Kevin Stone kreierte den größten handgefertigten Drachen der Welt. An den Segmenten aus rostfreiem Stahl arbeitete der Metallbildhauer zwei Jahre lang. Sieben Tage die Woche. Die Premiere des Meisterstücks feierten Tausende Besucher 2009 auf dem Gelände des Künstlers im kanadischen Chilliwack, British Columbia. Eigentlich restauriert der erfahrene Metallspezialist Oldtimer, wenn neben der schöpferischen Arbeit noch Zeit bleibt.
Size does matter – Größe zählt!
Pan Long überragt in Gestalt und Größe wirklich alle Artgenossen. In stehender Position erreicht der Körper bereits eine Länge von 10 Metern. Komplett auseinandergezogen wäre der Drache über 25 Meter lang. Die höchsten Punkte am Kopf und am Rücken liegen etwa 3,5 Meter über dem Boden. Insgesamt bringt Pan Long ein Gewicht von über 2,7 Tonnen auf die Waage. Zum optimalen Manövrieren steht das Monster stabil ausbalanciert auf einem rollenden Gestell. Fast noch mehr als die spiegelnde Oberfläche faszinieren die gerundeten Formen. Der Körper dreht sich spiralförmig zweimal um die eigene Achse. Durch den kreisrunden Querschnitt sind viele Schuppen ebenfalls gewölbt. Die Passgenauigkeit und hohe Detailtreue versetzt sogar Experten ins Staunen: Zähne, Krallen und Augen hat der Künstler nicht bloß angedeutet, sondern präzise ausgeformt. Die Mimik löst bei Beobachtern Beststimmung aus: Die Zunge hängt aus dem Maul und am Kopf vibrieren hauchdünne Antennen. Als besonderes Detail hält der Drache in der rechten Kralle eine blaue Kugel, die eine kostbare Perle, den Erdball, Weisheit und Stärke symbolisieren soll. Als kostbar erweist sich die gesamte Skulptur. Allein der Materialwert für den Edelstahl erreicht die Millionen-Grenze. Über den Gesamtwert kursieren nur vage Schätzungen, die zwischen 5 und 10 Millionen US $ liegen.
Handarbeit vom Kopf bis zur Kralle
Bei der Gestaltung des Drachens kamen viele Techniken zur Metallbearbeitung auf sehr hohem Niveau zum Einsatz. Schon die Planung und das Design überließ Kevin Stone nicht dem Computer, sondern entwarf die Skulptur vom Hand. Der Künstler erarbeitete sich Schablonen aus Papier und fertigte sie auf Maß, bis sie perfekt passten. Diese Schablonen übertrug er auf Stahlplatten mit einer Stärke von ca. 1,29 mm. Über das manuelle Zurichten, Entgraten und Formen der Platten verriet der Metallbildhauer der amerikanischen Fachpresse: Die Segmente wurden mit einer elektrischen Schere oder mit einer Schleifmaschine mit Schneiderad getrennt. In TV-Berichten ist der Profi zu sehen, wie er solche Segmente binnen weniger Sekunden anzeichnet und schneidet. Dann schweißte Stone die Segmente an die Figur und bewies bei dieser Arbeit absolute Präzision. In den Videos wirkt das Schweißen des Edelstahls viel einfacher, als es ist. Weil es schnell oxidiert, überhitzt oder durchbrennt, ist beim Schweißen des Edelstahls entscheidend, die passende Eingangshitze aufrechtzuerhalten. Fünf Ampère zu viel verändern schon die Eigenschaften des Metalls. Deshalb verwendete der Experte Geräte des Typs „TIG Dynasty Welder“ vom amerikanischen Hersteller Miller. Durch mehrfaches Polieren entstand die Hochglanzoptik. Dass der Edelstahl ohne diese äußerst zeitintensive Arbeit im unpolierten Zustand ziemlich stumpf aussieht, zeigen die Aufnahmen während der Anfertigung deutlich. Die polierte Oberfläche kann der Witterung ausgesetzt werden, ohne dass sie korrodiert, rostet oder ihre spiegelnde Qualität verliert.
Aufmerksamkeit garantiert
Noch vor der Fertigstellung entwickelte sich Pan Long zu einer großen Sensation und entfachte Wellen der Begeisterung. Die Presse und das Fernsehen waren schon während der Anfertigung exklusiv bei Kevin Stone zu Gast und berichteten hautnah über jeden einzelnen Arbeitsschritt. Selten zeigten derartig detaillierte Aufnahmen das Polieren, Trennen und Schweißen inklusive frisch gesetzter Schweißnähte. Die Dokumente erweisen sich als echte Fundgrube des Schöpfungsprozesses, weil im unvollendeten Zustand viele spannende Details, wie z. B. die Nummern der Segmente am Körper gut erkennbar sind. Die Berichte lassen sich bis heute im Internet bewundern. Als der Metallbildhauer seinen Wasserdrachen am 25. April 2009 in einem Public Viewing präsentierte, pilgerten Tausende Besucher nach Chilliwack, sodass der Ort eine landesweite Berühmtheit erlangte.
