Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Neulich in der Hexenküche

Ich bin Klempner von Beruf und ja, es gibt schlechtere! Wie ich so sicher sein kann? Ersteres habe ich gerade auf meinem Meisterbrief aus dem Jahr 1990 nachgelesen und Letzteres im Spätsommer 2016 vor Karl Schlechts Werkstatttor festgestellt. Das mit Kupfer beschlagene Tor ließ mich unweigerlich an meinem handwerklichen Können zweifeln. Etwas Derartiges hatte ich noch nie zuvor gesehen. Talent hin, 25 Jahre Berufserfahrung her – ich musste mir eingestehen, etwas Vergleichbares nicht einmal annähernd schaffen zu können. Mehr noch: an der Pforte dieser schwäbischen Flaschner-Kultstätte erkannte ich, dass es den allermeisten Kollegen an meiner Stelle ähnlich ergehen würde, aber der Reihe nach: In BAUMETALL 1/2017 berichtete ich von meiner Tour durch Oberschwaben und das Ost-Allgäu. Gemeinsam mit Martin Fischer von den M.A.S.C.-Ausstattungsprofis besuchte ich Ortschaften wie Apfeltrach, Eggenthal, oder Katzenhirn, um schließlich ins oberschwäbische Laupheim zu gelangen. Was ich dort zu sehen bekam, grenzte an einen Zauber aus einem Flaschner-Märchen. Grund genug, meine Eindrücke möglichst lebendig zu beschreiben …

Im Flaschner-Märchenland

Das schwere, zweiflügelige Kupfertor öffnet sich leise seufzend. Gemeinsam mit Reiner Held und Martin Fischer betrete ich eine nach Antiquitäten, Lötwasser und Salmiakgeist riechende Welt. Rechts die verstaubte Werkbank mit zahlreichen Blechscheren, Zangen und anderen typischen Flaschner-Werkzeugen – links der Diamantene Meisterbrief Karl Schlechts. Daneben ein Haifischmaul, der Helm eines Tiefseetauchers und schon wieder zahlreiche tentakelähnliche Fangarme* aus Kupfer. Auf der Suche nach der dazugehörenden Riesenkrake entdecke ich Dutzende Hammerlötkolben und Lötlampen aus Messing. Auf einer Tischplatte aus Edelschiefer stehen die Zauberschuhe des kleinen Muck und es scheint, als würden ihre Spitzen zu einer uralten Sickenmaschine und dem danebenliegenden Notizbuch des Meisters deuten. Reiner Held nimmt es ehrfürchtig auf, blättert darin und lässt dabei feine Staubkörner wie in Zeitlupe nach oben steigen. Aufschriebe und Skizzen werden sichtbar und langsam verstehe ich das System dieses chaotisch wirkenden Sammelsuriums. Die aus aller Welt zusammengetragenen Utensilien dienten dem 2014 verstorbenen Genie Karl Schlecht als Inspirationsquelle. Zwei Jahre später scheint es, als komme der Schöpfer dieser Märchenwelt jeden Augenblick in sein Refugium zurück, um entweder die Kreidezeichnung auf dem Eisentisch zu vollenden oder mit der Arbeit an einer Kupfermaske zu beginnen.

Drachenland oder Hexenküche

Ich bin begeistert, denke an Johann Wolfgang von Goethe und die Ballade vom Zauberlehrling. Ganz im Sinne des dort erwähnten Hexenmeisters gäbe ich alles dafür, den kreativen Geist Karl Schlechts weiterleben zu lassen. Und obwohl ich weiß, dass ich dem Kupfer-Hexenmeister niemals das Wasser reichen könnte, würde ich mich dann als Lehrling bei ihm bewerben. Hexenmeister? Durchaus, denn die Beschaffenheit der hier zu sehenden Kupferarbeiten grenzt an Zauberei. Und wie zum Beweis für meine Behauptung sitzt eine äußerst freche Kupferhexe auf dem Dach der ehemaligen Künstlerwerkstatt. Gemeinsam mit der Wetterhexe auf dem Nachbarhaus und anderen Kupfer-Fabelwesen erinnert sie an die enorme Schaffenskraft Karl Schlechts. Der im Alter von 88 Jahren verstorbene Flaschnermeister und Metallkünstler schuf weit über 7000 Kunstobjekte. Zahlreiche realistisch wirkenden Kupferschlangen, -Drachen oder Dinosaurier erwecken den Eindruck, als hätte ihnen Karl Schlecht mit einer magischen Formel Leben eingehaucht. Nur so lässt sich erklären, dass die Laupheimer Dachlandschaft über weite Teile wirkt, als würden auf Vorsprüngen und Rinnenwulsten sitzende Kupferkreaturen Bürger und Passanten auf Schritt und Tritt beobachten.

Enorme Schaffenskraft

Karl Schlecht war bis zuletzt so gut wie jeden Tag in seiner Werkstatt. Seine Metallobjekte und -Skulpturen zieren private und öffentliche Räume. In jungen Jahren experimentierte der Flaschnermeister und Autodidakt mit Treibarbeiten, die von Objekt zu Objekt immer anspruchsvoller wurden. Seine Entwürfe und Konstruktionen entwickelten sich jedoch schnell zu komplexen und einzigartigen Metallkreationen. Was den Metallkünstler zudem auszeichnete, war das Prinzip, stilistische Mittel möglichst nicht zu wiederholen. Seine somit geschaffenen Unikate wurden überregional bekannt und sind es in der Kunstszene bis heute. Neben seiner kreativen Arbeit war Karl Schlecht natürlich auch als Flaschnermeister sowie als Mitglied des Arbeitskreises Kunstschmiede und Metallgestalter Baden-Württemberg aktiv.

Als ich die Werkstatt verlasse, entdecke ich Karl Schlechts Diamantenen Meisterbrief – eine Auszeichnung, die der Hexenmeister für 50 Meisterjahre von der Handwerkskammer erhielt. Das schwere, zweiflügelige Kupfertor schließt sich leise seufzend. Gemeinsam mit Reiner Held und Martin Fischer verlasse ich das Flaschner-Märchenland. Als Souvenir begleitet mich der Geruch von Antiquitäten, Lötwasser und Salmiakgeist und die Erinnerung an eine meiner schönsten Werkstattbesuche. Fantastisch!

BAUMETALL-Leserreise

Möchten Sie BAUMETALL beim nächsten Ausflug ins Allgäu begleiten? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail mit dem Stichwort „Architek-Tour“. Wir freuen uns auf Sie! redaktion@baumetall.de

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ BM E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Themenhefte
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen