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Mitten in der Münchner Innenstadt, nicht weit vom Sendlinger Tor liegt ein Ort, der das Herz von Handwerksliebhabern höherschlagen lässt. In einer Seitenstraße der Lindwurmallee versteckt sich nämlich eine der wohl traditionsreichsten Spenglerwerkstätten Münchens. Eingeweihte finden in der Straßenansicht jedoch schon erste Anhaltspunkte. Eine Kupferkrone gigantischen Außmaßes auf einem unscheinbaren Flachdach lässt den Fußgänger kurz in seinem Weg innehalten.
Der Kenner findet die subtilere Schönheit in den vielen Kupferdetails des sich anschließenden historischen Wohn- und Geschäftshauses. Und dort steht es auch in großen, goldfarbenen Buchstaben geschrieben: Lorenz Sporer Metallornamenten Spenglerei Dachdeckung Blitzableiter. Wir sind scheinbar in dem seit 140 Jahren bestehenden Unternehmen angekommen … oder doch nicht? Der Weg in den Hinterhof ist nicht verschlossen, aber auf eine Spenglerwerkstatt deutet auf den ersten Blick nichts hin. Ich lasse also meinen Blick schweifen: ein Fahrrad, ein moderner Mülltonnenunterstand und ein altes Holzfenster hinter einem Busch. Ein Blick ins Innere offenbart: Jesus! Aber nicht in einer handlichen Ausführung für die Zimmerwand. Nein, dieser Messias mit seiner grünen Kupferpatina ist riesig und er hängt direkt unter der Decke. Hier muss ich also richtig sein!
Eintritt in eine verborgene Welt
Durch einen Seitengang gelange ich zum eigentlichen Werkstatteingang. Mit einem Tritt über die Schwelle befinde ich mich in einer Werkstatt, die mit Worten nur schwer zu beschreiben ist. Sie hat eine für die dort Arbeitenden funktionierende Grundstruktur, so viel ist klar, und sie ist voll. Voll mit Metallornamenten, Maschinen, Schablonen und allerlei Handwerkzeug, welches auf verschiedene Arbeitsplätze verteilt ist. Zum Jesus unter der Decke stehen noch zwei passende Heilige als übergroßes Begrüßungskomitee gleich in der Ecke hinter der Eingangstür. Ich bin also da und ehrlich gesagt erst mal kurz sprachlos.
Zum Glück werde ich schon erwartet. Detlef Rheinwein, der Meister und Wächter dieser Werkstatt, nimmt mich in Empfang. Über meine erste Reaktion kann er schmunzeln. Es geht wohl den meisten Gästen so.
Der Jesus und seine beiden Gefährten in der Ecke sind schon einige Zeit in der Werkstatt zu Gast. Sie gehören zu einer großen Kreuzigungsgruppe und zieren eigentlich auf einer Balustrade flankiert von zwei Glockenhäusern die Kirche Sankt Korbinian im Münchner Stadtteil Untersendling. Nun leisten sie den Mitarbeitern der Firma Sporer Gesellschaft, bis sie restauriert werden.
Der Messias wacht mit seiner Anwesenheit über zwei museal wirkende Maschinen. Rheinwein versichert uns aber gleich, dass sie noch in bester Ordnung sind, und stellt das Ganze mit einer Vorführung an der Rundschwenkbiegemaschine unter Beweis. Diese wird zum Beispiel zum Herstellen von Rundungen an historischen Gesimsen benötigt. Auf der gegenüberstehenden Zugbank kann er mithilfe von Formplatten komplexe Gesimsformen anfertigen.
Gelebtes Wissen
Die Kunst, alte Metallornamente, Gauben, Gesimse, Turmspitzen und Wasserfangkästen zu restaurieren, besteht darin, einen offenen Geist für mögliche neue Wege der Rekonstruktion zu haben, so Rheinwein. Man müsse sich nicht unnötig den Kopf darüber zerbrechen, wie das Objekt beim ersten Mal gefertigt wurde, wichtig sei, dass man mit seinem eigenen Weg zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt. Dazu braucht es neben handwerklichen Fähigkeiten vor allem eins: einen wachen Geist mit einem ausgeprägten Vorstellungsvermögen.
Ornamentenspengler ist kein Beruf, den man im klassischen Ausbildungsweg lernen kann. Die Ausbildung als Spengler bildet eine Basis. Den Rest dieses hochspezialisierten Berufszweiges kann man sich nur durch die Arbeit in einer der wenigen Spezialwerkstätten aneignen. Auch Rheinwein, der schon seit seiner Ausbildung in der Fachwerkstatt arbeitet, und das ist nun schon über 40 Jahre her, bekam das Wissen durch die Tätigkeit im Beruf vermittelt. „Ich lerne bis heute noch dazu“, stellt er fest. Mit einem Schmunzeln sagt er, dass sich in diesem Metier eigentlich das Berufsbild des Spenglers mit den Berufen des Metallbauers, Schlossers, Stuckateurs, Gießers und Bildhauers vereinen würden. Was er damit genau meint, erklärt er uns an den nächsten Stationen unserer Reise durch die geräumige zweigeschossige Werkstatt.
