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Aluminiumhülle für ein Gipfel­restaurant

Weisshorn ist Spitze

Das alte Bergrestaurant gleich neben der Seilbahn stammt noch aus dem Jahr 1955 und musste unlängst ersetzt werden. Würdiger Nachfolger ist ein Projekt der Bündner Architektin Tilla Theus, die ihre Idee folgenderweise beschreibt: „Das zentral auf dem Bergplateau gelegene, gefaltete und abgekantete Gebäude wird durch schräge Wände und schiefe Dachflächen zum Teil des Gesteins. Seine eloxierte Aluminiumhülle umfasst den Gesamtbaukörper als geschuppte Haut und passt sich mit großer Selbstverständlichkeit an das umliegende Berggestein an. Durch die archaische Form und die Materialisierung scheint der Baukörper geradezu mit der natürlichen Gesamtlandschaft zu verschmelzen.“

Mit dem Neubau des Gipfelrestaurants erhält das Weisshorn eine neue Spitze, weshalb das Projekt intern auch „Kappe“ genannt wird. Tilla Theus, die von einer Schweizer Zeitschrift als „La Grande Dame der Architektur“ betitelt wurde, gehört zu den wenigen Frauen, die sich international als Architektin durchgesetzt haben. Ihre Projekte zeichnen sich durch absolute Konsequenz aus. Sowohl in der Konzeption als auch bei der Materialisierung und der Detailausbildung hinterlässt Theus eine eindeutige Handschrift. Zu ihren bekanntesten Bauwerken zählen das vielfach gelobte Hotel Widder, das Home of FIFA in Zürich und nun auch das Gipfelrestaurant in Arosa. Mit letztgenanntem Projekt gelang der Architektin so etwas wie die Quadratur des Kreises: Die Realisierung der Weisshorn-Kappe beweist, dass die Umsetzung herausragender Architektur auch mit einem knappen Budget und ohne Abstriche bei Materialien, Formen und Funktionen möglich ist. Der Einsatz einfacher, vorfabrizierter Holzbauelemente ermöglichte eine sehr kurze Bauzeit, geringe Transportkosten sowie eine effiziente Montage.

Matrix der Möglichkeiten

So schön, so gut. Doch die Herstellung einer geschuppten Haut, die sich an einen gefalteten, mehrfach in verschiedenen Winkeln abgeschrägten Baukörper anschmiegen soll, ist eine spezielle Herausforderung. Noch dazu, wenn sie Schnee, Sturm und Kälte standhalten soll. Auf der Suche nach Lösungen kamen konventionelle Ideen nicht infrage. Stehfalze oder Tafelbleche wirken zu dominant und zu technisch. Vielmehr sollte die Gebäudehülle kein Eigenleben entwickeln, sondern sich stattdessen wie eine Haut um das Gebäude schmiegen. Das Schuppenkleid sollte aber auch nicht wie traditionelle Schindeln, sondern in der Fläche ohne sichtbare Befestigungen sehr homogen wirken. Aus diesem Grund kam eine industrielle Vorfertigung der Schindeln nicht in Betracht.

Mit diesen Vorgaben entwickelte die Firma Scherrer zunächst eine Matrix der geeigneten Metalle, Konstruktionen, Oberflächenbehandlungen, Verlegungstechnik und Kosten. Gemeinsam mit der Architektin entstand das letztlich realisierte Konzept der Schuppenhaut aus trapezförmigen Aluminiumschindeln. Natürlich entstand die Form der Schuppen nicht zufällig. Sie entspricht exakt dem Grundriss des Gebäudes. Auch die Verlegungsart wurde per CAD sorgfältig geplant. Ziel war es, optisch und funktionell überzeugende Übergänge aus einem Guss zu erzeugen. Die berechneten Positionen wurden durch Nachmessungen am Rohbau sowie durch entsprechende Anpassungen bei der Montage einhundertprozentig umgesetzt.

Die Ästhetik bereitete bei der Planung das geringere Kopfzerbrechen. Weit schwieriger war es, bauliche Maßnahmen zu entwickeln, um den extremen klimatischen Bedingungen dauerhaft zu trotzen. Der Katalog der wetterbedingten Herausforderungen auf dem Weisshorn ist lang:

  • Das Dach muss einer Schneelast von 1,5 t/m<sup>2</sup> standhalten, was etwa einer 4 m hohen Nassschneedecke oder einer Dachflächenauflast von 800 t entspricht.
  • Winddruck und Windsog rütteln an der Fassade.
  • Sturm treibt Regen- und Stauwasser durch jede Ritze und Öffnung die Wände hoch.
  • Eisbildung blockiert den Wasserablauf und verursacht Druck- und Staueffekte.

