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Glänzender Einblick

Feinstes Wiener Handwerk

Haben Sie gewusst, dass Wien durch den Global Liveability Index in diesem Jahr zum vierten Mal zur lebenswertesten Stadt der Welt bestimmt wurde? In der Wertung der Prognose- und Beratungsfirma Economist Intelligence Unit werden jedes Jahr 173 Städte weltweit miteinander verglichen. Wer die österreichische Hauptstadt schon einmal besucht hat, kann die Bewertung sicherlich nachvollziehen, denn in Wien verspürt man eine ganz eigene „joie de vivre“, eine besondere Art der Lebensfreude. Große Alleen, prachtvolle Gebäude, wunderschöne Kaffeehäuser und stilvolle Restaurants, Wien wirkt ein wenig wie eine mondäne, leicht exzentrische Dame. Gut gekleidet und mit auffallenden und glänzenden Accessoires ausgestattet, fällt sie sofort ins Auge. Doch woher kommen die prachtvollen Gehänge und leuchtenden Akzente? Meine Spurensuche führt mich in eine Werkstatt im 14. Bezirk von Wien.

114 Jahre Handwerkskunst

1910 wurde die Werkstätte für kunstgewerbliche Metallarbeiten von Spenglermeister Wilhelm Kyral gegründet. Dieser führte unter anderem Ornamentarbeiten an der Pariser Oper, dem Louvre, dem Kreml und dem Königspalast in Belgrad aus. Über 100 Jahre später existiert der Betrieb immer noch. In vierter Generation leitet Kunstspengler und Gürtler Ludwig Kyral das traditionsreiche Unternehmen. Im heutigen Betriebsgebäude in der Cumberlandstraße werden immer noch Beleuchtungskörper, Bauornamente, Tabernakel, Grablaternen, Vasen, Schalen und Leuchter gefertigt und restauriert.

Wie so häufig lässt die Fassade nicht erahnen, was sich für ein Schatz im Inneren verbirgt. Bei meinem Besuch befindet sich in der hellen Werkstatt gerade eine Grableuchte in der Reparatur. Solche Aufträge gibt es häufig, erklärt Leonard Kyral, der mit seinem Bruder Laurenz im Unternehmen tätig ist. „Ich glaube, diese Lampe wurde von meinem Opa angefertigt.“ Ich bin verblüfft. Die Lampe hat weder eine Prägung, noch hat jemand seinen Namen hineingeschrieben. Woran erkennt man also, dass sie schon einmal durch die fachkundigen Hände eines Kyrals gegangen ist? Die Antwort ist ganz einfach: an der für die Werkstatt damals üblichen Schließtechnik des Scharniers.

Es ist keine Seltenheit, dass die heute lebenden Generationen der Kyrals mit der Arbeit ihrer Vorfahren konfrontiert werden. Trotzdem, so bestätigen sie mir, ist es immer noch ein besonderes Gefühl, wenn ein solches Stück zur Reparatur zurückkehrt, und zeigt einmal mehr, wie wertbeständig und langlebig handwerkliche Arbeiten sind.

Außenbeleuchtung des Café Landtmann

Bild: Kyral

Außenbeleuchtung des Café Landtmann

Tradition trifft auf Moderne

Der gemeinsame Rundgang durch die Werkstatt und den Ausstellungsraum lässt mich erstaunt zurück. Einige der Stücke, wie Grableuchten oder Gauben, laden zu einer historischen Spenglerzeitreise ein. Andere würde ich auf den ersten Blick nicht mit dem Berufsbild des Spenglers verknüpfen. Zwar sehe ich Parallelen zur Ornamentespenglerei, doch auch dieser Begriff wird den kunstvollen Arbeiten zum Teil nur schwer gerecht: Filigrane Kupfertreibarbeiten, kunsthandwerkliche Gegenstände aus eigenen Entwürfen und eine Vielzahl an Lichtobjekten unterschiedlichster Art, Form und Bauweise sind hier zu finden. Ein wenig werde ich an die Einbände von alten Fachbüchern erinnert und gleichzeitig sehe ich Stücke, die gut in eine moderne Ausstellung passen würden. Dass die Mitglieder der Familie Kyral begnadete Handwerker sind, steht außer Frage. Neben dem umfangreichen Fachwissen und handwerklichen Geschick wird hier jedoch auch eine ganz besondere Formsprache in den eigenen Designstücken sichtbar.

Ludwig Kyral versucht, das Ganze für mich einzuordnen: „Wir identifizieren uns als Spengler. Natürlich haben wir mit der klassischen Bauspenglerei eher wenig zu tun. Der Kunst- oder auch Galanteriespengler fertigt Produkte für das Bauwesen oder Handelswaren, also auch Zierteile aus Metall. Ergänzt wird das Ganze durch die Gürtlerei, die vor allem auf die Messingverarbeitung für Zier- und Gebrauchsgegenstände spezialisiert ist. So kommt es, dass wir bis heute von Gauben und Zierspitzen über sakrale Gegenstände bis hin zu Handläufen, Türbeschlägen und Lichtobjekten alles fertigen und restaurieren können.“

Dabei setzt das Haus Kyral neben den bewährten Techniken und Werkzeugen auch auf das Know-how des 21. Jahrhunderts. So wurde für die Herstellung historischer Zierspitzen zum Beispiel auf moderne 3D-­Technik zurückgegriffen. Ludwig Kyral erzählt: „Zur Ausschreibung bekamen wir eine alte Zeichnung und ein unscharfes Schwarz-Weiß-Foto. Daraus haben wir ein 3D-Rendering entwickelt, das uns auch als Grundlage für die Kalkulation dienen konnte.“ Hilfreich dabei ist auch die Spezialisierung der Söhne. Leonard Kyral absolvierte eine Ausbildung zum Spengler und Dachdecker. Sein Bruder Laurenz ist Designer und Handwerker und absolvierte ein Bachelorstudium im Bereich der „Manual and Material Culture“ an der New Design University (NDU) in Sankt Pölten. Die Umsetzung von Designentwürfen ist dabei keine Entwicklung der Neuzeit. Schon seit den 1930er-Jahren kooperiert das Unternehmen mit namhaften Designern, Künstlern und Architekten. So wurden unter anderem verschiedene Arbeiten für den Gründer der Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, umgesetzt. Außerdem hat sich jede Generation mit eigenen Kreationen und Entwürfen auseinandergesetzt und so eine eigene Formsprache entwickelt. Vielleicht ist es gerade das, was diese kunsthandwerkliche Werkstatt so besonders macht? Tradition und Moderne, historisches Handwerk und modernes Design bilden hier eine vielleicht einzigartige Symbiose.

Ein Licht geht auf

Was hat es nun mit dieser unglaublichen Vielzahl an Lampen, Leuchtern, Lüstern und Lichtobjekten auf sich? Hier hat es ein traditionelles Aufgabengebiet des Spenglers mit in die Moderne geschafft. Bis heute fertigt Ludwig Kyral Beleuchtungen an. Manchmal sind es Kunden, die eine Replik eines bestehenden Objektes wünschen, manchmal Eigenkreationen oder ein bekanntes Kaffeehaus möchte seine Beleuchtung erweitern. Ludwig Kyral lacht: „Wenn dich das Thema so gepackt hat, würde ich dir einen Ausflug ins Café Landtmann empfehlen. Die neuen Stehleuchten im Außenbereich gehen auf einen Entwurf von meinem Sohn Laurenz zurück, den dieser auf Basis der bestehenden Hängeleuchten de­signt hat. Diese haben wir 2017 nach dem Modell der Originalmuster gefertigt.“

Nun wissen wir also, woher die Grand Dame Wien ihren außergewöhnlichen Schmuck bezieht. Ein Besuch der Stadt mit weit geöffneten Spengleraugen ist auf jeden Fall zu empfehlen. Falls Sie nicht sofort die Möglichkeit haben zu reisen, empfehle ich Ihnen einen Ausflug in unseren Online-Extra-Bereich. Dort finden Sie weitere Einblicke in die Arbeit des Kunstspenglers und Gürtlers Ludwig Kyral.

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