Waldemar Schoessler: Elena, in den Märchen des russischen Schriftstellers Pawel Baschow fördert die magische Herrin des Kupferberges talentierte Steinschneider – Sie gelten als eine außerordentlich begabte Klempnerin und als der künstlerische Kopf Ihrer Firma, der Kupfer-Arbeitsgenossenschaft. Wie sind Sie zu dieser Arbeit, die ein klassischer Männerberuf ist, gekommen?
Elena Iwanowa: Das war wohl eher ein Zufall. Eigentlich ist mein Mann Alexander professioneller Klempner. Eines Tages jedoch wurde bei ihm angefragt, ob er nicht ein kupfernes Dach an einer Straße in einer gehobenen Moskauer Wohngegend errichten könne. Daraufhin hat er sich mit seinem Team beraten und sofort zugesagt. Allerdings sprangen schon am nächsten Tag seine Mitarbeiter ab und verwiesen auf die schlechte Verkehrsanbindung oder die ihnen zu gering erscheinende Bezahlung. Also entschied ich kurzerhand, meinem Mann auszuhelfen, bis er sich eine neue Mannschaft organisiert hätte. Am Ende haben wir zu zweit auf einer Fläche von 2500 m² am Hauptprojekt und einer Fläche von 630 m² an einem weiteren Objekt Kupferdächer verlegt, teilweise mit Verstärkung von Hilfsarbeitern.
Wie reagieren männliche Fachkollegen auf Sie?
Kollegen, die seit einiger Zeit mit mir zusammen-arbeiten, haben sich an mich gewöhnt. Kollegen, die mich das erste Mal in meiner Alpinisten-Montur mit meinen Metallwerkzeugen sehen, sind natürlich überrascht. Viele trauen ihren Augen nicht und meinen, dass das nicht sein kann, aber ich bin motiviert und bereit, jedem zu beweisen, dass ich alles schaffen kann! (Lächelnd) … zumindest fast alles!
Welche Fertigkeiten und Erfahrungen haben Sie sich in der Zwischenzeit angeeignet?
Zusätzlich zu Stehfalzdächern jeglichen Schwierigkeitsgrades kann ich Prägungen und Ausstiche in jeder gewünschten Größe ausführen. Außerdem stelle ich Skulpturen aus Metall sowie alle möglichen Arten von Ornamenten für Dachflächen her.
Was genau unterscheidet das Prägen vom Ausstechen?
Die Technik des Ausstechens basiert auf der Formbarkeit von Metall, wobei die eingesetzten Materialien vor allem mittels Hammerschlägen gedehnt oder aber stark verbogen werden. Im Gegensatz zum Schmieden benötigt man für das Ausstechen ausschließlich dünne und feine Goldfolie, die im kalten Zustand umgearbeitet werden kann. Von der Prägetechnik unterscheidet sich das Ausstechen dadurch, dass der gesamte Arbeitsvorgang ohne Prägen und stattdessen mit einem Ausschlaghammer sowie anderen Hilfsinstrumenten stattfindet.
Wo haben Sie das Prägen gelernt? Erzählen Sie uns von Ihren ersten Erfahrungen.
Meine ersten Erfahrungen mit der Prägetechnik habe ich in der Firma DenAks erworben. Zusammen mit dem Chef der Firma, Denis Aksenov, habe ich eine Drachenskulptur aus Kupfer sowie die Statue eines Ritters für das Schloss von Maxim Galkin (ein sehr begabter russischer Satiriker und Schauspieler) gestaltet. Am liebsten verwende ich Kupfer, denn meiner Meinung nach ist es das fügsamste Metall.
Wann haben Sie erkannt, dass diese Arbeit auch Ihre Berufung ist?
Dass diese Tätigkeit meine Leidenschaft ist, wurde mir bewusst, als ich an eben jener Drachen- und Ritter-Skulptur gearbeitet habe. Und jedes Mal, wenn ich eine neue Arbeit fertigstelle, wird mir immer wieder klar, dass ich mich nicht geirrt habe und ich diese Arbeit tatsächlich beherrsche und weiterhin machen möchte.
Was inspiriert und freut Sie am meistenan Ihrer Arbeit?
Bei einem Großteil meiner Arbeiten gehe ich, ausgehend von einer Inspiration, intuitiv vor. Und genau das gefällt mir. Am meisten freut es mich neue Projekte in Angriff zu nehmen – mir vorzustellen wie das eine oder andere Detail aussehen soll und auf welche Weise ich es bewerkstelligen und erschaffen kann.
Wie steht Ihre Familie zu Ihrem Beruf?
Wir sind ein Team. Mein Mann hilft mir und berät mich immer, genauso wie ich ihn. Auch mein 20-jähriger Sohn ist immer auf dem Laufenden über meine Projekte. Meine Teenager-Tochter steht mir ebenfalls helfend zur Seite, soweit ihre Fähigkeiten und ihre Motivation es zulassen. Beispielsweise kann sie schon einfache Elemente aus Kupfer ausschneiden, obwohl diese Arbeit natürlich sehr anstrengend ist.
Elena, bitte erzählen Sie uns von einem Ihrer interessantesten Projekte der letzten Zeit.
Ich war an einem Projekt mit dem Namen „Zitadelle“ beteiligt. Dabei handelt es sich um ein privates Anwesen in einem schicken Viertel in Moskau, das zwei Jugendstil-Gebäude umfasst. Ein Merkmal des Jugendstils ist, dass gerade Kanten, Ecken und Linien vermieden werden zugunsten von wellenförmigen, geschwungenen Linien, die organische Formen aus der Pflanzen- und Tierwelt nachahmen. „Zitadelle“ entpuppte sich als außergewöhnliches Projekt mit einer großen Vielfalt an Ornamenten, die stil- und fachgerecht ausgeführt werden mussten.
Haben sie dort auch die Dachfläche montiert?
Nein, obwohl diese sich dort als äußerst interessant erwiesen hat. Die obere Fläche ist ein klassisches Kupferfalzdach, der Dachabhang hingegen wurde mit kleinteiligen und rhombenförmigen Kupferelementen versehen. Meine Arbeit konzentrierte sich auf etwas anderes. Als ich mich mit dem Objekt vertraut gemacht habe, keimte in mir die Idee auf, alle Fenster der oberen Etage, alle Rohrschellen der Wasserrohre und Rinnenhaken miteinander zu verbinden. Und zwar mit einem Kupferband, das wie die Blätter eines Apfelbaumes aussehen sollte. Dieses Dachflächenstück erhielt einen sehr poetischen Namen: Knospe der Königslilie. Als Windschutz für die dekorative Leiste schlug ich eine Reihe aus Einzelschilden vor.
Welche Technik haben Sie bei dieser Arbeit angewandt und welches Metall haben Sie dafür ausgewählt?
Ich habe russisches Kupfer in einer Dicke von 0,6 mm für die Dachflächenbearbeitung verwendet. Auf die Kupferteile habe ich alle notwendigen Elemente aufgezeichnet und diese dann ausgeschnitten und in einem einmaligen Brennvorgang ausgebrannt. Die Prägung habe ich mit einem Stempel und einem Hammer auf einer Gummi-Unterlage ausgeführt.
Wie viel Zeit haben Sie in das Projekt investiert?
Insgesamt benötigte ich etwas mehr als einen Monat, um ein 30 m langes Kupferband mit Blättern und Apfelblüten zu fertigen, außerdem 15 Halterungen für die Wasserleitungen, 28 Rinnenhaken und eine dekorative Windschutzplatte mit 12 m Länge in der Form eines Schildes mit der „Knospe der Königslilie“. Dem Auftraggeber hat meine Arbeit so gut gefallen, dass er noch eine Abzugshaube für den Herd in Auftrag gab.
Woran arbeiten sie momentan?
Im Moment habe ich mehrere Projekte gleichzeitig am Laufen. Das interessanteste und zeitaufwendigste Objekt ist eine Kupferplatte mit Glasintarsien im Tiffany-Stil. Ich nenne dieses Objekt liebevoll „Schmetterlingsmädchen“. Mir stehen noch mindestens zwei Monate Arbeitszeit an diesem Objekt bevor, da die Umrisse und Formen eines menschlichen Körpers nur schwer in Metall herauszubilden sind. Das Bild wird künftig das Interieur eines luxuriösen Domizils schmücken.
Welche Ziele verfolgen Sie? Zu welchen Höhen möchten Sie innerhalb Ihrer Zunft aufsteigen?
Ich wünsche mir, dass unsere Firma dauerhaft ihr tadelloses Renommee behält und als eine Inspirationsquelle für andere dient. Man kann auch sagen: Auch wenn ich nicht die absolute Perfektion erreichen kann, so möchte ich mich zumindest maximal an diese annähern.