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Nieten - Wellblech - Emotionen

Von fliegenden Wellblechen hören metallverarbeitende Spengler und Klempner in der Regel nur, wenn es draußen stürmt und entsprechende Bauteilbefestigungen durch hohe Windeinwirkung versagen. Genau dann kann es vorkommen, dass Wellblechprofile mehrere Hundert Meter weit durch die Luft gewirbelt werden. Im Arbeitsumfeld von BAUMETALL-Treff-Mitglied und Flaschnermeister Frank Preuss ist das jedoch anders: Preuss, der in der Branche als Kollege mit der Drohne und einem Faible fürs Fliegen bekannt ist, bringt Wellbleche regelmäßig und absolut beabsichtigt zum Fliegen. Zum Beispiel dann, wenn er sich ­gemeinsam mit dem hochspezialisierten Team um Rolf Würsch (Leiter Restauration bei Kaelin Aero Technologies GmbH) um die Tragflächen-­Rekonstruktion des ersten Ganzmetall-Passagierflugzeugs der Junkers-­Werke kümmert. Und um es gleich vorwegzunehmen: Es ist kaum zu glauben, wie bei den Flugzeugspenglern der Kaelin Aero Technologies GmbH in Oberndorf-Hochmössingen ein Flugzeug des Typs Junkers F 13 entsteht. Dort fertigen Fachfrauen und -männer nach Originalvorlagen aus dem Jahr 1919 sowie mithilfe entsprechender 3D-Scans Gitterrohr­rahen, Tragflächen, Leitwerke, Fahrgestelle und sogar Pilotensitze aus Aluminium an. In mühevoller Handarbeit konstruieren sie jedes einzelne Bauteil. Ihr Ziel ist es, die Replik des Wellblechfliegers so originalgetreu wie möglich zu bauen. Dazu Frank Preuss: „Die Junkers F 13 absolvierte ihren Jungfernflug 1919. Das Verkehrs- und Frachtflugzeug der Junkers Flugzeugwerke in Dessau war das erste Ganzmetall-Passagierflugzeug der zivilen Luftfahrt. Ähnlich wie in einem Cabriolet saßen die beiden Piloten nebeneinander und im Freien. Ihr Arbeitsplatz lag direkt hinter dem Mercedes-Reihenmotor des einmotorigen Tiefdeckers. Unmittelbar dahinter befand sich eine geschlossene Kabine, die vier Passagieren Platz bot. Heute gibt es nur noch sehr wenige Original-Exemplare dieses für damalige Zeiten überaus innovativen Fluggeräts. Die meisten davon sind in Museen ausgestellt und somit flugunfähig.“

Wellblechschönheit. Die Junkers F 13 vor dem Hangar

Bild: gartmannbiz / Kurt Daetwyler  / Junkers Flugzeugwerke AG

Wellblechschönheit. Die Junkers F 13 vor dem Hangar
Rumpfkonstruktion: Kaelin-Chef Dominik Kälin …

Bild: Kaelin Aero Technologies GmbH

Rumpfkonstruktion: Kaelin-Chef Dominik Kälin …
… checkt Nietverbindungen am Aluminiumrahmen der Junkers F 13

Bild: Preuss

… checkt Nietverbindungen am Aluminiumrahmen der Junkers F 13

Fliegender Koffer

Frank Preuss gerät ins Schwärmen. Verliert sich in Details. Schildert, wie in mühevoller Entwicklungsarbeit das damals verarbeitete Wellprofil nachgeformt wurde. Er spricht vom Wärmebehandeln und davon, dass Roh­aluminium sonst nicht die benötigte Stabilität erhält. Und er erwähnt die bekannten Wellblech-Aluminiumkoffer der Marke Rimowa, die den Anfang dieser besonderen Erfolgsgeschichte markierten: „Ab 2015 ließ Rimowa die Junkers F 13 flugfähig und nach einer amerikanischen Export­ausführung nachbauen“, so Preuss. Der 39-jährige Metallprofi erzählt, dass dieses Flugzeug anstatt mit einem dem Original entsprechenden Mercedes-Reihenmotor mit einem Sternmotor der Firma Pratt & Whitney ausgestattet wurde. Und er weiß, dass der Nachbau im Gegensatz zum Original über ein Fahrwerk mit Bremse sowie über ein Spornrad verfügt. „Die komplette Struktur der neuen F 13 wurde hier bei Kaelin Aero Technologies GmbH gefertigt“, sagt Preuss nicht ohne Stolz: „Unsere erste F 13 hob im September 2016 erstmals vom Boden ab. Seither sorgt das Flugzeug auf Flugtagen oder bei Rundflügen regelmäßig für Begeisterung unter Luftfahrtfans. Aktuell fertigen wir bereits das dritte Modell der rund 9,50 m langen Maschine an.“

Wellblechzauberer in Hochmössingen

Der Kaufpreis einer nagelneuen Junkers F 13 beträgt rund 2,2 Mio. US-Dollar. „Gerechtfertigt“, wie Preuss versichert. Schließlich erfüllt das Flugzeug alle Sicherheitsstandards und ist unter dem historisch anmutenden Wellblech mit modernster Technik ausgestattet. Doch Hand aufs Flugzeugspengler- und Flaschnerherz: Die Leidenschaft, mit der das Kaelin-Team unter Leitung von Rolf Würsch historische und historisch anmutende Flugzeuge zum Abheben bringt, ist an und für sich unbezahlbar. Ein bisschen erinnert es an die Rekonstruktion historischer Bauornamente. Denn bekanntlich können verzierte Ochsenaugen, Wetterfahnen oder Balustraden ebenfalls nur mit langjähriger Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl instand gehalten oder nachgebaut werden.

