Endlos lange Falze

05.05.2020 | Veröffentlicht in Ausgabe 03-2020

Haptische Struktur Klempnertechnik ist ganz vorne mit dabei, wenn Militärgelände für zivile Zwecke umgenutzt werden. Im Businesspark Schwabenhof, einer früheren Kaserne, montierte der Fachbetrieb Reinhardt eine Fassade aus Edelstahl von Rimex Metals

Wenn Klempner Edelstahl verarbeiten, dominieren in vielen Fällen (rollnahtgeschweißte) Flachdächer die Projekte. Auch Flaschnermeister Volker Reinhardt verlegt die haltbaren Eindeckungen fachgerecht. Einen geringeren Anteil aller Edelstahlprojekte nehmen exklusive Fassadenlösungen ein. In diesen Fällen zählt ein individuelles Design mindestens ebenso wie Haltbarkeit und Wetterfestigkeit. Eine solche Fassade fertigte der Fachbetrieb Reinhardt GmbH aus Bad Rappenau für das neue Geschäftshaus Vega 1 in Heilbronn. „Zum Einsatz kam ein kolorierter Edelstahl, der geprägt und geschliffen wurde“, verrät der Geschäftsführer. Rimex Metals belieferte das Projekt mit farbigem mustergewalztem Material aus seiner Produktreihe Pagoda ColourTex. Das Team des Flaschnermeisters montierte die Scharen in Winkelstehfalztechnik am Neubau.

Linientreu: Falzverbindungen strukturieren die moderne Gebäudehülle

Vega 1 brilliert mit seiner bronzefarbenen Edelstahlfassade in Stehfalztechnik. Dahinter ist das inzwischen ebenfalls fertiggestellte Gebäude Vega 2 mit seiner Fassade aus walzblankem Edelstahl zu erkennen

Bronze gemustert

Die Eigenschaften von Edelstahl übertreffen die regulärer Stahlsorten bei Weitem: Die Eisenlegierungen, die mit Chrom und Nickel angereichert sind, halten jahrzehntelang, ohne zu rosten. Sie verschleißen nur langsam und widerstehen sogar Säuren. „Rimex arbeitet mit namhaften Architekten zusammen, um Projekte weltweit zu realisieren“, unterstreicht Bruno Rösch, Leiter Vertrieb und Technik bei Rimex Metals Deutschland, der das Projekt Vega auf der Seite des Herstellers koordinierte. Rimex Metals hat sich darauf spezialisiert, seine Edelstahlprodukte durch Schleifen, Prägen und Färben der Oberflächen noch weiter aufzuwerten. Die Werkstoffe der Reihe Pagoda ColourTex erhalten zunächst durch das Schleifen einen matten Glanz. Dieser Schliff unterscheidet sich deutlich von den polierten spiegelnden Oberflächen, die Rimex Metals ebenfalls anbietet. Anschließend prägt der Hersteller mittels Kaltwalztechnik ein Muster in Form ovaler Wölbungen in die Oberfläche ein. Das Muster des Typs 6WL, bei dem die Wölbungen in versetzten Reihen angeordnet sind, gibt der Oberfläche eine räumliche Struktur. Der menschliche Tastsinn erfasst diese Bearbeitung vielleicht am besten und viel mehr als jede optische Wahrnehmung. Das Material eignet sich nachfolgend noch für die Farbbehandlung. Die Farben werden mit einem elektrochemischen Prozess in die äußere Oxidschicht des Werkstoffs eingearbeitet.

Gut zu verarbeiten

Berührungsängste mit diesen Produkten lässt der Vertriebsleiter gar nicht erst aufkommen: „Das ist keine Zauberei, sondern 0,6 mm starker Edelstahl, den Klempner gut verarbeiten können“, stellt der Fachmann fest. Das gilt auch für das neue Material FinoTex, das auf der diesjährigen Dach und Holz in den Markt eingeführt wurde. Der Edelstahl mit fein mattierter Oberfläche lässt sich aufgrund seiner geringeren Stärke von nur 0,5 mm hervorragend falzen. Flaschnermeister Volker Reinhardt orderte das Material Pagoda Bronze ColourTex als Tafelware in der Stärke 0,6 mm. Das veredelte Produkt in der Gütequalität 1.4404 ist nicht nur langlebig und wartungsarm, sondern genügt auch aktuellen Umweltstandards. „Unser Edelstahl ist recycelbar“, versichert Bruno Rösch. „Das bedeutet, dass Materialreste gemäß der Norm ISO 9001:2015 wieder aufbereitet und in den Edelstahlstoffkreislauf zurückgeführt werden“, so der Vertriebsexperte.

