Jules Verne schrieb über eine Reise in 80 Tagen um die Welt, für Alexandre heißt die Herausforderung: auf 80 Baustellen um die Welt. Denn: „Zwar bin ich nicht – wie Obelix – als Baby in einen Kupferkessel voll Zaubertrank gefallen, aber auf Dächer zu klettern, das habe ich in der DNA“, so der Klempner und Schieferdecker.
Im März hat er sich aufgemacht, um in insgesamt eineinhalb Jahren die Dächer dieser Welt zu erkunden – und die Klempnerwelt daran teilhaben zu lassen. In BAUMETALL wird er regelmäßig berichten, damit wir ihn auf seiner einzigartigen Weltumrundung begleiten und Einsichten in das Spenglerdasein anderer Kulturen gewinnen können. Im Interview erklärt Alexandre, wie die Idee geboren wurde und wie er sich darauf vorbereitet hat.
Wie bist du auf die Idee der Weltreise gekommen?
Alexandre Lepand: Ich hatte den großen Wunsch, zu reisen und neue Dinge zu entdecken. Meine Arbeit, die ich sehr liebe, wollte ich auf Reisen fortsetzen. Zu Beginn des Projekts plante ich, in jedem Land humanitäre Arbeit zu leisten und im Camper zu übernachten. Dafür musste das Projekt allerdings komplett gesponsert werden, da ich kein Einkommen gehabt hätte. Leider habe ich aber keine Sponsoren gefunden und hätte fast aufgegeben. Aber mein Vater riet mir: „Nimm deinen Pkw, deinen Werkzeugkasten und such dir Unterkünfte bei den Leuten vor Ort.“ Und genau das habe ich gemacht.
Wie sah die Reiseplanung aus?
Über ein Jahr lang habe ich recherchiert. Ich stellte mir eine Route vor, die zu den interessantesten Städten und schönsten Orten auf unserem Planeten führt. Zum Beispiel Peking und die Chinesische Mauer, die Salzwüste in Chile oder Machu Picchu in Peru. An jedem Ort muss ich einen neuen Arbeitgeber finden, denn schließlich muss ich auch Geld verdienen. Auf den Baustellen kann ich die Techniken, die ich in Frankreich gelernt habe, mit anderen teilen. Untergebracht bin ich hauptsächlich bei Gastfamilien.
Natürlich läuft in vielen Ländern die Arbeit ganz anders ab, als ich es gewohnt bin, zum Beispiel in Indonesien. Denn die Arbeitsmittel und die Anforderungen an Dächer sind überall anders. Genau das ist das Spannende: Ich tauche in das Leben der örtlichen Dachdecker ein und bringe das ein, was ich kann. Ich hoffe, während meiner Reise Sponsoren zu finden, um später auch an humanitären Projekten arbeiten zu können. In Nepal z. B. habe ich mich an die Rock and Wood Association gewandt. Dort werde ich dabei helfen, Schulen oder Gebäude in den Bergen wieder aufzubauen, also humanitäre Arbeit leisten, so wie ich es gern überall getan hätte.
Wie hast du dich bei deiner Abreise gefühlt?
Um 6 Uhr morgens ging es los: von Neufchâteau in den Vogesen Richtung Deutschland. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich den Schlüssel umdrehte, das Auto startete und mein Abenteuer anfing. Meine Güte, war ich aufgeregt! Gleichzeitig erfüllte mich ein tiefes Gefühl der Freiheit – die Freiheit, quasi grenzenlos meinen geliebten Job auszuüben. Die Leidenschaft für meinen Beruf war von Anfang an mein Antrieb. Ansonsten brauchte ich nicht viel: meine Werkzeugkiste, einen Koffer und fertig.
Du hast ein ungewöhnliches Transportmittel für 70 000 km gewählt. Warum dieses kleine Auto?
Das war ursprünglich nicht so geplant, aber ich hatte keine Wahl, da ich mir ein Wohnmobil nicht leisten kann. Dieses Auto habe ich kostenlos bekommen. Auf sehr langen Strecken werde ich wohl ein paar Nächte in meinem Auto schlafen müssen. Dafür lasse ich den Beifahrersitz herunter und schiebe eine Luftmatratze ins Auto. Außerdem hat mir meine Großmutter das Nähen beigebracht, damit ich mir ein paar schöne Vorhänge als Sichtschutz nähen konnte. Das Ganze zu finanzieren ist natürlich nicht einfach, aber meine Verbandskollegen haben mich unterstützt. Auf einem Dachdeckerkongress haben sie für mich Geld gesammelt! Das ist mein Notgroschen, falls ich unterwegs eine Panne habe. Nicht viel, aber es beruhigt.
Hat dir der Handwerkerverband Compagnons du Devoirs auch auf andere Weise geholfen?