Schwer auf Tour
Doch damit nicht genug. Das Fabelwesen ging sogar auf Reisen. Vom 20. August bis 5. September 2011 war der Drache auf der Pacific National Exhibition (PNE) im kanadischen Vancouver öffentlich ausgestellt. Die aufwendige Vorbereitung des gesamten Transports und die Fahrt selbst kosteten einige Nerven. Nur mit schwerstem Gerät konnte der Drache zur PNE verfrachtet werden. Ein 120-Tonnen-Kran war im Einsatz, um allein den Tieflader in die Einfahrt zu hieven, damit er rückwärts aufs Gelände in die Ladeposition gelangte. Der Drache ließ sich ebenfalls nur per Kran anheben und am Haken mitsamt Gestell auf dem Tieflader platzieren. Die Route musste detailliert ausgestaltet und vom kanadischen Transportministerium genehmigt werden. Bei einem Tempo unter 60 km/h dauerte die Fahrt etwa 3 Stunden, obwohl Chilliwack nur ca. 100 km von Vancouver entfernt liegt. Damit keine unvorhersehbaren Unfälle mit Stromleitungen oder Brücken passieren, musste die Strecke vor der Tour Probe gefahren werden. Entlang der Route lauerten viele Gefahren: Beim Verladen richteten sich alle Augen auf das Stahlgestell, um zu verhindern, dass es bricht. Größte Vorsicht war geboten, damit die Ketten des Krans, Bäume oder vom Wind aufgewirbelte Gegenstände keinesfalls die Oberfläche zerkratzen. Doch der Aufwand lohnte sich, denn die Ausstellung lockte mehrere Hunderttausend Besucher an.
In bester Gesellschaft
Nach der Ausstellung erreichte die Figur ein internationales Publikum, als sie in einem der größten Casinos des Bundesstaates British Columbia gezeigt wurde. Im Richmond River Rock Casino Resort gastierte der Drache von 2011 bis 2012 sechs Monate lang. Als Symbol des Glücks verhalf die Figur den Besuchern dort zum goldenen Händchen beim Spielen. Die packende Geschichte zeigt: Ab dem ersten Entwurf hat die Skulptur markante Spuren hinterlassen und besitzt großes Potenzial für künftige Ausstellungen und Shows. Durch seine Dimensionen zählt der Drache zu den bekanntesten Skulpturen des Künstlers. Die erste Figur entstand bereits im Jahr 2006: „Power and Authority“ ein etwa 6 Meter hoher Edelstahladler mit einer Flügelspanne von 10 Metern. Ein Jahr später folgte mit „Power of Flight“ ein zweiter, detaillierterer Adler. Stones wohl berühmtester Greifvogel steht seit 2012 an einer Achterbahn im Vergnügungspark Dollywood im US-Bundesstaat Tennessee. Die Countrymusiclegende Dolly Parton gab die Figur in Auftrag. Die Stahlsegmente am Hals und Körper ließ Kevin Stone extra verrosten, um den Effekt des braunen Gefieders zu erzeugen. Weil jedes Werk bis an die Grenzen dessen geht, was handwerklich möglich ist, lassen sich die unverwechselbaren Figuren überhaupt nicht nachahmen.
Oldtimer und Kunstdesign
Als zusätzliches Standbein restauriert der Metallbildhauer historische Fahrzeuge. An den aufgearbeiteten Modellen aus den 1950er- und 60er-Jahren glänzt fast so viel Metall wie an den Skulpturen. Erst Anfang 2015 schaffte es ein 57er-Chevy in die angesagteste kanadische Tuning-Zeitung. Während der Sommermonate können Gäste tagsüber die Arbeitsweise des Künstlers und seine Werke näher kennen lernen. Alle, die vom polierten Metall nicht mehr loskommen, können sich auch ihre persönlichen Stahlfiguren im eigenen Hof oder Garten aufstellen. Weitaus ungefährlicher als die Adler und Drachen wirken sie allemal. Die Gäste erhalten knapp 1 m hohe und 60 cm breite Kunstwerke – Kolibris im stilechten Design.
metalsculptorkevinstone.com
Fotos: Kathy Paynter kathypaynter.com/photography/
Kunstspengler Live
Wie entsteht ein Drachen-Ei? Die Antwort liefert ein beeindruckendes Video. Dieses finden Sie unter B-Live in der Online-Rubrik BAUMETALL-TV auf www.baumetall.de.
Making the Dragon‘s Egg from Game of Thrones
www.baumetall.de/-Live/Baumetall-TV
Rextorn Metalwork / www.facebook.com/RextornMetalwork
BAUMETALL-Tipp
Spengler-Drachen ganz anderer Art schmücken das verwunschene Hotel Drachenburg. Zu finden ist das märchenhafte Gebäude am Bodensee im schweizerischen Gottlieben.
Drachenburg & Waaghaus AG
8274 Gottlieben (CH)
Autor
ist Inhaber des Verlags Illustrierte Welten & Informationen in Berlin.