Existieren eigentlich eindeutige Beweise darüber, ob der Zungenbrecher „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum“ durch die geografische Lage der Stadt inspiriert wurde? Und könnte die Vorstellung eines verwinkelten Straßen- und Wasserwegesystems rund um Ulm als mögliche Erklärung dienen? Vielleicht. Interessante Parallelen zeigt ein Bieterwettbewerb auf, dessen Ergebnis ein Bauprojekt der Extraklasse ist.
Der anspruchsvolle Weg zum Ziel begann mit einer öffentlichen Bauausschreibung. Ein durch die Hummert Architekten BDA angestoßener Bieterwettbewerb markierte den Startschuss der anspruchsvollen Bauaufgabe. Den Zuschlag zum Bau des Citybahnhofs Ulm gewann die Beck GmbH Stahl- und Metallbau aus Cleebronn als Generalunternehmer. Die Beck GmbH verfügt über eine umfassende Stahlbaukompetenz. Seit 1966 plant, fertigt und montiert das Unternehmen innovative Stahl- und Glaskonstruktionen. Der zertifizierte Schweißfachbetrieb bietet Bauherren und Architekten ein breites Spektrum an Leistungen, von der Planung bis zur Ausführung.
In einer von der Beck GmbH initiierten, nachgelagerten Ausschreibung wurde der Fachbetrieb Altvater GmbH als Partner/Subunternehmer mit der Ausführung der anspruchsvollen Bekleidungsarbeiten beauftragt. Der in Nufringen bei Stuttgart ansässige Fachbetrieb verfügt über einen überaus modernen Maschinenpark und profitiert vom langjährigen Know-how seiner Mitarbeiter. Eine besondere Herausforderung am Bauprojekt Citybahnhof Ulm stellte die komplexe Geometrie der aus Edelstahl angefertigten Dachelemente dar. Damit verbunden waren auch die hohen Anforderungen an deren Befestigung und die enge Terminplanung. Um die enormen Herausforderungen zu meistern, griffen die Flaschner von Altvater besonders tief in die Trick- bzw. Werkzeugkiste …
Skulpturale Vordachlandschaft
Die Gestaltung des Ulmer Bahnhofsplatzes basiert auf dem Entwurf der Architektengemeinschaft Hummert und Hullak Rannow. Trotz zahlreicher Herausforderungen, die sich u. a. aus politischen Diskussionen und veränderten Rahmenbedingungen ergaben, konnte der Entwurf erfolgreich weiterentwickelt werden. Die Bekleidung der Vordächer mit gefärbtem Edelstahl zählt zu den markantesten Projektmerkmalen. Die individuell gefertigten Edelstahlelemente verleihen der filigranen und schlanken Dachkonstruktion eine besondere Leichtigkeit und setzen einen ästhetischen Akzent.
Zum Einsatz kam nanobeschichteter Edelstahl der ebenfalls in Cleebronn ansässigen Mirrorinox GmbH & Co. KG. Die verwendete Nanoinox-Beschichtung basiert auf der Sol-Gel-Technologie und besitzt laut Hersteller hervorragende Anti-Fingerprint- bzw. Easy-to-clean-Eigenschaften. Durch die Einbindung verschiedener Nanopartikel können demnach die Oberflächeneigenschaften gezielt eingestellt werden, was das Material nahezu resistent gegen Fingerabdrücke oder Verschmutzung machen soll. Die besonders pflegeleichten, in diversen Strukturen und Farben produzierten Edelstahloberflächen sollen sich sehr gut reinigen lassen (Lotus-Effekt).
Handwerkliche Dienstleistung trifft Präzision
„Bevor wir mit der Serienfertigung der Edelstahlelemente starten konnten, stellten wir ein maßstabsgetreues Mock-up her. Dargestellt wurden relevante Details wie etwa der Übergang von der Dachfläche an die Bereiche der Traufe, Rinne und Untersicht. Das von den Planern als ‚Bullnose‘ bezeichnete Übergangsdetail hatte es wahrlich in sich“, erinnert sich Simon Altvater. Bezeichnendes Merkmal ist das gerundete Übergangsprofil. Die entsprechenden Edelstahlzuschnitte wurden ausnahmslos im Prinzip des Steppkantens geformt. Beim Steppkanten besteht die größte Herausforderung darin, sehr enge Radien so zu gestalten, dass die einzelnen Stepps (Biegeschritte) nahezu nicht wahrnehmbar sind. Dazu wird das zu formende Metall in sehr engen Kantabständen um nur jeweils wenige Grad gebogen, sodass letztendlich ein formschöner Profilradius entsteht. Nach Abnahme des Musters durch Generalunternehmer, Bauherren und Architekten startete bei den Flaschnern von Altvater die Werkplanung und die Vorfertigung. Vom Architekten erstellte Fertigungspläne wurden dabei an technische Bedingungen und Möglichkeiten des Fachbetriebs Altvater angepasst bzw. entsprechend optimiert.
