Für die Besitzer der Domizile mit den spiegelnden Stahlfassaden ging ein Traum in Erfüllung. Die Konstruktionen vereinen vieles in sich: Sie dienen als Refugium und Aussichtspunkt, um ungestört zu entspannen und die Natur zu genießen. Exklusive komfortable Häuschen im Grünen, wie sie schon von vielen Hotels zum Übernachten angeboten werden, leisten sich mittlerweile immer mehr private Bauherren. Entworfen hat dieses Projekt am Starnberger See in Bayern Andreas Wenning vom Bremer Architekturbüro Baumraum. Die spiegelnde Hülle aus Edelstahl bekleidete der Fachbetrieb JWD Dach- und Fassadentechnik aus Eydelstedt unter Federführung von Cord Sander.
Verschmolzen mit der Umgebung
Ein Versteck im Wald, um von einem geheimen Ort aus in die Welt zu schauen, zählt wohl zu den Kindheitsträumen vieler Menschen. Die Spiegelung macht’s möglich und wirkt einfach unglaublich. „Der Effekt kommt sehr gut an beim Bauherrn,“ freut sich Architekt Andreas Wenning. „Auch die Nachbarn sind begeistert.“ Optisch verschmilzt die Außenhaut aus Edelstahl mit den Farben des Waldes und der Witterung. Auf der hochpolierten Oberfläche spiegeln sich je nach Perspektive der Himmel, die umgebenden Bäume und Sträucher oder auch der Erdboden. Dadurch wechselt das Haus seine Farben dynamisch mit der Tages- und Jahreszeit, genau wie die Welt rund herum. Die Fassade hat sozusagen keinen eigenen starren Farbton. Nachts ist der Stahl nahezu unsichtbar, im Winter spiegelt sich darauf der weiße Schnee. Ab dem Frühjahr reflektieren die Wände das Grün der sprießenden Knospen und Blätter. Spätestens im Oktober erscheint die Oberfläche bunt wie das Herbstlaub.
Stahlschicht dünner als eine Zwiebelhaut
Das Geheimnis der Fassade besteht in ihrem schichtartigen Aufbau: Die Häuschen sind als Holzrahmenkonstruktion errichtet und mit Holzplatten bekleidet worden. An den Fassadenflächen befestigten die Mitarbeiter von JWD Dach zunächst in Klammertechnik eine Unterdeckung des Typs Bauder Top TS 40. Mit speziellen Haften verlegten sie darüber in Falztechnik die hochpolierten Edelstahlbleche von Rimex, wobei sich die Kanten gegenseitig überlappen. Der englische Hersteller ist seit 1959 Spezialist für besondere Metalloberflächen und liefert mit dem Produkt SuperMirror perfekt reflektierende Profile ohne Polierspuren. Der Vorteil gegenüber Spiegelglas liegt auf der Hand: Der glänzende Edelstahl mit einer Stärke von 0,8 mm splittert nicht und geht nicht zu Bruch, ist aber recyclebar und korrosionsbeständig.
Zwei individuelle Häuser
Das gesamte Projekt besteht aus zwei Häusern. Eines von beiden wurde an allen vier Fassadenflächen und am Boden verspiegelt. Rund ums Dach verläuft eine aufgekantete Spiegelblende, die nur einmal für einen Speier durchbrochen wurde, über den das Regenwasser abläuft. Dieses Objekt steht etwas erhöht an einem Hang. Etwas tiefer am Hügel auf einem ebenen Betonfundament entstand ein Gartenstudio. Bei diesem Objekt sind die beiden rückwärtigen Seiten, die nach Süden und Westen in den Wald hineinzeigen, mit Edelstahl verspiegelt worden. Die zwei anderen mit Holz bekleideten Wände an der Tür sind um ca. 75 cm nach innen versetzt worden. Dadurch entstand vor dem Studio eine Mini-Terrasse, die mit ihrem rustikalen Ambiente zur lockeren Auszeit im Freien einlädt.