Museumsreife Außenausstellung
Im zweiten Hinterhof der Firma Sporer befindet sich eine große Sammlung an Originalen, die als Vorlagen für Restaurationsarbeiten dienten. Wieder weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Es türmen sich Ochsenaugen, Jalousiebleche, Gesimse, Spitzen und Firstkämme. Überall sieht man Schnörkel, Ovale, geschwungene Linien und Kurven. Die Sammlung ist international, genauso wie die Aufträge der Spezialwerkstatt. Ein bisschen ist es so, als hätte ein Renaissance- oder Barockschloss all seinen Zierrat in diesem kleinen Hof zum Reinigen und Reparieren abgelegt.
Spätestens hier beginnt man zu begreifen, was für großartige Künstler die Handwerker dieser vergangenen Zeiten gewesen sind. Detlef Rheinwein schärft nun meinen Blick für die kleinen Details. Häufige Schwachstellen sind stumpfe Lötnähte, die durch die Belastungen der Zeit gerissen sind. Wenn er die Bauteile dann wieder neu fertigt, versucht er deswegen auch andere Wege zu gehen. Kann ich dieses Stück anders fertigen, kann auf diese Stoßverbindung verzichtet werden, kann ich den Körper aus weniger Teilen bauen? Diese Fragen sollte sich jeder stellen, bevor er sich an die erneute Fertigung der historischen Körper macht.
Zauberei im Keller
Wir gehen weiter ins Kellergeschoss, das über eine große Außentreppe erreichbar ist. Dort liegt das Herzstück der Ornamentenfertigung. In meterhohen Regalen lagern Hunderte Zinkmatrizen vergangener Jahrzehnte. Für die Rekonstruktion ist die Bemusterung der Bestandsornamente eines Auftrags besonders wichtig. Sie dienen als Vorlage zur Herstellung der Gussformen aus Gips und Zink. Aus den Gipsformen entstehen später die robusten Zinkmatrizen. Diese werden im Keller mithilfe des 80 l fassenden Ofens in Handarbeit gegossen. Nach dem Abkühlen der Formen können sie zum Prägen verwendet werden. Was sich hier in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt, ist ein aufwendiger Produktionsprozess, der sich über mehrere Tage zieht.
Im Herzen des überaus geräumigen Kellers steht dann ein Maschinengigant, welcher der klassischen Spenglerei nicht bekannt ist – in der Spezialwerkstatt aber mehrfach in der Woche zum Einsatz kommt. Ein mit Transmissionsantrieb betriebenes Fallwerk aus dem Jahr 1903 dominiert dort gleich einen ganzen Raum. Wenn es läuft, ist ein dumpfes Stampfen zu hören. Dann prägen die Spezialisten der Fachwerkstatt Ornamente. Der Unterschied zur Presse besteht darin, dass beim Fallwerk die einwirkende Kraft manuell gesteuert werden kann. Es wird nämlich mit Muskelkraft bedient.
Während Detlef Rheinwein das anzufertigende Jalousieblech akkurat der Länge nach über die Matrize führt, ist sein Kollege Daniel Bausch für die Feineinstellung des Prägedrucks verantwortlich. Dazu zieht er das an einer gurtähnlichen Vorrichtung befestigte Fallgewicht samt unterseitig angebrachtem Stempel auf eine bestimmte Höhe, um es dann kontrolliert auf das Werkstück fallen zu lassen. Rund 300 kg wiegt das historische Werkzeug. Bausch weiß zu berichten, dass es deswegen auf die richtige Technik ankommt, sonst kommt man schnell ins Schwitzen. Ein massiver Holzstock, der fast 2 m im Boden steckt, fängt die beim Vorgang entstehenden Erschütterungen auf. Am Ende halten wir ein formschönes Jalousieblech in den Händen. Und mich beschleicht das Gefühl, Zeugin einer großen Zauberei gewesen zu sein.
Workshop in der Traditionswerkstatt
Der Rückweg aus dem Keller fühlt sich wie die Rückkehr von einer langen Reise an. Ich bin noch etwas fremd in der mir eigentlich vertrauten Welt und ein wenig stellt sich das Gefühl der Wehmut ein, denn Orte wie dieser mit Menschen wie denen, die hier arbeiten, gibt es nicht mehr viele. Um sie zu erhalten, ist es umso wichtiger, dass dieses Wissen auch an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann. BAUMETALL freut sich daher besonders, im März 2023 gemeinsam mit der Fachwerkstatt Lorenz Sporer einen Workshop in München anbieten zu können. Genaue Informationen dazu lesen Sie auch auf Seite 39 dieser Ausgabe.