Das Alte-Hospiz trotzt dem rauen Klima der kargen Bergwelt. Die hoch aufgerichtete Hauptfassade mit ihren gedrungenen Fenstern zeigt nach Süden, während sich das Gebäude auf den Wetterseiten durch ein steiles, weit heruntergezogenes Dach schützt. In einem Konzeptwettbewerb zum Ausbau des Gotthardhospizes als Dependance des Passhotels siegte das Projekt des Basler Architekturbüros Miller & Maranta. Es verstärkt die prägende Architektur, integriert die Kapelle und platziert die Hotelräume unter ein mehrere Stockwerke hohes Dach mit markanten Lukarnen. Um die Ästhetik des Bauwerks zu unterstreichen, wählten die Architekten für das Dach eine Abdeckung aus Blei. Farbe, Schwere und Teilung wirken grob aber grundsolide. Auch die neuen Lukarnen werden vom schützenden Bleimantel eingehüllt. Partner für den Bau des Bleidaches ist die Züricher Bauspenglerei Scherrer Metec AG. Sie kann als einzige in der Schweiz sowohl auf eine über 100-jährige Tradition zurückblicken sowie Erfahrungen im Einsatz von Blei vorweisen. Beachtenswerte Beispiele sind die Fassade des Stadttheaters Winterthur (Architekt Dr. Frank Krayenbühl) sowie das Walmdach der Rathauswache der Züricher Architektin Tilla Theus.
Partnerschaft auf 2100 Höhenmetern
Nun stellt ein Projekt auf 2100 m ü.NHN andere Herausforderungen. Die Bauzeit beschränkt sich auf die Sommermonate, und auch dann können Kälte, Wind und Regen die Arbeiten einschränken. Dementsprechend lang war die Planungsphase mit den Architekten. Sorgfältig wurde die Teilung der Bleibahnen auf die Dachform und die Lukarnen abgestimmt. An einem 1:1-Modell wurden die Einkleidungen, Falze, Kanten und Übergänge bemustert und Details der handwerklichen Ausführung ausprobiert.
Wie schon beim Projekt der Botta-Berg-Oase (Grandhotel Tschuggen) in Arosa suchte ScherrerMetec die Zusammenarbeit mit einer örtlichen Spenglerei, in diesem Fall die Bless AG in Erstfeld. Ihre Werkstatt vor Ort, die Kenntnis der regionalen Vorschriften und natürlich die Erfahrung mit den extremen klimatischen Bedingungen erweisen sich als wertvolle Unterstützung. Auch die eigentlichen Bekleidungsarbeiten sind durch die Teamarbeit von Spenglern beider Unternehmen geprägt. 2008 wird der Dachaufbau errichtet und winterfest gemacht. Mit Beginn der nächsten Bausaison im Sommer 2009 werden für 400 m2 Fläche sage und schreibe 18 t 2,5-mm-Walzblei geliefert. Das Material wird in 540 x 1580 mm große Paneele zugeschnitten und zum Gotthardpass geschafft. Binnen sechs Wochen installieren acht bis zehn Spengler das Bleidach. Um möglichst jede gute Wetterphase nutzen zu können wohnen sie im Hotel vor Ort. Dennoch ist die Arbeit in dieser Höhe nicht immer gemütlich und muss zeitweise unterbrochen werden. Auch das 52° steile Dach macht die Arbeit beschwerlich. Anseilschutz ist Pflicht, das Hantieren mit den fast 40 kg schweren Bleipaneelen verlangt Muskeln und Umsicht – 400 m2 Handarbeit.
Traditionelle Handwerkskunst
Nicht nur der Werkstoff Blei, auch dessen Verarbeitung entspricht traditioneller Handwerkskunst. Die Falze sind um halbrunde, nach unten konisch geformte Holzwulste geformt. An den Wulsten sind Haften befestigt, die ihrerseits in die Falze der Paneele fassen. Um das Eigengewicht der Bleipaneele zu beschränken, ist die Länge der Paneele auf 1,58 m begrenzt. Zudem ist durch die festgelegte Baulänge die thermische Ausdehnung gewährleistet. Jedes Paneel wird mit einer Metallplatte und zehn Edelstahlschrauben auf der Schalung befestigt. Die Längsseiten der Falze sind den Rundungen der Holzwulste angepasst. Die sichtbare Paneelbreite beträgt 40 x 1400 mm. An den Stößen werden die Bleibahnen miteinander verschweißt. Alle übrigen Spenglereiarbeiten werden mit 0,8-mm-Kupfer ausgeführt.
Von Weitem und aus der Nähe
Die markante Struktur der bleigrauen Scharen und Wulste erzielt eine gute Fernwirkung und unterstreicht die urige Architektur. Dagegen gehört es leider viel zu oft zum Schicksal des Spenglerberufs, dass viele handwerkliche Meisterleistungen auf Dächern und Türmen verborgen bleiben. Das ist auch am Gotthardhospiz der Fall. Die kunstvoll an Wulsten und Kanten der Grate und Lukarnen angeformten Abschlüsse sind allenfalls mit dem Feldstecher zu erkennen. Umso überzeugender sind die Detailaufnahmen. Sie vermitteln, wie konsequent der Werkstoff Blei eine nahtlose, wetterfeste und für Jahrhunderte beständige Umhüllung der Bausubstanz ermöglicht.
Blei ist dicht, schwer und weich. Es schützt vor Röntgen- und Gammastrahlen, lässt sich leicht formen und bearbeiten. Blei ist dauerhaft resistent und trotzt über Jahrhunderte widrigsten Wetterbedingungen und Atmosphären. Schon die Römer verwendeten Blei für Wasserrohre und im Mittelalter wurden Turm- und Kirchendächer (Kölner Dom) mit Blei gedeckt. Heute werden für großflächige Metalldeckungen meist Zink- und Kupfer eingesetzt. Hingegen werden Übergänge, Kanten und Schnittstellen an besonders exponierten, wetterbelasteten Stellen oft in Blei ausgeführt und Fugen mit Bleiwolle abgedichtet. Oft sind die Beweggründe, den weichen Werkstoff großflächig einzusetzen, ästhetischer Natur. Man sieht dem Material seine Schwere förmlich an. Markante Wulste und Überlappungen vermitteln einen urigen, traditionellen und bisweilen schützenden Eindruck. Und auch zahlreiche Beispiele moderner Bleidächer, wie das Stadttheater Winterthur oder das Wikingermuseum bei Schleswig, signalisieren bleibende Werte.
Umweltsicher
Aus Umweltaspekten betrachtet, genießt Blei nicht das beste Image. Dieses betrifft jedoch nicht den Baustoff Walzblei, sondern Blei-Emissionen in Lacken, Rostschutzmitteln, Keramikfarben, Klopfmittel, Akkumulatoren, Munition, Beizen und industrielle Prozessen. Die meisten dieser Gefährdungen sind heute durch neue Verfahren, moderne Produkte sowie durch Grenzwerte und strenge Vorschriften kontrollierbar. Der Bleigehalt in der Atmosphäre geht seit 1975 ständig zurück und erreichte schon 1990 den Stand von 1780. Das in der Bauspenglerei verwendete Walzblei unter dem Gütesiegel Saturnblei ist ein moderner Werkstoff, der strengen Qualitätsnormen entspricht und alle Auflagen hinsichtlich Bauphysik und Umweltschutz erfüllt. In zahlreichen Untersuchungen wurden kritische Eigenschaften wie die Abschwemmrate oder die Reaktion mit aggressiven Atmosphären kontrolliert. Weil Blei binnen kurzer Zeit solide, in Wasser nahezu unlösliche Oxidationsschichten bildet, ist die Abschwemmrate denkbar gering und bleibt über Jahrhunderte konstant.
Blei ist ein besonderer Baustoff
Nur wenige Firmen verfügen noch über das handwerkliche Know-how im Umgang mit Blei. Die Scherrer Metec AG kann sich hierbei auf eine lange Tradition berufen. 1910 entwickelte der Firmengründer Jakob Scherrer Bleibänder für die kittlose Verglasung. Heute handelt und handwerkt Scherrer mit Bleiprodukten für den Baubereich (Bekleidungen, Schürzen, Abdeckungen, Bleiwolle), für Schall und Strahlenschutz (Bausteine, Profile, Granulate, Matten) sowie für die Galvanotechnik (Anoden).
Online Extra
Ein spannender Bericht schildert den Weg über den Gotthard.
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Autor
Beat Conrad Scherrer, Scherrer Metec AG
BAUMETALL-Autor Beat Scherrer versteht sich als Sonderformenbauer mit traditionellem Wurzeln.Scherrer Metec AG, Zürich, https://scherrer.biz/