Eines der wichtigsten Merkmale ist das fugenlose Befestigungskonzept an der Deckenbekleidung. Die dreieckigen Paneele sind an den Ecken mit einem Tellersystem befestigt. Durch das Drehen eines Tellers kann jedes Element einzeln für Reparatur- und Revisionszwecke aus- und wieder eingebaut werden. Hierfür ist lediglich ein Spezialschlüssel notwendig. „Die fugenlose Montage sieht nicht nur hervorragend aus, sondern verhindert zudem, dass die einzelnen Paneele nicht wandern. Der Nachteil: Es besteht keine Möglichkeit, Toleranzen auszugleichen. Wir haben daher jede einzelne Schindel auf Maßhaltigkeit überprüfen müssen“, sagt Simon Altvater.
Flaschner optimieren Design
Die Edelstahlschindeln an der Untersicht sind bis zu 700 x 900 mm groß. Um die homogene und gleichmäßige Flächenwirkung zu betonen, wurden die Edelstahlelemente zusätzlich mit feinen, in der Fläche geprägten Dreiecksstrukturen versehen. Je nach Elementgröße bestehen die Elemente aus 0,7- bzw. 1,0-mm-Edelstahl.
Auch bei den tragenden Rundsäulen der Konstruktion wurde auf ein konsequentes Erscheinungsbild geachtet. Dem Anspruch minimalen Materialverbrauchs folgend, wurden die tragenden Rundsäulen der Konstruktion mit zur Dacheindeckung passenden Edelstahlblechen bekleidet. Die als Halbschalen gefertigten Umspannungsprofile wurden ebenfalls im Steppbiegeverfahren rund geformt und mit einer speziellen Schlüssellochtechnik eingehängt. Das Ergebnis überzeugt funktional und erfüllt darüber hinaus höchste optische Ansprüche.
Regendichtes Unterdach
Die sehr flache Dachneigung von nur 2 bis 3 Grad erforderte die Montage eines wasserdichten Unterdaches. Dazu wurde die aus Trapezprofilen hergestellte Tragschale mit folienbeschichteten Verbundblechen belegt. Die Befestigung der Glattbleche erfolgte per selbstdichtendem Vollniet. Um die entsprechende Dichtheit an den Tafelstößen der Glattbleche zu gewährleisten, wurden diese mit Folienstreifen überdeckt und anschließend verschweißt. Designbedingt wurde die dreieckige Grundform der Deckenelemente auf die Schindeln der Dachdeckung übertragen. Ähnlich wie Systemschindeln von Prefa sind auch die Dachelemente mit Umschlägen ausgestattet und entsprechend ineinander eingehängt. Die Befestigung erfolgte mit Liegehaften und Vollnieten. Um den Eindruck einer möglichst glatten Dachfläche zu verstärken, wurden die Schindeln an den Unterdecken abgesetzt. Durch diesen Kniff konnte die sonst bei Schindeldeckungen übliche Aufschuppung vermieden werden.
Die Entwässerung der Dachflächen erfolgt über eingelassene Edelstahl-Kastenrinnen sowie in die Tragstützen eingearbeitete und an den Muffen verschweißte Kunststoffrohrleitungen. Für zusätzliche Sicherheit sorgen eine Rinnenbegleitheizung sowie im Fugensystem der Dachdeckung verankerte Schneefanghaken.
Griff in die Trickkiste
Der Auftragsumfang beinhaltete zwei Haltestellendächer und ein großes Bahnhofsvordach. Ein technisches Problem bei der Bekleidung der Haltestellendächer waren die statisch erforderlichen, frei schwingenden Dachüberstände. „Weil jedes Haltestellendach aus einzelnen Pilzdächern besteht, die sich auch einzeln bewegen können, mussten besondere Maßnahmen ergriffen werden“, erinnert sich Simon Altvater: „Theoretisch wäre es sonst bei entsprechendem Wind möglich, dass sich die Pilztürme aufschaukeln und gegenseitig beschädigen. Daher haben wir in Abstimmung mit den Statikern eine Art Dämpfung eingebaut, welche das Aufschaukeln effektiv unterbindet.“
Fazit
„Durch die Verwendung langlebiger Materialien und die Berücksichtigung zeitloser Designprinzipien leisten die Vordächer einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit und tragen zudem zur Ästhetik des Bahnhofs bei“, ist Simon Altvater überzeugt: „Außerdem bringen uns am Citybahnhof gesammelte Erfahrungen als Fachbetrieb sowie als Handwerker weiter.“ Insgesamt ist die komplexe Planungs- und Umsetzungsaufgabe durchaus mit der sprachlichen Herausforderung des Zungenbrechers „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum“ vergleichbar. Die erforderliche hohe Präzision und Flexibilität haben alle am Bau beteiligten Personen entsprechend gefordert – die enge Zusammenarbeit der Partnerfirmen und Generalunternehmen zeigt, wie wichtig gute Koordination für den Erfolg eines solchen Projektes ist.
Wer den entsprechenden Beweis persönlich in Augenschein nehmen möchte, dem sei eine Reise nach Ulm empfohlen. Und zwar der Ankunft am Zielbahnhof mit seinen gelungenen Überdachungen ebenso wie der verträumten Ulmer Altstadtgassen wegen. 
Bautafel
Projekt: Citybahnhof Ulm / Neugestaltung des Bahnhofplatzes
Architektur: Hummert Architekten BDA, Ort und Hullak Rannow
Generalunternehmer: Beck GmbH Stahl- und Metallbau, Cleebronn
Fachbetrieb: Altvater GmbH, Nufringen
Material: Nanobeschichteter, gefärbter Edelstahl von Mirrorinox GmbH & Co.KG, Cleebronn