Im Bostoner Fenway-Distrikt befindet sich das ISGM in angenehmer Gesellschaft. Die angesiedelten kulturellen Institutionen bilden ein Cluster, dessen Konzentration in den Vereinigten Staaten äußerst selten, wenn nicht gar einmalig ist: Massachusetts College of Art, Museum School, Huntington Theatre, Boston Symphony Orchestra, New England Conservatory, Berklee College of Music – alle in unmittelbarer Nachbarschaft vom Gardner. Kunst und Kultur in allen Varianten sind hervorragend vertreten im Fenway, und das Gardner trägt daran keinen geringen Anteil. 2500 Werke und Objekte, unter anderen von Botticelli, Tizian, Michelangelo, Rembrandt und Degas verteilten sich zuletzt auf die drei Stockwerke und 19 Galerien des Palazzos. Als Isabella Stewart Gardner ihr Haus noch selbst führte, war es als erstes Museum der USA bekannt, das seine Sammlung in einem intimen, eher privaten Rahmen präsentierte – und damals wie heute war es das einzige Museum, dessen Gebäude, Ausstattung und Sammlung von einer einzelnen Frau realisiert wurde. Zu Isabella Stewart Gardners Zeiten zählte ihr Museum jährlich etwa 2000 Besucher. Gut 100 Jahre später war diese Zahl auf das hundertfache gestiegen und eine Entlastung des ursprünglichen Gebäudes dringend erforderlich.
Die grünen Kuben vom Fenway
Der neue Flügel des ISGM glänzt nicht durch aufsehenerregende Formensprache. Sein Aufbau ist einfach, logisch und verständlich. In einem Abstand von gut 16 m hinter dem Palazzo, der allein durch einen den Garten querenden verglasten Korridor mit dem Neubau verbunden ist, betritt man den neuen Flügel vom soeben restaurierten Evans Way Park aus über einen separaten Zugang, der dem Gebäude in Form eines eingeschossigen gläsernen Pavillons vorangestellt ist. Über dem transparenten Erdgeschoss schweben vier mit vorpatinierten kupfernen Fassadentafeln bekleidete dreigeschossige Kuben, die mit changierenden Farbnuancen das Grün des Gartens reflektieren. Über dem Foyer und dem Infobereich des Museums kann das fein profilierte Kupfermaterial auch als Hintergrund für Fassadenkunst dienen. Hier haben die Architekten auf einer Fläche von etwa 5 x 12 m Vorrichtungen zur Installation von Kunstwerken gestaltet, die eine Erweiterung der Ausstellungen in den Außenbereich ermöglichen.
Innen wird das Prinzip der Kuben in Gestalt der beiden wesentlichen Raumstrukturen fortgesetzt, mit der natürlich beleuchteten Galerie für Sonderausstellungen sowie mit einem Veranstaltungssaal mit 300 Sitzplätzen, der vor allem für Konzerte zur Verfügung steht. Dem Besucher erschließt sich das Gebäude auf dem Weg durch die öffentlichen Bereiche durchweg als transparent, offen, einladend, mit ständigem unverbauten Blick nach außen. Die vertikale Erschließung führt über das zentrale Treppenhaus, dessen Verglasung zwischen den beiden nördlichen Kuben den Blick auf Garten und Palazzo freigibt, gerahmt durch die elegante Profilstruktur der grünen Kupferfassaden, die hier auch im Innenbereich die seitliche Begrenzung des Treppenhauses darstellen.