Lange Reise und knifflige Montage
Das verspiegelte Stelzenhäuschen fertigten die Mitarbeiter auf dem Gelände der Zimmerei Schorling Holz GmbH. Der Betrieb liegt nur einige Kilometer entfernt von Eydelstedt, wo der Fachbetrieb JWD Dach zu Hause ist. Das Haus wurde dann auf einen Tieflader gehoben und reiste aus dem niedersächsischen Bassum-Dimhausen gut 600 km bis zum Starnberger See auf die Baustelle. Ein riesiger Aufwand war nötig, um das Objekt aufs Gelände zu hieven. „Angedacht war ursprünglich, es per Hubschrauber rüberzutragen, weil in Bayern, vor allem im Gebirge, vieles per Hubschrauber erledigt wird“, erinnert sich Klempnermeister Cord Sander. „Aber das wäre wohl zu teuer geworden.“ Auf der engen Straße musste ein großer Kran her, sodass der ganze Wirbel zu ein bisschen Verstimmung mit der Stadt führte. Das größere Gartenstudio setzten die Zimmerer und Klempner deshalb direkt auf dem Gelände am Starnberger See zusammen. Inklusive Holzbau, Fenster und Fassade wurden beide Objekte Mitte Oktober 2014 fertiggestellt.
Kleiner Fußabdruck und Rundum-Blick
Der symbolische kleine Fußabdruck wird beim Stelzenhäuschen besonders deutlich. Mit einer Länge von etwa 4,50 m und einer Breite von 2,20 m hat es eine rechteckige Grundfläche von fast 10 m² Größe. Weil aber ein Metallrahmen auf vier Stützen das Objekt trägt, bleibt die bebaute Fläche deutlich geringer als die Grundfläche des Hauses. Nur für die Stützen und den Fuß der Metalltreppe befinden sich Betonfundamente im Waldboden. Die Stützen gleichen den Höhenunterschied aus, wobei die längeren etwa 1,40 m aus dem Boden ragen, sodass die Konstruktion frei über dem Hang schwebt. Von diesem erhöhten Standpunkt aus ergibt sich ein sensationeller Blick auf die Natur. Die großflächigen Fenster an den Stirnseiten bieten dazu reichlich Gelegenheit. Tatsächlich verfügen beide Häuser an jeder Fassadenseite über mindestens eine Glasfläche. Die breiten, niedrigen Fenster in beiden Häusern lassen sich öffnen. Die Schiebetür zur Terrasse im Gartenstudio überzeugt durch ihre besonders große Glasfront. Die Besucher können daher in alle vier Himmelsrichtungen hinaus in die Umgebung blicken.
Zum Arbeiten und Wohlfühlen
Der Besitzer nutzt seine Domizile in der Natur als Gäste- und Arbeitszimmer. „Die besonders hochwertige Inneneinrichtung mit viel Holz wirkt sehr edel“, beschreibt der Klempnermeister das Ambiente. Die Räume sind zudem äußerst großzügig dimensioniert. Das Gartenstudio mit Außenmaßen von 5,25 m x 4,15 m hat eine annähernd quadratische Grundfläche. Abzüglich der gut 6 m² großen Terrasse und der Wände stehen innen etwas mehr als 11 m² zur Verfügung. Platz genug für ein Hochbett, Tisch und Stühle sowie für einen kleinen Abstellraum. Die Decke in einer Höhe von ca. 2,40 m bietet Großgewachsenen genug Bewegungsfreiheit. Im verspiegelten Haus erreicht die Höhe immerhin 2,10 m. Hier sind etwa 8 m² nutzbar für ein Bett, auf dem zwei Personen Platz finden, und für eine Sitzgelegenheit an der Stirnseite. Beide Häuschen verfügen über Stromanschlüsse und elektrische Beleuchtung. „Wenn ab der Dämmerung das Licht hinausscheint, entsteht ein ganz geheimnisvoller Eindruck“, verdeutlicht Architekt Andreas Wenning die Wirkung der Strahlen, wenn sie durch die finsteren Schatten der Bäume dringen.
Beim Übernachten oder während einer längeren Arbeitszeit entsteht der Eindruck, sich direkt in freier Wildbahn aufzuhalten. Der Duft des Waldes sowie die Geräusche der Witterung und der Tiere verstärken das Gefühl, wieder frei durchatmen zu können. Diese zwei Hütten wären ganz im Sinne von Onkel Tom gewesen, der von einem solchen Lebensgefühl wohl geträumt hätte.
Bautafel
Projekt: Stelzenhaus und Gartenstudio mit Edelstahlhülle
Bauherr: privat
Architektur: Architekturbüro Baumraum Andreas Wenning, Bremen
Fachbetrieb: JWD Dach- und Fassadentechnik GmbH in Eydelstedt
Material: hochglanzpolierter Edelstahl Super-Mirror 0,8 mm
Hersteller: Rimex
Autor
Henry Rasch
ist Inhaber des Verlags Illustrierte Welten & Informationen in Berlin.