungstechniker des Bleiherstellers Röhr und Stolberg, die Sanierungsarbeiten. Während seiner Baustellenbesuche zeigte er praxisnahe Möglichkeiten auf, beispielsweise am Anschlussdetail der Attikaabdeckung über der Mansardenfläche. Diese vormals ebenfalls aus Walzblei bestehende Abdeckung war an den Übergängen zur Mansarde aufgrund unberücksichtigter Ausdehnungsmöglichkeiten sowie falsch angeordneter Stoßbereiche frühzeitig unbrauchbar geworden. Heute ruht eine Flachdachrandabdeckung aus Uginox auf zuvor angebrachten 27-mm-Dreischichtplatte. Das Geheimnis der Funktionstüchtigkeit liegt jedoch nicht in der Materialwahl, sondern vielmehr in der Form der Anschlussschürze am Übergang zur Mansardeneindeckung begründet. Auf die Scharbreite abgestimmte Walzblei-Schürzen sind nun so gestoßen, dass deren Ausdehnung nicht behindert wird – die Anschlussschürzen verfügen dementsprechend über nur je eine Rundfalzüberdeckung.
Entscheidende Hinweise gab Jürgen Seifert auch zur Neueindeckung der Fassadenflächen im Bereich der Dachterrasse. Hier wurde, wie an allen anderen Fassadenflächen, ausschließlich 2,5-mm-Blei verarbeitet. Zur Stabilisierung des Fassadenfalzes wurden durchgängige 32-mm-Aluminiumrohre eingearbeitet. Einerseits verstärken diese Rohre den Falz und sorgen andererseits für dessen dauerhafte Standfestigkeit. Um zu verhindern, dass die Fassadenscharen durch das hohe Eigengewicht abrutschen, wurden ebenfalls durchgängige Haftstreifen aus Kupfer eingebaut.
… und ein affenstarker Zusammenhang
Am Prinzregentenplatz verarbeitete das Spenglerteam der Leib GmbH Walzblei in Rollen – und zwar tonnenweise. So kamen allein für die Mansarde 1600 kg 2,5 x 800 x 2200 mm sowie 2700 kg 2,5 x 1000 x 1750 mm messendes Material zum Einsatz. Dazu kamen 4437 kg Walzblei in Tafeln im Format 2,5 x 800 x 1500 mm für die Fassade. Für die Herstellung der Anschlussschürzen am Übergang von Mansarde zur Uginox-Abdeckung benötigte es 500 kg Walzblei. Somit wurden für die Sanierung nahezu 8000 kg Walzblei verarbeitet.
Doch was genau verbindet die Verarbeitung von Walzblei, die Sanierung am Prinzregentenplatz und japanische (Bau-)Kultur? Das Geheimnis liegt in der wahren Bedeutung der symbolträchtigen „drei Affen“ begründet. Die drei Affen (jap.: ) haben ihren Ursprung in einem japanischen Sprichwort und stehen dort für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem. Der Ausspruch „nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sagen“ ist wesentlicher Bestandteil dieses Symboles. Doch während die drei Affen in Japan „über Schlechtes weise hinwegsehen“, werden sie in der westlichen Welt eher mit der Umschreibung „alles Schlechte nicht wahrhaben wollen“ gleichgesetzt. Aufgrund dieses negativen Bedeutungswandels gelten die drei Affen hierzulande häufig als Beispiel für mangelnde Zivilcourage. Überträgt man nun diese Botschaft aus dem Land der aufgehenden Sonne auf die Bleisanierung am Prinzregentenplatz wird eines klar: Durch das hohe Qualitätsbewusstsein des ausführenden Fachbetriebes sowie die praxisnahe Unterstützung des Bleiherstellers entstand ein qualitativ hochwertiges Ergebnis. Couragiert und mit entsprechendem Engagement ist es den Beteiligten gelungen, eine zuvor fehlerbehaftete Bauausführung in eine erstklassige Referenz zu verwandeln. Mit dem bloßen Ignorieren der zuvor vorhandenen Bauschäden wäre dies niemals möglich gewesen.
Bautafel
Bauherr: IVG Asset Management GmbH, Niederlassung München
Bauüberwachung: IWS ConsultingPartners GmbH, Oberhaching
Fachbetrieb: Leib GmbH Spenglerei-Bedachungen, Moorenweis
Material: Walzblei von Röhr und Stolberg, 2,5 mm in Rollen und Tafeln