Die Treibhausidee
Eine ergänzende Einrichtung des Museums befindet sich in einem zweigeschossigen Anbau, der sich in südlicher Richtung an den Empfangsbereich anschließt. Hier befindet sich das Treibhaus, wo Pflanzen und Blumen für die Gartenanlagen und insbesondere für den Innenhof des Palazzos gezüchtet werden, wo schon Isabella Stewart Gardner als passionierte Gärtnerin ihre Besucher mit faszinierenden floristischen Installationen in Ergänzung zu ihrer beeindruckenden Kunstsammlung begeistern konnte. Der grüne Gedanke zieht sich durch das gesamte Konzept des neuen Museums: Gartenanlagen, Treibhaus, grüne Fassade aus vorpatiniertem Kupfer – einem natürlichen und besonders nachhaltigen Werkstoff –, acht Geothermalquellen, die für eine besonders ökologische Beheizung und Klimatisierung des Gebäudes genutzt werden. Zu den daraus resultierenden Vorteilen zählen eine zu erwartende Energieeinsparung von 28 % gegenüber einem vergleichbaren Standardgebäude sowie eine Reduzierung der Kohlendioxidemissionen, die etwa einer Anpflanzung von 150 Morgen Waldfläche entspricht. Aufgrund seiner hervorragenden Ökobilanz wurde das Gebäude mit dem LEED-Zertifikat in Gold des United States Green Building Council ausgezeichnet.
Gelungenes Konzept
Die zentrale Aufgabe des neuen Museumsflügels war die Entlastung des ursprünglichen Bestandes, die Übernahme einiger Funktionen wie Sonderausstellungen und Konzerte, um dem Palazzo seine Ruhe zurückzugeben und auch einige anstehende Restaurierungsaufgaben in Angriff nehmen zu können. Dabei sollte keine Konkurrenz zwischen den beiden Gebäuden entstehen, aber dennoch ein wenig von der Magie des alten Bestandes weitergegeben werden. Im Ergebnis ist ein Ensemble entstanden, das eine gelungene Kommunikation zwischen venezianischem Charme und moderner funktionaler Ästhetik darstellt, die in respektvoller zeitlicher und räumlicher Distanz hervorragend funktioniert.
Bautafel
Projekt: Isabella Stewart Gardner Museum
Bauherr: Paratus Group
Architektur: Entwurf und Planung: Renzo Piano Building Workshop, Genua; Ausführung: Burt Hill
Tragwerk: Skelettbau, Stahl / Aluminium
Fassadenplanung und Vorfertigung: MN Metallverarbeitung Neustadt GmbH
Konstruktion der Gebäudehülle: Gartner GmbH, Gundelfingen
Fassadenmaterial: Kupfer vorpatiniert
Profilierung: Welltec-Profil SZ-14/33
Unterkonstruktion: Edelstahl
Tragwerk: Skelettbau, Stahl / Aluminium
Zeichnungen: Renzo Piano Building Workshop
Fotos und Text: Klaus Sikora, MN Metallverarbeitung Neustadt
Vorpatinierte Kupfer-Fassade
Die individuelle, in dieser Ausführung bisher einmalige Fassadenbekleidung des neuen Museums wurde in streng definierten Arbeitsabläufen realisiert. Die zunächst walzblanken kupfernen Fassadenbleche wurden bei einem spezialisierten norddeutschen Metallverarbeiter im patentierten Welltec-Verfahren mit dem charakteristischen Feinprofil ausgestattet. Dann erfolgten das Anschweißen der Befestigungsbolzen und die Verbindung der baustellenfertig zugeschnittenen Tafeln mit der vom gleichen Unternehmen realisierten Unterkonstruktion in Form von Edelstahlkanälen. Die Profile wurden zugunsten einer effizienten Verlegung mit lasergravierten Positionsnummern ausgestattet. Für den Transport wurde ein perfekt schützendes Verpackungssystem konstruiert, das an den Versand hochwertiger Kunstwerke erinnert: In eine stabile Holzbox wurden sieben Holzrahmen fest arretiert eingeschoben, auf denen beidseitig je eine Fassadentafel mit Unterkonstruktion befestigt war. Die geschlossenen Boxen wurden zur industriellen Vorpatinierung der Kupferoberflächen an den Hersteller zurückgeschickt. Nach erfolgreicher Patinierung wurden die Tafeln wieder auf die gleiche Weise verpackt und zur Baustelle nach Boston verschifft. Die Verlegung der nummerierten Fassadenelemente erfolgte dann durch einfaches Einhängen in die vormontierten Fassadenprofile.