Während eine Metallhülle bei normalen klimatischen Verhältnissen zu 99 % zuverlässig dicht ist, muss man in dieser Lage und für diese Bedingungen zusätzliche Dichtungsmaßnahmen einkalkulieren.

Futuristische Variante des Davoser Dachs

Die Scherrer Metec AG orientierte sich bei der Entwicklung am sogenannten Davoser Dach. Das ist die in alpiner Höhe nur in Davos praktizierte Form des Flachdachs. Es trotzt den Extremen mit einem Dreifachdach aus verschweißtem Unter- und Oberdach sowie der äußeren Dachdeckung. Zwischen Unter- und Oberdach liegt ein großzügig bemessener Belüftungsraum, der beim Bergrestaurant zwischen 17 und 97 cm hoch ist. Allseitig angeordnete Belüftungspaneele in den Wandflächen sorgen für freien Luftaustausch (Hinterlüftung von Fassade und Dach).

Das Unterdach besteht aus einer hoch belastbaren, von Stahlträgern gestützten Holzsparrenkonstruktion mit Dampfsperre, Dämmung und einer Dichtfolie. Darauf liegen Holzschwellen, auf denen sich die Tragwerke für das Oberdach abstützen. Damit keine Feuchtigkeit in das Unterdach eindringen kann, sind die Holzschwellen zusätzlich mit Dichtfolie verschweißt und die Befestigungsschrauben der Tragwerke mit sogenannten Nageldichtungen gesichert. Auf den Tragwerken liegt das Oberdach, eine zweite, mit Dichtfolie versiegelte Holzverschalung. Auf dieser wird das dritte Dach, die äußere Aluminiumhaut, montiert. Jedes Aluminiumpaneel wird mit zwei Haften und einem Schneehaken fixiert. Damit vom Sturm unter die Aluminiumeindeckung getriebenes Wasser nirgends eindringen kann, werden sämtliche Verschraubungen der Haften und Schneehaken mit Dichtfolie überklebt.

1800 Schneehaken verhindern, dass die 800 t Schnee nicht unkontrolliert vom Dach abrutschen. Die Ausführung als Schuppenhaut hat den Vorteil, dass sich die thermische Ausdehnung nicht wie bei langen Blechbahnen addiert, sondern auf die wenigen Millimeter des einzelnen Paneels beschränkt. Weil zudem jedes Paneel auf dem Unterbau fixiert ist, ergibt sich eine außergewöhnlich hohe Stabilität bei nur geringen Verschiebungen.

4500 Schindeln, 9000 Hafte, 1800 ­Schneehaken, 30 000 Edelstahlschrauben

Die Homogenität der Schuppenhaut wurde natürlich nicht dem Zufall überlassen. Die sechseckige Schindelform, die Verlegewinkel, die Winkel von Dächern und Wänden und die Maße von Schindeln und Baukörper sind exakt aufeinander abgestimmt. Trotz aller Berechnungen bleibt es der Kunstfertigkeit der Handwerker überlassen, von einer Ecke zur anderen die exakte Symmetrie herzustellen. Dazu zeichneten die Fachleute zunächst die Verlegungslinien auf, deren Maße am Rohbau abgeglichen wurden. Präzise ausgerichtete Latten dienten als Lehre zur Platzierung der Schindeln. Jede Schindel wurde in die entsprechenden Falze eingehängt. Vor jedem Ansetzen des Akkuschraubers und somit vor jeder endgültigen Haftbefestigung wurde die Ausrichtung nochmals überprüft. Gleiches gilt für die mit drei Schrauben befestigten Schneehaken. Um Feuchtigkeitseintritt zu verhindern, wurde jede Verschraubung an Haft und Schneehaken mit Isolationsfolie überklebt und versiegelt. Eine solche Präzision ist natürlich das Anliegen des gewissenhaften Bauspenglers – war aber auch für die Architektin ein absolutes Muss. Das Ergebnis kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Aus jeder Perspektive bilden die Schuppenlagen eine Gerade. Elegant legen sich die Paneele um die Ecken, und wie selbstverständlich bilden die Kanten einen harmonischen Bezug zu den Schindeln.