Elegant: Die Edelstahlbekleidung mit geprägter Oberfläche

Raffiniert: Das Wechselspiel unterschiedlicher Fensterhöhen und verschieden breiter Fassadenbereiche wirkt überaus harmonisch

Rund ums Gebäude gefalzt

Der 1965 gegründete Handwerksbetrieb Reinhardt, der sich auf Metalldächer und -fassaden konzentriert, fertigte die Edelstahlprofile in verschiedenen Achsmaßen und Längen vor. Einer der Glanzpunkte der Scharen sind die waagerechten Winkelstehfalze, die schier endlos um das Gebäude herum verlaufen. Dieser Effekt wird durch die perfekt ausgeführten Gehrungsecken noch verstärkt. Die insgesamt 1950 m² große Fassade besteht aus fünf umlaufend bekleideten Teilflächen, die sich mit den Fensterfronten jeder Etage abwechseln. Diese stark horizontale Gliederung, die von den Endlosfalzen aus Klempnerhand zusätzlich betont wird, prägt die Außenhaut des Neubaus. Die Winkelstehfalze verleihen der Bekleidung außerdem eine hohe Stabilität. Für den außenliegenden Sonnenschutz konstruierten die Klempner kastenförmige Profile. Diese Bauteile ähneln in ihrem Querschnitt großen Hutprofilen, die nach Bauabschluss von den Stehfalzprofilen verdeckt werden. Nur die Öffnung der Kästen liegt im Sichtbereich. Hier kam die hohe Kunst des Klempnerhandwerks zum Einsatz: Im Sichtbereich verlängerten die Klempner die Raffstore-Kästen auf beiden Seiten um schmale Edelstahlprofile mit Pagoda-ColourTex-Oberfläche. So bleibt im Sichtbereich der einheitliche Eindruck der bronzefarbenen Fassade gewahrt. Die Raffstores verschwinden im geöffneten Zustand komplett in den Kästen, sodass sie unsichtbar hinter der Außenhaut liegen.

Auf dem Stand der Technik

Das Team des Flaschnermeisters installierte die Fassade mit hinterlüftetem Aufbau an einer Unterkonstruktion aus Aluminium. Der Montagezeitraum begann im Spätsommer 2017 und erstreckte sich bis in den Herbst. Das Gebäude, das drei Stockwerke hoch ist, wurde im Rohbau als Betonquader mit Flachdach ausgeführt. Am Rohbau montierten die Klempner L-förmige Winkel und Schienen. Dieses Tragwerk dient als Unterkonstruktion für die Trapezprofile, an denen die Stehfalzscharen mit Haften aus Edelstahl befestigt wurden. Die unterschiedlich langen Scharen wurden fachgerecht durch flache Falze miteinander verbunden, sodass die Stabilität und Zugfestigkeit der Bekleidung gewährleistet sind. Die flachen Falze kompensieren die Wärmeausdehnung des Werkstoffs. Eine Metallfassade dieser Größenordnung funktioniert nicht ohne Stöße, denn ungeteilt und ohne Verbindungsfalz würde sich Edelstahl auf rund 30 m Länge bei nur 50 K Temperaturunterschied um mehr als 25 mm ausdehnen. Dennoch ist Edelstahl mit einem Längen-Dehnungskoeffizienten von 0,017 mm /(m * K) ein vergleichsweise ruhiges Metall. Die in Standardlänge von 2 bis 3 m montierten horizontalen Winkelfalz-Scharen sind nicht nur technisch, sondern vor allem auch optisch auf das Architekturkonzept mit changierender Färbung im wilden Verband abgestimmt. Der Abstand zwischen den Trapezprofilen und der Betonwand ist breit genug für eine Dämmschicht und die Belüftung des Unterbaus.

Detailarbeit: Bekleidete Fensterlaibungen und -bänke sowie Anschlussprofile, auf denen das geprägte Muster seine Wirkung ganz entfaltet

Perforierte Edelstahlprofile unter den Fensterbänken dienen zur Belüftung der Fassade

Elegant bekleidet

Damit die Luft gut durch die Konstruktion zirkulieren kann, fertigte der Fachbetrieb Reinhardt zahlreiche perforierte Profile aus Edelstahl, die unterhalb der Fenster sowie unter den Fassadenflächen befestigt wurden. Die Flaschner aus Bad Rappenau bekleideten auch alle Laibungen und Fensterbänke mit farbigen mustergewalzten Profilen von Rimex Metals. Hierfür entstanden zahlreiche Anschlussprofile rund um die Fenster. Damit die Fassade wie aus einem Guss wirkt, kam eine technische Sonderlösung zur Anwendung. Flaschnermeister Volker Reinhardt: „In Einzelbereichen wird die Fassade durch farbbeschichtetes Aluminium komplettiert.“ In der Kombination mit den gläsernen Absturzsicherungen der Balkone und dem Sonnenschutz verleiht die Metallfassade dem Gebäude eine moderne Eleganz.

Während der Fertigstellung von Vega 1 begann schon die Arbeit am benachbarten Geschäftshaus Vega 2, das parallel zum ersten errichtet wurde. „Hier entstand ein Ensemble aus insgesamt drei Gebäuden. Allen gemein ist die markante Metallfassade in Winkelstehfalztechnik“, verdeutlicht Geschäftsführer Volker Reinhardt das Architekturkonzept, das die drei Gebäude unter einem Schlagwort vereint. An der Fassade von Vega 2 kam 0,6 mm starker Edelstahl mit der Oberfläche 6WL BA zum Einsatz.

Eine zukunftsweisende Antwort für die Nutzung des früheren Kasernengeländes fand die Stadt Heilbronn schon vor 30 Jahren. Eine zivile wirtschaftliche Nutzung hatte Priorität vor jedem militärischen Zweck. Heute erinnert fast nichts mehr an die Vergangenheit. Auch der Flaschnermeister blickt nicht zurück, sondern nach vorn. Der Geschäftsführer hat sein mittelständisches Unternehmen konsequent auf die Zukunft ausgerichtet. Die Rezepte der Erneuerung: zeitgemäße Montagetechniken, innovative Werkstoffe und ein modernes Handwerk.

www.reinhardtgmbh.com

www.rimexmetals.com