Die ersten Kontakte in Deutschland und der Schweiz haben mir die Compagnons vermittelt. Für den Start war das sehr hilfreich, aber alles Weitere möchte ich allein schaffen. Ob das klappt, kommt immer darauf an, wen ich unterwegs treffe.
Teil 1: Von St. Goar bis zur ukrainischen Grenze
St. Goar am Mittelrhein war meine erste Station. Dort habe ich eine sehr alte Technik für die Dacheindeckung mit Schieferschindeln erlernt: die Schuppentechnik. Als ich zum ersten Mal so ein Schuppendach sah, fand ich es, ehrlich gesagt, nicht sehr schön. Aber nach einem Monat des Übens und tieferem Eintauchen in die Materie konnte ich mich in die verschiedenen Verbindungen, die Beläge, die Größe der Schindeln einarbeiten. Dabei lernte ich diese Technik zu schätzen. Die größte Herausforderung bestand darin, die Schieferplatten zu schneiden, ohne zu zeichnen, und dabei regelmäßige Abrundungen in jeder Reihe zu bewerkstelligen.
Der zweite Job war einfach toll! Ein sozialer Wohnungsbau in Frankfurt, mit Oberlichtern, Kehlen, Graten überall – ein Paradies für einen Dachdecker! Und eine hervorragende Weiterbildung.
Schweizer Akkuratesse und polnische Herzlichkeit
In der Nähe von Lausanne lernte ich Schweizer Kupfer- und Blechbearbeitung genauer kennen. Die Schweizer arbeiten mit großer Finesse. Sehr akribisch! Da sie nicht die gleichen Fachbegriffe verwenden, habe ich neue gelernt. Gewohnt habe ich bei den Eltern eines Mitarbeiters. Diese ersten Schritte waren sehr interessant, auch wenn es sich noch nicht um den großen Szenenwechsel handelte.
Mehr Abenteuer gab es dann schon in Polen. Dort kannte ich niemanden und die kulturellen Unterschiede waren größer. Meine dortige Anlaufstelle war die Mutter eines Dachdeckers, der ebenfalls die Walz pflegt. Mit ihm zusammen mietete ich ein Ferienhaus, als wir zusammen auf einer Baustelle in Warschau arbeiteten. Seine Mutter hat mir während meiner Zeit in Polen sehr geholfen. Sie hat ein Geschäft für Klempnereibedarf und kennt natürlich viele Leute in der Branche. So hat ein Kontakt zum anderen geführt.
„Pass bloß auf dich auf!“
Insgesamt vier Monate habe ich in Polen verbracht. In der letzten Woche nahm ich an einem Kongress in Minsk, Weißrussland, teil. Bei dieser Gelegenheit konnte ich Kontakte zu Unternehmen in Litauen, Estland, Russland und Kasachstan knüpfen.
In der darauffolgenden Woche ging es weiter in die Ukraine, wo andere Regeln gelten. Vor der Ukraine haben mich viele Leute gewarnt: „Pass bloß auf! Sei vorsichtig!“ Das wahre Abenteuer sollte nun also
beginnen. Vor dem Grenzübertritt fürchtete ich mich am meisten. Schließlich war das Land im Bürgerkrieg. Am Zoll zitterte ich. Große Betonblöcke als Absperrungen, Soldaten überall. Ich hatte das Gefühl, das friedliche Europa zu verlassen …
Wie der Reisebericht von Alexandre weitergeht, erfahren Sie in Teil 2 in BAUMETALL-Ausgabe 8/2019. Dann schildert der Abenteurer, was er auf dem Streckenabschnitt „Von der Ukraine übers Baltikum bis Moskau“ erleben durfte. Bleiben Sie dran! 
Alexandres bisheriger Werdegang
2008: Beginn der Lehre in Nancy.
2010: Beginn einer „Tour de France“ (eine Art von moderner Walz – organisiert vom Handwerkerverband Compagnons du Devoir). Mit dabei: ein Abstecher nach Salzburg, wo Alexandre seine Deutschkenntnisse aufpoliert hat. Anschließend fertigt er in Reims sein Gesellenstück. Ein erneuter Auslandsaufenthalt führt ihn nach Sterzing in Südtirol.
2016 bis Februar 2019: Begeisterter Ausbilder in Lille.
Seit März 2019: Auf Handwerkerweltreise. Die internationale Walz ist für ihn eine Schule des Lebens, mehr noch als für den Beruf. Aktuell hält Alexandre die BAUMETALL-Redaktion aus Melbourne in Australien auf dem Laufenden!
Der französische Handwerkerverband Compagnons du Devoir setzt sich für die Ausbildung im Handwerk ein, unterstützt junge Menschen, berät Betriebe, vermittelt Lehrstellen und zeitlich begrenzte Lehraufenthalte. Für Nachwuchshandwerker auf der Walz stellt er Unterkünfte bereit. Der Verband hat Alexandre am Anfang seiner Weltreise mit der Vermittlung erster Kontakte unterstützt.