Industrielle Fertigung kombiniert mit ­handwerklicher Sorgfalt

Die zweite Voraussetzung für die homogene Struktur der Hülle ist die Gleichförmigkeit jedes einzelnen der 4500 Paneele. Dies erfordert eine industrielle Fertigung. Die Schindeln wurden mit CNC-gesteuerten Maschinen geschnitten und gefalzt. Der Belüftungsraum des Dachs wird rundherum von 57 Entlüftungsschindeln be- und entlüftet. Deren Öffnungen sind bewusst klein strukturiert, um einerseits die Optik nicht zu zerstören, andererseits Wind und Regen abzuhalten. In jede Belüftungsschindel wurde von einer CNC-Trumpf-Stanzmaschine ein Lüftungsgitter aus 500 Löchern gestanzt. Hinter dieser Öffnung wurde dann ein Blech angenietet. Wie eine Wanne fängt es das vom Wind hereingepeitschte Wasser auf und leitet es durch dieselben Öffnungen wieder nach außen.

An den beiden abfallenden Dachseiten sind Dachrinnen eingelassen. Sie münden in zwei Wasserspeier, deren Halterung aus starken Edelstahlprofilen besteht. So können sie das Gewicht der zu erwartenden Eiszapfen aufnehmen. Die Rinnen sind beheizt, um Vereisungen zu verhindern und das Abfließen von Schmelzwasser zu gewährleisten. Um die Schnittstellen und Übergänge der gesamten Fassade zuverlässig abzudichten, erforderte auch die Ausführung der Fenster- und Türanschlüsse detaillierte Vorplanung und Konstruktion.

Logistik und die erste Wetterprobe

Bauen an extremen Orten erfordert perfekt organisierte Logistik. Auf das 2600 m hohe Weisshorn führt nur eine Luftseilbahn. Der Transport per Hubschrauber war aus Gründen des Umwelt- und Lärmschutzes beschränkt. Der Großteil des Materials sowie das Werkzeug wurde daher per Seilbahn herangeschafft. Natürlich stand für das Heben von Paletten und Material der Baukran zur Verfügung. Dennoch waren für viele Kleinigkeiten oder Nachbearbeitungen zahlreiche Kletterpartien erforderlich. Hinzu kam die Beschränkung der Transportmöglichkeiten durch den Publikumsverkehr. Tagsüber hatten die Touristen Vorrang – für Transportfahrten mit der Seilbahn blieben nur die Randzeiten. Zudem musste der Transport- und Kranbedarf rechtzeitig angemeldet und koordiniert werden. Das anhaltend trockene Wetter bis weit in den Herbst hinein war ein Glücksfall und begünstigte den Baufortschritt. Kurz nach der Fertigstellung sorgte Sturmtief Andrea in Teilen der Schweiz für heftigen Sturm mit Orkanböen und in Arosa für massive Schneefälle. Im Skigebiet auf 2500 m ü. M. lagen bis zu 4 m Schnee – ein Rekord, der in Arosa seit über 50 Jahren nicht mehr gemessen wurde. Damit hat das Gipfelrestaurant auf dem Weisshorn seine erste Wetterprobe bestanden.

AUTOR: Beat Scherrer

BAUTAFEL

Projekt: Gipfelrestaurant Weisshorn, Arosa

Bauherr: Arosa Bergbahnen AG, Arosa

Architektur: Tilla Theus, Zürich

Bauleitung: Implenia AG, Zürich

Gebäudehülle: Bekleiden der gesamten Gebäudehülle mit trapezförmigen Schindeln aus natureloxiertem Aluminium

Fachbetrieb: Scherrer Metec AG, Zürich, zuständig für

  • Systementwicklung
  • Projektleitung
  • Produktion der Schindeln
  • Montagekoordination und Montageleitung

Montage durch ARGE Scherrer Metec AG/Dorn/Waidacher

Online-Extra

Hindernislauf auf den Gipfel

Beat Scherrer ist bekannt für perfekte Hintergrund­informationen und beeindruckende Projektgeschichten. Im BAUMETALL-Online-Extra berichtet er über Wissenswertes von der Vergabe bis zur Fertigstellung des Gipfelrestaurants auf dem Weisshorn und stellt zahlreiche ergänzende Abbildungen vor.

Villa Metallica

Ein weiteres Projekt mit Seltenheitswert ist die Villa Metallica. Auch diesen Scherrer-Bericht finden Sie mit zahlreichen Abbildungen ab sofort als Online-Extra.

https://www.baumetall.de/baumetall-live/extras

Autor

Beat Scherrer

ist in vierter Generation Mitinhaber und Mitglied der Geschäftsleitung der Zürcher Bauspenglerei Scherrer Metec AG.

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