Genau das geschieht bei Kaelin Aero Technologies. Und es sind eben diese besonderen Aufgaben des Flugzeugbaus, die Frank Preuss und seine Kollegen Tag für Tag aufs Neue herausfordern und begeistern. „Wir schlagen den Bogen zwischen traditionellen und neuen hochtechnologischen Fertigungsverfahren und wählen situativ die beste Lösung für unsere Kunden und deren Flugzeuge. Jeder Auftrag ist anders. So entscheiden wir ganz individuell, auch kurzfristig, was im jeweiligen Fall zu tun ist. Dabei haben unsere Flugzeugexperten und Techniker – wir alle von Kaelin Aero Technologies – etwas gemeinsam: wir lieben den Flugzeugbau, sind offen für die Herausforderung und arbeiten leidenschaftlich – perfekt“, schwärmt der Flaschnermeister. Es sind diese Eigenschaften, die den Nachbau der Junkers F 13 beflügeln. Etwa dann, wenn in mühevoller Klein- und Entwicklungsarbeit ausgetüftelt wird, wie das Wellblechprofil am Tragflächenrand in eine Glattblechstruktur übergeht.

Vorher/nachher: Der Flugzeugrohbau und das fertige Detail im direkten Vergleich

Vorher/nachher: Der Flugzeugrohbau und das fertige Detail im direkten Vergleich
Wellblechprofilierung mit viel Fingerspitzengefühl

Bild: gartmann.biz  / Junkers Flugzeugwerke AG

Wellblechprofilierung mit viel Fingerspitzengefühl
Die beiden lederbezogenen Pilotensitze der F 13 in dem mit moderner Technik ausgerüsteten und dennoch historisch anmutenden Cockpit

Bild: gartmann.biz  / Junkers Flugzeugwerke AG

Die beiden lederbezogenen Pilotensitze der F 13 in dem mit moderner Technik ausgerüsteten und dennoch historisch anmutenden Cockpit

Niet ist nicht gleich Niete

Ein weiteres Buch mit sieben Siegeln ist – zumindest für Außenstehende – das Geheimnis der passenden Nietverbindung. Nicht ohne Grund werden Nietverbindungen als unlösbare Verbindungen bezeichnet, was natürlich nicht bedeutet, dass zusammengenietete Bauteile nie wieder voneinander getrennt werden können. Vielmehr ist es so, dass zur Trennung einer Nietverbindung selbige aufgebohrt und somit zerstört werden muss. Das ist in der Klempnertechnik ebenso wie im Flugzeugbau. Nebenbei bemerkt: Die Niettechnologie ist seit mehr als 2000 Jahren bekannt. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Technologie bis heute in der Luftfahrt eingesetzt wird. Während im modernen Flugzeugbau neben Vollniete vermehrt spezielle Hochleistungsblindniete nach allen gängigen internationalen Normen, aber auch nach Sonderausführung gemäß Kundenspezifikationen eingesetzt werden, wurden zur Geburtsstunde der F 13 ausschließlich Vollniete verwendet. Aber: Nimmt man Flügel- und Rumpfgeometrie der F 13 genauer unter die Lupe, taucht unweigerlich die Frage nach dem „Wie“ auf. An manchen Stellen sind die Radien zu verbindender Profile derart eng, dass es schon an ein Wunder grenzt, mit Vollnieten zu arbeiten. „Genau solche Details machen uns bisweilen das Leben schwer“, sagt Preuss und verrät: „Uns ist es wichtig, so nah wie möglich am Original zu bleiben. Daher hilft oft nur die Anfertigung von Spezialwerkzeugen weiter, die mit der Erkenntnis einhergeht, dass unsere Vorfahren aus dem Jahr 1919 hervorragende Handwerker und ebensolche Spezialisten waren.“ 

Tatsächlich fliegen viele historische Flugzeuge noch heute. Ihre Flugtauglichkeit verdanken sie der Tatsache, dass ihre Struktur durch die gleiche Vollniettechnik sicher zusammengehalten wird, welche noch heute beim Bau von Flugzeugen und sogar beim Bau moderner Jets verwendet wird.

BAUMETALL-Workshop in der Flugzeugspenglerei

Kollegen, wir haben den Flieger geschrumpft! Dieses Motto ist bei BAUMETALL-Innovationspreisträger und Spenglermeister Friedrich Reinbold Programm. Reinbold fertigt zusammen mit seinen Mitarbeitern regelmäßig Flugzeugmodelle aus Titanzink an. Und genau das wird er am 12. und 13. Februar 2020 zusammen mit einer kleinen Workshopgruppe tun. Und zwar direkt in den heiligen Hallen der Kaelin Aero Technologies GmbH in Hochmössingen. Neben dem Zusammensetzen und Verlöten der Modell-Einzelteile beinhaltet der zweitägige BAUMETALL-Workshop eine Werksführung durch die Bereiche der historischen sowie der modernen Flugzeugspenglerei. In letztgenanntem Bereich entstehen unter anderem Leitwerke, Türen und andere Elemente für moderne Düsenjets.

Der Workshop und besonders der Blick in das Umfeld der Spezialwerkstatt öffnen Horizonte. Wo sonst erhalten technikbegeisterte Baumetaller die Chance auf spannende Einblicke in historische und zugleich hochmoderne Fertigungstechniken? Frank Preuss freut sich schon sehr auf ein Wiedersehen mit seinen Kollegen und darauf, „seinen“ Bauspenglern die geheimnisvolle Welt der Flugzeugspengler zu zeigen. Eine Welt, die für gewöhnlich hinter verschlossenen Rolltoren verborgen bleibt.

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